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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band.

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Das preußische Abgeordnetenhaus und die Zukunft.

Es liegt in der Natur des Kampfes, welchen die Vertreter des preußischen
Volkes mit der eigenen Negierung zu führen haben, daß die siegreichen Fort¬
schritte der liberalen Parteien nur in Zwischenräumen sichtbar werden. Und
es ist belehrend, in der Presse und der Meinung des Auslandes die Schwan¬
kungen zu beobachten, welche nicht die Sympathie, aber das Vertrauen aus
eine heilsame Lösung des Streites durchmacht. Auch die kleine Zahl der
Liberalen, welche eine Adresse des Abgeordnetenhauses beim Beginn der Ver¬
handlungen für unzweckmäßig erklärte, stand nach den dreitägigen Debatten
unter dem Eindruck dieses nothwendigen parlamentarischen Actes. Und erst
die Antwort des Königs erregte ihr Bedauern über eine dadurch hervorgebrachte
Schärfe des Conflictes, welche das gegenwärtige Ministerium nur fester gestellt
habe. Wir meinen, daß die Verschärfung des Conflictes, das heißt, ein offen¬
kundiges, Jedermann verständliches Darlegen des tiefen Gegensatzes, welcher
zwischen dem preußischen Volke und der Regierung besteht, die erste Grund-
bedingung für eine endliche und vollständige Heilung des Gegensatzes selbst ist,
und daß es eine ebenso unvermeidliche, als freudenlose Maßregel war, die Höhe
und den Umfang der Krankheit festzustellen. Durch zwei Jahre war die alt¬
liberale Partei bemüht, das bereits bestehende Leiden durch Palliativmaßregeln
zu verdecken. Die Aerzte sind ihrer Functionen in nicht sanfter Weise ent¬
hoben worden. Es blieb nichts übrig, als eine gründliche Kur durchzumachen.

Die Antwort des Königs, welche dem Abgeordnetenhaus^ geworden ist,
und das nackte Hervortreten eines persönlichen Willens mit Beseitigung der
Parlamentarischen Formen, deren weise Tendenz ist, die Persönlichkeit des Re¬
genten und die Majestät der Krone vor dem Parteihaß zu schützen, ist ein Er-
e>gniß, für welches Niemand, ohne die größte Ungerechtigkeit, die Vertreter des
Volkes verantwortlich machen wird. Der Takt, mit welchem sie selbst und die
liberale Presse dies ungewöhnliche Schriftstück durch Schweigen beurtheilt haben,
'se ein Beweis für die Mäßigung, mit welcher der Kampf von den Abgeordneten
geführt wird.

Offenkundig ist die Tendenz, mit welcher seitdem Regierung und Volks-


Vrenzbott" I. 36
Das preußische Abgeordnetenhaus und die Zukunft.

Es liegt in der Natur des Kampfes, welchen die Vertreter des preußischen
Volkes mit der eigenen Negierung zu führen haben, daß die siegreichen Fort¬
schritte der liberalen Parteien nur in Zwischenräumen sichtbar werden. Und
es ist belehrend, in der Presse und der Meinung des Auslandes die Schwan¬
kungen zu beobachten, welche nicht die Sympathie, aber das Vertrauen aus
eine heilsame Lösung des Streites durchmacht. Auch die kleine Zahl der
Liberalen, welche eine Adresse des Abgeordnetenhauses beim Beginn der Ver¬
handlungen für unzweckmäßig erklärte, stand nach den dreitägigen Debatten
unter dem Eindruck dieses nothwendigen parlamentarischen Actes. Und erst
die Antwort des Königs erregte ihr Bedauern über eine dadurch hervorgebrachte
Schärfe des Conflictes, welche das gegenwärtige Ministerium nur fester gestellt
habe. Wir meinen, daß die Verschärfung des Conflictes, das heißt, ein offen¬
kundiges, Jedermann verständliches Darlegen des tiefen Gegensatzes, welcher
zwischen dem preußischen Volke und der Regierung besteht, die erste Grund-
bedingung für eine endliche und vollständige Heilung des Gegensatzes selbst ist,
und daß es eine ebenso unvermeidliche, als freudenlose Maßregel war, die Höhe
und den Umfang der Krankheit festzustellen. Durch zwei Jahre war die alt¬
liberale Partei bemüht, das bereits bestehende Leiden durch Palliativmaßregeln
zu verdecken. Die Aerzte sind ihrer Functionen in nicht sanfter Weise ent¬
hoben worden. Es blieb nichts übrig, als eine gründliche Kur durchzumachen.

Die Antwort des Königs, welche dem Abgeordnetenhaus^ geworden ist,
und das nackte Hervortreten eines persönlichen Willens mit Beseitigung der
Parlamentarischen Formen, deren weise Tendenz ist, die Persönlichkeit des Re¬
genten und die Majestät der Krone vor dem Parteihaß zu schützen, ist ein Er-
e>gniß, für welches Niemand, ohne die größte Ungerechtigkeit, die Vertreter des
Volkes verantwortlich machen wird. Der Takt, mit welchem sie selbst und die
liberale Presse dies ungewöhnliche Schriftstück durch Schweigen beurtheilt haben,
'se ein Beweis für die Mäßigung, mit welcher der Kampf von den Abgeordneten
geführt wird.

Offenkundig ist die Tendenz, mit welcher seitdem Regierung und Volks-


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[0289] Das preußische Abgeordnetenhaus und die Zukunft. Es liegt in der Natur des Kampfes, welchen die Vertreter des preußischen Volkes mit der eigenen Negierung zu führen haben, daß die siegreichen Fort¬ schritte der liberalen Parteien nur in Zwischenräumen sichtbar werden. Und es ist belehrend, in der Presse und der Meinung des Auslandes die Schwan¬ kungen zu beobachten, welche nicht die Sympathie, aber das Vertrauen aus eine heilsame Lösung des Streites durchmacht. Auch die kleine Zahl der Liberalen, welche eine Adresse des Abgeordnetenhauses beim Beginn der Ver¬ handlungen für unzweckmäßig erklärte, stand nach den dreitägigen Debatten unter dem Eindruck dieses nothwendigen parlamentarischen Actes. Und erst die Antwort des Königs erregte ihr Bedauern über eine dadurch hervorgebrachte Schärfe des Conflictes, welche das gegenwärtige Ministerium nur fester gestellt habe. Wir meinen, daß die Verschärfung des Conflictes, das heißt, ein offen¬ kundiges, Jedermann verständliches Darlegen des tiefen Gegensatzes, welcher zwischen dem preußischen Volke und der Regierung besteht, die erste Grund- bedingung für eine endliche und vollständige Heilung des Gegensatzes selbst ist, und daß es eine ebenso unvermeidliche, als freudenlose Maßregel war, die Höhe und den Umfang der Krankheit festzustellen. Durch zwei Jahre war die alt¬ liberale Partei bemüht, das bereits bestehende Leiden durch Palliativmaßregeln zu verdecken. Die Aerzte sind ihrer Functionen in nicht sanfter Weise ent¬ hoben worden. Es blieb nichts übrig, als eine gründliche Kur durchzumachen. Die Antwort des Königs, welche dem Abgeordnetenhaus^ geworden ist, und das nackte Hervortreten eines persönlichen Willens mit Beseitigung der Parlamentarischen Formen, deren weise Tendenz ist, die Persönlichkeit des Re¬ genten und die Majestät der Krone vor dem Parteihaß zu schützen, ist ein Er- e>gniß, für welches Niemand, ohne die größte Ungerechtigkeit, die Vertreter des Volkes verantwortlich machen wird. Der Takt, mit welchem sie selbst und die liberale Presse dies ungewöhnliche Schriftstück durch Schweigen beurtheilt haben, 'se ein Beweis für die Mäßigung, mit welcher der Kampf von den Abgeordneten geführt wird. Offenkundig ist die Tendenz, mit welcher seitdem Regierung und Volks- Vrenzbott» I. 36

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_187493/289>, abgerufen am 24.11.2024.