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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band.

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Meister Kaulbach. Einerlei, ob der Plan zu dem Gemäldecyklus seinem Kopfe
entsprossen ist, oder ihm gegeben wurde: genug, daß er ihn mit beiden Händen
ergriff. Es hat im Grunde etwas Komisches, daß die Kunst es unternahm,
das Gesetz des welthistorischen Fortschritts dem romantischen König zu Berlin,
der es durch seine eigenen Handlungen unausgesetzt verletzte, ni noulos zu de.
monstrircn. Indessen Kaulbach war der Mann dazu, die Sache, wenn auch
nicht auszusinnen, doch auszuführen. Er verstand die Zeit und die seltsame
wissenschaftliche Selbstgefälligkeit, die ihr eigenthümlich ist: die eben erst ent¬
deckten Ideen auf monumentalen Manerfläche" sich ausbreiten zu sehen, mußte
dem Geschlecht imponiren. Was lag daran, wenn auch hier und da in der
Wahl des Stoffes neben das Ziel geschossen war? ob das Object von welt¬
geschichtlicher Bedeutung auch erscheinen, malerisch erscheinen konnte, wen" nur
der Beschauer erstaunt den Blick von der irdischen Gruppe zur himmlischen,
und von der himmlischen zur irdischen wander" ließ und in dieser anmuthigen
Abwechslung seinen Kopf wirbeln fühlte? Und diese Mythenwclt, welche in den
Hauptbildern die obere Region ausfüllt, die sich außerdem in den Nebenbildern
in eine Anzahl personificirter Begriffe umgesetzt hat, sie hat, wie die dunkle
Sage geht, noch einen'tieferen Sinn. Sie soll zugleich den inneren, unfa߬
barer, verborgenen Fortgang, "den rothen Faden" der Geschichte zur An¬
schauung bringen. Man sieht, Kaulbach wird um so gelehrter, je weiter er
von der Kunst sich entfernt. War's da noch wunderbar, daß eine gewisse
Kunstgelehrsamkeit für ihren Mann einen eigenen Stil entdeckte, dem sie den
prunkenden Namen des "symbolisch-historischen" gab?

Das andere Bedenken, das dem Unternehmen entgegenstand, ist ein Uebel,
an dem die gegenwärtige Kunst überhaupt leidet, das alvr da, wo es sich um
monumentale Aufgaben handelt, am fühlbarsten hervortritt. Um es lenz zu
hageln die deutsche Kunst des neunzehnten Jahrhunderts hat keine rechte Schule
durchgemacht, sie hat nicht genug gelernt. Das unerquickliche Thema aus¬
zuführen, ist hier nicht der Ort; aber auch dem oberflächlichen Auge kann nicht
entgehen, wie seit dem Beginne des Jahrhunderts unsere Malerei ein immer
neues Ansetzen zu Versuchen aller Art ist, wie sie die verschiedensten Einflüsse
bald von fremden Kunstweisen, bald aus früheren Perioden in sich ausnimmt,
ohne auch nur ein Element der Darstellung, das sie sich anzueignen sucht,
gründlich zu verarbeiten. Noch jede Kunst, die zu einer selbständigen Bedeu¬
tung gelangt ist, hat entweder, von der Pike auf dienend, eine langsame, ste-
tige Entwickelung durchlaufen oder die reife Frucht einer großen vorange-
gangenen Kunstepoche als bildendes, belebendes Element in sich aufgenommen.
Die bildende Kunst ist Darstellung, d. h. gestaltete Erscheinung des Lebens;
also ist die richtige Anschauung der Form (im weitesten Sinne des Wortes),
welche der möglichst vollendete Ausdruck des Lebens ist, die erste Bedingung


Meister Kaulbach. Einerlei, ob der Plan zu dem Gemäldecyklus seinem Kopfe
entsprossen ist, oder ihm gegeben wurde: genug, daß er ihn mit beiden Händen
ergriff. Es hat im Grunde etwas Komisches, daß die Kunst es unternahm,
das Gesetz des welthistorischen Fortschritts dem romantischen König zu Berlin,
der es durch seine eigenen Handlungen unausgesetzt verletzte, ni noulos zu de.
monstrircn. Indessen Kaulbach war der Mann dazu, die Sache, wenn auch
nicht auszusinnen, doch auszuführen. Er verstand die Zeit und die seltsame
wissenschaftliche Selbstgefälligkeit, die ihr eigenthümlich ist: die eben erst ent¬
deckten Ideen auf monumentalen Manerfläche» sich ausbreiten zu sehen, mußte
dem Geschlecht imponiren. Was lag daran, wenn auch hier und da in der
Wahl des Stoffes neben das Ziel geschossen war? ob das Object von welt¬
geschichtlicher Bedeutung auch erscheinen, malerisch erscheinen konnte, wen« nur
der Beschauer erstaunt den Blick von der irdischen Gruppe zur himmlischen,
und von der himmlischen zur irdischen wander» ließ und in dieser anmuthigen
Abwechslung seinen Kopf wirbeln fühlte? Und diese Mythenwclt, welche in den
Hauptbildern die obere Region ausfüllt, die sich außerdem in den Nebenbildern
in eine Anzahl personificirter Begriffe umgesetzt hat, sie hat, wie die dunkle
Sage geht, noch einen'tieferen Sinn. Sie soll zugleich den inneren, unfa߬
barer, verborgenen Fortgang, „den rothen Faden" der Geschichte zur An¬
schauung bringen. Man sieht, Kaulbach wird um so gelehrter, je weiter er
von der Kunst sich entfernt. War's da noch wunderbar, daß eine gewisse
Kunstgelehrsamkeit für ihren Mann einen eigenen Stil entdeckte, dem sie den
prunkenden Namen des „symbolisch-historischen" gab?

Das andere Bedenken, das dem Unternehmen entgegenstand, ist ein Uebel,
an dem die gegenwärtige Kunst überhaupt leidet, das alvr da, wo es sich um
monumentale Aufgaben handelt, am fühlbarsten hervortritt. Um es lenz zu
hageln die deutsche Kunst des neunzehnten Jahrhunderts hat keine rechte Schule
durchgemacht, sie hat nicht genug gelernt. Das unerquickliche Thema aus¬
zuführen, ist hier nicht der Ort; aber auch dem oberflächlichen Auge kann nicht
entgehen, wie seit dem Beginne des Jahrhunderts unsere Malerei ein immer
neues Ansetzen zu Versuchen aller Art ist, wie sie die verschiedensten Einflüsse
bald von fremden Kunstweisen, bald aus früheren Perioden in sich ausnimmt,
ohne auch nur ein Element der Darstellung, das sie sich anzueignen sucht,
gründlich zu verarbeiten. Noch jede Kunst, die zu einer selbständigen Bedeu¬
tung gelangt ist, hat entweder, von der Pike auf dienend, eine langsame, ste-
tige Entwickelung durchlaufen oder die reife Frucht einer großen vorange-
gangenen Kunstepoche als bildendes, belebendes Element in sich aufgenommen.
Die bildende Kunst ist Darstellung, d. h. gestaltete Erscheinung des Lebens;
also ist die richtige Anschauung der Form (im weitesten Sinne des Wortes),
welche der möglichst vollendete Ausdruck des Lebens ist, die erste Bedingung


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_187493/252>, abgerufen am 28.07.2024.