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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band.

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Auch im Verhältniß Michelangelos zu Papst Leo dem Zehnten will
Grimm "seine Spur" von Spannung und Mlßhclligkeit zugeben. Was er
noch im ersten Band darüber gesagt, erscheint ihm jetzt als durchaus unhaltbar.
Allein daß die Charaktere unmöglich mit einander Harmoniren konnten, wird
er schwerlich widerrufen wollen. Die Biographen erzählen gar nichts über
das Verhältniß der Beiden. Aber schon dies Schweigen erscheint bezeichnend,
während sie das Verhältniß zu Julius dem Zweiten als ein freundschaftliches,
vertrautes, wenn auch durch einzelne jähe Ausbrüche unterbrochenes schildern; es
ist um so beredter, als Michelangelo in seiner Jugend drei Jahre lang im
Hause Lorenzos des Prächtigen aufgenommen war und zugleich mit dessen
Söhnen erzogen wurde, von welchen eben Giovanni, nachmals Leo der Zehnte,
im Alter ihm am nächsten stand. Ich möchte eher sagen: von dieser Jugend-,
genossenschaft ist in dem spätern Verhältniß "feine Spur" mehr zu entdecke".
Mag es auch als Rücksicht für Michelangelo gedeutet werden, daß der Papst
ihn zwei Jahre lang nicht durch eigene Aufträge an der Arbeit am Grabmal
Julius des Zweiten verhinderte, wie Michelangelo denn wirklich nur mit
Thränen die neuen Aufträge entgegennahm, so ist es doch Thatsache, daß die
Schwierigkeiten, die er mit den Vorbereitungen zur Herstellung der Fayade von
San Lorenzo in Florenz hatte, vermehrt wurden durch Hindernisse, die von
Seiten des Papstes kamen, Thatsache, daß es eine Laune Leos war, die ihn
zwang, den Marmor, anstatt wie anfangs in Carrara, später in Serravizza und
Pietrasanta zu brechen, wo allein zum Transport eine neue Straße ans Meer
gebaut werden mußte. Allerdings war es wirklicher Geldmangel, der Leo
nöthigte, die Mittel für künstlerische Zwecke einzuschränken; allein wir lesen
nirgends, daß dieser Geldmangel auch für Raphaels Arbeiten vorhanden war,
und als Michelangelo vom Papst unter einem nichtigen Vorwand nun förmlich
untersagt wurde, an den Arbeiten fortzufahren, werden, wie Grimm selbst er¬
zählt, Anstalten getroffen, um den Bau der Fayadc -- es war die Familien-
kirche der Medici -- ohne Michelangelos Mitwirkung dennoch weiter zu betreiben.
Vier Jahre hatte er auf diese Weise rein verloren; er hatte sich dazu in den
Steinbrüchen krank gearbeitet. Der Schmerz und die Entrüstung, die er über
diese Behandlung fühlte, wird nicht nur von Condivi bezeugt, sondern spricht
laut auch aus der Denkschrift, die er selbst über den Fcxzadenbau aufsetzte, und
wenn er seine Vorwürfe nicht direct gegen den Papst richtete, so folgt nicht,
daß er ihn damit von aller Schuld freisprach.

Hiermit ist natürlich die Reihe derjenigen Punkte, wo wir das Gefühl
haben, auch auf unsicherem Boden zu stehen und wo die Darstellung Grimms
noch zu weiterer Untersuchung anregt, nicht erschöpft. Vieles darf noch von den
unveröffentlichten florentiner Papieren gehofft werden. Daß das ganze Mate¬
rial noch nicht zur Benutzung offen stand, ist bei den Vorzügen des Grimm-


Auch im Verhältniß Michelangelos zu Papst Leo dem Zehnten will
Grimm „seine Spur" von Spannung und Mlßhclligkeit zugeben. Was er
noch im ersten Band darüber gesagt, erscheint ihm jetzt als durchaus unhaltbar.
Allein daß die Charaktere unmöglich mit einander Harmoniren konnten, wird
er schwerlich widerrufen wollen. Die Biographen erzählen gar nichts über
das Verhältniß der Beiden. Aber schon dies Schweigen erscheint bezeichnend,
während sie das Verhältniß zu Julius dem Zweiten als ein freundschaftliches,
vertrautes, wenn auch durch einzelne jähe Ausbrüche unterbrochenes schildern; es
ist um so beredter, als Michelangelo in seiner Jugend drei Jahre lang im
Hause Lorenzos des Prächtigen aufgenommen war und zugleich mit dessen
Söhnen erzogen wurde, von welchen eben Giovanni, nachmals Leo der Zehnte,
im Alter ihm am nächsten stand. Ich möchte eher sagen: von dieser Jugend-,
genossenschaft ist in dem spätern Verhältniß „feine Spur" mehr zu entdecke».
Mag es auch als Rücksicht für Michelangelo gedeutet werden, daß der Papst
ihn zwei Jahre lang nicht durch eigene Aufträge an der Arbeit am Grabmal
Julius des Zweiten verhinderte, wie Michelangelo denn wirklich nur mit
Thränen die neuen Aufträge entgegennahm, so ist es doch Thatsache, daß die
Schwierigkeiten, die er mit den Vorbereitungen zur Herstellung der Fayade von
San Lorenzo in Florenz hatte, vermehrt wurden durch Hindernisse, die von
Seiten des Papstes kamen, Thatsache, daß es eine Laune Leos war, die ihn
zwang, den Marmor, anstatt wie anfangs in Carrara, später in Serravizza und
Pietrasanta zu brechen, wo allein zum Transport eine neue Straße ans Meer
gebaut werden mußte. Allerdings war es wirklicher Geldmangel, der Leo
nöthigte, die Mittel für künstlerische Zwecke einzuschränken; allein wir lesen
nirgends, daß dieser Geldmangel auch für Raphaels Arbeiten vorhanden war,
und als Michelangelo vom Papst unter einem nichtigen Vorwand nun förmlich
untersagt wurde, an den Arbeiten fortzufahren, werden, wie Grimm selbst er¬
zählt, Anstalten getroffen, um den Bau der Fayadc — es war die Familien-
kirche der Medici — ohne Michelangelos Mitwirkung dennoch weiter zu betreiben.
Vier Jahre hatte er auf diese Weise rein verloren; er hatte sich dazu in den
Steinbrüchen krank gearbeitet. Der Schmerz und die Entrüstung, die er über
diese Behandlung fühlte, wird nicht nur von Condivi bezeugt, sondern spricht
laut auch aus der Denkschrift, die er selbst über den Fcxzadenbau aufsetzte, und
wenn er seine Vorwürfe nicht direct gegen den Papst richtete, so folgt nicht,
daß er ihn damit von aller Schuld freisprach.

Hiermit ist natürlich die Reihe derjenigen Punkte, wo wir das Gefühl
haben, auch auf unsicherem Boden zu stehen und wo die Darstellung Grimms
noch zu weiterer Untersuchung anregt, nicht erschöpft. Vieles darf noch von den
unveröffentlichten florentiner Papieren gehofft werden. Daß das ganze Mate¬
rial noch nicht zur Benutzung offen stand, ist bei den Vorzügen des Grimm-


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[0298] Auch im Verhältniß Michelangelos zu Papst Leo dem Zehnten will Grimm „seine Spur" von Spannung und Mlßhclligkeit zugeben. Was er noch im ersten Band darüber gesagt, erscheint ihm jetzt als durchaus unhaltbar. Allein daß die Charaktere unmöglich mit einander Harmoniren konnten, wird er schwerlich widerrufen wollen. Die Biographen erzählen gar nichts über das Verhältniß der Beiden. Aber schon dies Schweigen erscheint bezeichnend, während sie das Verhältniß zu Julius dem Zweiten als ein freundschaftliches, vertrautes, wenn auch durch einzelne jähe Ausbrüche unterbrochenes schildern; es ist um so beredter, als Michelangelo in seiner Jugend drei Jahre lang im Hause Lorenzos des Prächtigen aufgenommen war und zugleich mit dessen Söhnen erzogen wurde, von welchen eben Giovanni, nachmals Leo der Zehnte, im Alter ihm am nächsten stand. Ich möchte eher sagen: von dieser Jugend-, genossenschaft ist in dem spätern Verhältniß „feine Spur" mehr zu entdecke». Mag es auch als Rücksicht für Michelangelo gedeutet werden, daß der Papst ihn zwei Jahre lang nicht durch eigene Aufträge an der Arbeit am Grabmal Julius des Zweiten verhinderte, wie Michelangelo denn wirklich nur mit Thränen die neuen Aufträge entgegennahm, so ist es doch Thatsache, daß die Schwierigkeiten, die er mit den Vorbereitungen zur Herstellung der Fayade von San Lorenzo in Florenz hatte, vermehrt wurden durch Hindernisse, die von Seiten des Papstes kamen, Thatsache, daß es eine Laune Leos war, die ihn zwang, den Marmor, anstatt wie anfangs in Carrara, später in Serravizza und Pietrasanta zu brechen, wo allein zum Transport eine neue Straße ans Meer gebaut werden mußte. Allerdings war es wirklicher Geldmangel, der Leo nöthigte, die Mittel für künstlerische Zwecke einzuschränken; allein wir lesen nirgends, daß dieser Geldmangel auch für Raphaels Arbeiten vorhanden war, und als Michelangelo vom Papst unter einem nichtigen Vorwand nun förmlich untersagt wurde, an den Arbeiten fortzufahren, werden, wie Grimm selbst er¬ zählt, Anstalten getroffen, um den Bau der Fayadc — es war die Familien- kirche der Medici — ohne Michelangelos Mitwirkung dennoch weiter zu betreiben. Vier Jahre hatte er auf diese Weise rein verloren; er hatte sich dazu in den Steinbrüchen krank gearbeitet. Der Schmerz und die Entrüstung, die er über diese Behandlung fühlte, wird nicht nur von Condivi bezeugt, sondern spricht laut auch aus der Denkschrift, die er selbst über den Fcxzadenbau aufsetzte, und wenn er seine Vorwürfe nicht direct gegen den Papst richtete, so folgt nicht, daß er ihn damit von aller Schuld freisprach. Hiermit ist natürlich die Reihe derjenigen Punkte, wo wir das Gefühl haben, auch auf unsicherem Boden zu stehen und wo die Darstellung Grimms noch zu weiterer Untersuchung anregt, nicht erschöpft. Vieles darf noch von den unveröffentlichten florentiner Papieren gehofft werden. Daß das ganze Mate¬ rial noch nicht zur Benutzung offen stand, ist bei den Vorzügen des Grimm-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_187493/298>, abgerufen am 28.07.2024.