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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band.

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d, h. daß durch Erinnerung in dem Andern die Empfindung entstehe, welche
der Autor meint. Daß endlich durch dasselbe Object in Verschiedenen verschiedene
Empfindungen entstehen können, hebt das Recht dieser Methode nicht auf, sondern
spornt nur zu immer genauerer Beobachtung an und veranlaßt den für jede
Wissenschaft heilsamen Streit. Mit Recht macht Schone darauf aufmerksam, daß
die Kenner in jeder Art von Kunst, namentlich in der bildenden Kunst und in der
Musik?, aber auch in der Poesie und der Schriftstellerei überhaupt, die Gewißheit
ihrer Urtheile überall nur ans dem Wege der Stilkritik gewinnen und die fo ge¬
wonnene Gewißheit jeder andern vorziehen, so daß sie ohne dieselbe nur widerwillig
sich äußeren Beweisen fügen, mit ihr aber auch einer großen äußeren Wahrscheinlich¬
keit, die gegen sie ist, mit Erfolg Trotz bieten.

Was nun den Standpunkt der Schrift rücksichtlich der Platonischen Frage des
Näheren anlangt, so ist derselbe wesentlich durch die noch nicht veröffentlichten
Platonischen Untersuchungen Ch. H. Weißes bestimmt, die dem Verfasser laut
Vorrede durch Vorlesungen an hiesiger Universität bekannt geworden. Der Grund¬
gedanke ist dieser, daß aus psychologisch-ästhetischen Gründen, deren Unterstützung
durch äußere Zeugnisse übrigens keineswegs unterlassen wird, die größere drama¬
tische, überhaupt künstlerische Vollendung eines Dialogs, dnrch welche er mehr unter
den Gesichtspunkt des künstlerischen Selbstzwecks Tro-es-c^ als unter den der
Auffindung und Mittheilung wissenschaftlicher Resultate gestellt erscheint, auf spätere
Abfassungszeit hinweist. Solche größere Meisterschaft in der Handhabung der Kunst-
form zeigt sich schon äußerlich in der Wahl der Erzählungsform gegenüber der un¬
reiferen Form des directen Gesprächs, und weiter in den jedem Beurtheiler drama-
liicher Leistungen geläufigen Kennzeichen, welche hier im Besondern am Prvtngoras
mit sinniger Dctailbetrcichtung hervorgehoben werden. Die Auseinandersetzung mit
den bisher üblichen Beantwortungen der Platonischen Frage, welche wesentlich von
den, Vorurtheil ausgehen, daß der wissenschaftliche Inhalt jedes Dialogs mit den
zur Zeit seiner Abfassung von Plato gehegten philosophischen Ueberzeugungen sich
vollständig decken müsse, also die Möglichkeit einer Absicht des Schülers, in drama¬
tisch.historischen Kunstwerke" seinem unvergeßlichen Meister ein bleibendes Denkmal
zu errichte", von vornherein ausschließen, zeigt, daß alle einzuwersenden Bedenken
R. --l. nicht unüberwindlich sind.




d, h. daß durch Erinnerung in dem Andern die Empfindung entstehe, welche
der Autor meint. Daß endlich durch dasselbe Object in Verschiedenen verschiedene
Empfindungen entstehen können, hebt das Recht dieser Methode nicht auf, sondern
spornt nur zu immer genauerer Beobachtung an und veranlaßt den für jede
Wissenschaft heilsamen Streit. Mit Recht macht Schone darauf aufmerksam, daß
die Kenner in jeder Art von Kunst, namentlich in der bildenden Kunst und in der
Musik?, aber auch in der Poesie und der Schriftstellerei überhaupt, die Gewißheit
ihrer Urtheile überall nur ans dem Wege der Stilkritik gewinnen und die fo ge¬
wonnene Gewißheit jeder andern vorziehen, so daß sie ohne dieselbe nur widerwillig
sich äußeren Beweisen fügen, mit ihr aber auch einer großen äußeren Wahrscheinlich¬
keit, die gegen sie ist, mit Erfolg Trotz bieten.

Was nun den Standpunkt der Schrift rücksichtlich der Platonischen Frage des
Näheren anlangt, so ist derselbe wesentlich durch die noch nicht veröffentlichten
Platonischen Untersuchungen Ch. H. Weißes bestimmt, die dem Verfasser laut
Vorrede durch Vorlesungen an hiesiger Universität bekannt geworden. Der Grund¬
gedanke ist dieser, daß aus psychologisch-ästhetischen Gründen, deren Unterstützung
durch äußere Zeugnisse übrigens keineswegs unterlassen wird, die größere drama¬
tische, überhaupt künstlerische Vollendung eines Dialogs, dnrch welche er mehr unter
den Gesichtspunkt des künstlerischen Selbstzwecks Tro-es-c^ als unter den der
Auffindung und Mittheilung wissenschaftlicher Resultate gestellt erscheint, auf spätere
Abfassungszeit hinweist. Solche größere Meisterschaft in der Handhabung der Kunst-
form zeigt sich schon äußerlich in der Wahl der Erzählungsform gegenüber der un¬
reiferen Form des directen Gesprächs, und weiter in den jedem Beurtheiler drama-
liicher Leistungen geläufigen Kennzeichen, welche hier im Besondern am Prvtngoras
mit sinniger Dctailbetrcichtung hervorgehoben werden. Die Auseinandersetzung mit
den bisher üblichen Beantwortungen der Platonischen Frage, welche wesentlich von
den, Vorurtheil ausgehen, daß der wissenschaftliche Inhalt jedes Dialogs mit den
zur Zeit seiner Abfassung von Plato gehegten philosophischen Ueberzeugungen sich
vollständig decken müsse, also die Möglichkeit einer Absicht des Schülers, in drama¬
tisch.historischen Kunstwerke» seinem unvergeßlichen Meister ein bleibendes Denkmal
zu errichte», von vornherein ausschließen, zeigt, daß alle einzuwersenden Bedenken
R. —l. nicht unüberwindlich sind.




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[0247] d, h. daß durch Erinnerung in dem Andern die Empfindung entstehe, welche der Autor meint. Daß endlich durch dasselbe Object in Verschiedenen verschiedene Empfindungen entstehen können, hebt das Recht dieser Methode nicht auf, sondern spornt nur zu immer genauerer Beobachtung an und veranlaßt den für jede Wissenschaft heilsamen Streit. Mit Recht macht Schone darauf aufmerksam, daß die Kenner in jeder Art von Kunst, namentlich in der bildenden Kunst und in der Musik?, aber auch in der Poesie und der Schriftstellerei überhaupt, die Gewißheit ihrer Urtheile überall nur ans dem Wege der Stilkritik gewinnen und die fo ge¬ wonnene Gewißheit jeder andern vorziehen, so daß sie ohne dieselbe nur widerwillig sich äußeren Beweisen fügen, mit ihr aber auch einer großen äußeren Wahrscheinlich¬ keit, die gegen sie ist, mit Erfolg Trotz bieten. Was nun den Standpunkt der Schrift rücksichtlich der Platonischen Frage des Näheren anlangt, so ist derselbe wesentlich durch die noch nicht veröffentlichten Platonischen Untersuchungen Ch. H. Weißes bestimmt, die dem Verfasser laut Vorrede durch Vorlesungen an hiesiger Universität bekannt geworden. Der Grund¬ gedanke ist dieser, daß aus psychologisch-ästhetischen Gründen, deren Unterstützung durch äußere Zeugnisse übrigens keineswegs unterlassen wird, die größere drama¬ tische, überhaupt künstlerische Vollendung eines Dialogs, dnrch welche er mehr unter den Gesichtspunkt des künstlerischen Selbstzwecks Tro-es-c^ als unter den der Auffindung und Mittheilung wissenschaftlicher Resultate gestellt erscheint, auf spätere Abfassungszeit hinweist. Solche größere Meisterschaft in der Handhabung der Kunst- form zeigt sich schon äußerlich in der Wahl der Erzählungsform gegenüber der un¬ reiferen Form des directen Gesprächs, und weiter in den jedem Beurtheiler drama- liicher Leistungen geläufigen Kennzeichen, welche hier im Besondern am Prvtngoras mit sinniger Dctailbetrcichtung hervorgehoben werden. Die Auseinandersetzung mit den bisher üblichen Beantwortungen der Platonischen Frage, welche wesentlich von den, Vorurtheil ausgehen, daß der wissenschaftliche Inhalt jedes Dialogs mit den zur Zeit seiner Abfassung von Plato gehegten philosophischen Ueberzeugungen sich vollständig decken müsse, also die Möglichkeit einer Absicht des Schülers, in drama¬ tisch.historischen Kunstwerke» seinem unvergeßlichen Meister ein bleibendes Denkmal zu errichte», von vornherein ausschließen, zeigt, daß alle einzuwersenden Bedenken R. —l. nicht unüberwindlich sind.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_187493/247>, abgerufen am 27.07.2024.