Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

charakterisirt sich dadurch, daß ebenbürtige Fürstinnen nicht vorhanden sind, und
daß die Regierung des Landes dem Zweck dienen muß, für eine nicht eben¬
bürtige Descendenz Reichthümer aufzuhäufen. Die Kinder der Gräfin Reichenbach
haben denn auch mindestens zwanzig Millionen Thaler erhalten, ganz abgesehen
davon, was die damalige Wirthschaft noch sonst verschlungen u. s. w. u. s. w.

Wenden wir unseren Blick auf die Gegenwart, so sehen wir überall die
alte Starrheit und Unbeweglichkeit. Von allen den Zusagen, welche den Stän¬
den am S. December v. I. gemacht worden sind, ist nach länger als Monats¬
frist noch keine einzige erfüllt. Und auch sonst geschieht absolut nichts. Ein
lebendiges Bild unseres jetzigen Zustandes gibt die Rede, mit welcher der Ge-
heimrath v. Schenck in der Sitzung der Ständckammer am 21. d. M. den Be¬
richt des Ausschusses über den Octkerschen Antrag einleitete. Nach der steno¬
graphischen Aufzeichnung sagte Herr v. Schenck Folgendes:

"Als durch die landesherrliche Verkündigung vom 21. Juni v. I. die
Verfassung von 1831 wieder ins Leben trat, war das ganze Land mit Freude
erfüllt, und in diese Freude mischte sich nicht der Wunsch nach neuem Streit,
sondern der Wunsch nach Frieden und nach Versöhnung. Mit diesem Wunsche
des Friedens und der Versöhnung sind die Wahlberechtigten zur Wahl geschritten,
mit denselben Gefühlen sind die Abgeordneten in diesen Saal getreten; ich
glaube nicht zu viel zu behaupten, wenn ich 5lese Gesinnung bei jedem von
uns voraussetze. Fragen wir nun, mit welcher Gesinnung kam man uns ent¬
gegen; fanden wir einen versöhnenden Empfang in diesem Saale, fanden wir
die Vorlage des längst erwarteten Gesetzes über die Begnadigung der politisch
Verurtheilten, fanden wir die Absicht, diejenigen zu entschädigen, welche lieber
ihre Existenz opferten, als von dem Verfassungseide losließen? Fanden wir die
Ausgleichung über die enormen Lasten, welche einzelne Landestheile durch die,
jetzt überall als unrechtmäßig erkannte Bundcscxccution tragen mußten, fanden
wir die Vorlage der vielen erwarteten materiellen Gesetze, namentlich im Be¬
treff der Eisenbahnen, und fanden wir endlich und vor allen Dingen die Vor¬
lage über den Wegfall derjenigen Bestimmungen, welche seit 18S0 unser Gesetz¬
blatt füllen, unsere Verfassung in ihrer vollen Wirksamkeit beeinträchtigen?

Dahin rechne ich vorzugsweise die Gemeindeordnung, das Staatsdienst¬
gesetz und das Gesetz über die Besetzung des Oberappcllationsgerichts.

Leider muß ich sagen, daß wir von alle dem nichts vorfanden. Wir mußten
oft und mehrfach die uns bestrittene Competenz durch feste und einmüthige Be¬
schlüsse erobern. Wir mußten Anträge stellen, meistens ohne Erfolg, um das zu-
erlangen, womit man uns eigentlich von vornherein hätte entgegenkommen sollen.

Sind doch die Verheißungen der landesherrlichen Verkündigung, welche
heute vor sieben Monaten schon erlassen wurde. bis zu diesem Augenblicke noch
nicht erfüllt.


charakterisirt sich dadurch, daß ebenbürtige Fürstinnen nicht vorhanden sind, und
daß die Regierung des Landes dem Zweck dienen muß, für eine nicht eben¬
bürtige Descendenz Reichthümer aufzuhäufen. Die Kinder der Gräfin Reichenbach
haben denn auch mindestens zwanzig Millionen Thaler erhalten, ganz abgesehen
davon, was die damalige Wirthschaft noch sonst verschlungen u. s. w. u. s. w.

Wenden wir unseren Blick auf die Gegenwart, so sehen wir überall die
alte Starrheit und Unbeweglichkeit. Von allen den Zusagen, welche den Stän¬
den am S. December v. I. gemacht worden sind, ist nach länger als Monats¬
frist noch keine einzige erfüllt. Und auch sonst geschieht absolut nichts. Ein
lebendiges Bild unseres jetzigen Zustandes gibt die Rede, mit welcher der Ge-
heimrath v. Schenck in der Sitzung der Ständckammer am 21. d. M. den Be¬
richt des Ausschusses über den Octkerschen Antrag einleitete. Nach der steno¬
graphischen Aufzeichnung sagte Herr v. Schenck Folgendes:

„Als durch die landesherrliche Verkündigung vom 21. Juni v. I. die
Verfassung von 1831 wieder ins Leben trat, war das ganze Land mit Freude
erfüllt, und in diese Freude mischte sich nicht der Wunsch nach neuem Streit,
sondern der Wunsch nach Frieden und nach Versöhnung. Mit diesem Wunsche
des Friedens und der Versöhnung sind die Wahlberechtigten zur Wahl geschritten,
mit denselben Gefühlen sind die Abgeordneten in diesen Saal getreten; ich
glaube nicht zu viel zu behaupten, wenn ich 5lese Gesinnung bei jedem von
uns voraussetze. Fragen wir nun, mit welcher Gesinnung kam man uns ent¬
gegen; fanden wir einen versöhnenden Empfang in diesem Saale, fanden wir
die Vorlage des längst erwarteten Gesetzes über die Begnadigung der politisch
Verurtheilten, fanden wir die Absicht, diejenigen zu entschädigen, welche lieber
ihre Existenz opferten, als von dem Verfassungseide losließen? Fanden wir die
Ausgleichung über die enormen Lasten, welche einzelne Landestheile durch die,
jetzt überall als unrechtmäßig erkannte Bundcscxccution tragen mußten, fanden
wir die Vorlage der vielen erwarteten materiellen Gesetze, namentlich im Be¬
treff der Eisenbahnen, und fanden wir endlich und vor allen Dingen die Vor¬
lage über den Wegfall derjenigen Bestimmungen, welche seit 18S0 unser Gesetz¬
blatt füllen, unsere Verfassung in ihrer vollen Wirksamkeit beeinträchtigen?

Dahin rechne ich vorzugsweise die Gemeindeordnung, das Staatsdienst¬
gesetz und das Gesetz über die Besetzung des Oberappcllationsgerichts.

Leider muß ich sagen, daß wir von alle dem nichts vorfanden. Wir mußten
oft und mehrfach die uns bestrittene Competenz durch feste und einmüthige Be¬
schlüsse erobern. Wir mußten Anträge stellen, meistens ohne Erfolg, um das zu-
erlangen, womit man uns eigentlich von vornherein hätte entgegenkommen sollen.

Sind doch die Verheißungen der landesherrlichen Verkündigung, welche
heute vor sieben Monaten schon erlassen wurde. bis zu diesem Augenblicke noch
nicht erfüllt.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0200" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/187694"/>
            <p xml:id="ID_789" prev="#ID_788"> charakterisirt sich dadurch, daß ebenbürtige Fürstinnen nicht vorhanden sind, und<lb/>
daß die Regierung des Landes dem Zweck dienen muß, für eine nicht eben¬<lb/>
bürtige Descendenz Reichthümer aufzuhäufen. Die Kinder der Gräfin Reichenbach<lb/>
haben denn auch mindestens zwanzig Millionen Thaler erhalten, ganz abgesehen<lb/>
davon, was die damalige Wirthschaft noch sonst verschlungen u. s. w. u. s. w.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_790"> Wenden wir unseren Blick auf die Gegenwart, so sehen wir überall die<lb/>
alte Starrheit und Unbeweglichkeit. Von allen den Zusagen, welche den Stän¬<lb/>
den am S. December v. I. gemacht worden sind, ist nach länger als Monats¬<lb/>
frist noch keine einzige erfüllt. Und auch sonst geschieht absolut nichts. Ein<lb/>
lebendiges Bild unseres jetzigen Zustandes gibt die Rede, mit welcher der Ge-<lb/>
heimrath v. Schenck in der Sitzung der Ständckammer am 21. d. M. den Be¬<lb/>
richt des Ausschusses über den Octkerschen Antrag einleitete. Nach der steno¬<lb/>
graphischen Aufzeichnung sagte Herr v. Schenck Folgendes:</p><lb/>
            <p xml:id="ID_791"> &#x201E;Als durch die landesherrliche Verkündigung vom 21. Juni v. I. die<lb/>
Verfassung von 1831 wieder ins Leben trat, war das ganze Land mit Freude<lb/>
erfüllt, und in diese Freude mischte sich nicht der Wunsch nach neuem Streit,<lb/>
sondern der Wunsch nach Frieden und nach Versöhnung. Mit diesem Wunsche<lb/>
des Friedens und der Versöhnung sind die Wahlberechtigten zur Wahl geschritten,<lb/>
mit denselben Gefühlen sind die Abgeordneten in diesen Saal getreten; ich<lb/>
glaube nicht zu viel zu behaupten, wenn ich 5lese Gesinnung bei jedem von<lb/>
uns voraussetze. Fragen wir nun, mit welcher Gesinnung kam man uns ent¬<lb/>
gegen; fanden wir einen versöhnenden Empfang in diesem Saale, fanden wir<lb/>
die Vorlage des längst erwarteten Gesetzes über die Begnadigung der politisch<lb/>
Verurtheilten, fanden wir die Absicht, diejenigen zu entschädigen, welche lieber<lb/>
ihre Existenz opferten, als von dem Verfassungseide losließen? Fanden wir die<lb/>
Ausgleichung über die enormen Lasten, welche einzelne Landestheile durch die,<lb/>
jetzt überall als unrechtmäßig erkannte Bundcscxccution tragen mußten, fanden<lb/>
wir die Vorlage der vielen erwarteten materiellen Gesetze, namentlich im Be¬<lb/>
treff der Eisenbahnen, und fanden wir endlich und vor allen Dingen die Vor¬<lb/>
lage über den Wegfall derjenigen Bestimmungen, welche seit 18S0 unser Gesetz¬<lb/>
blatt füllen, unsere Verfassung in ihrer vollen Wirksamkeit beeinträchtigen?</p><lb/>
            <p xml:id="ID_792"> Dahin rechne ich vorzugsweise die Gemeindeordnung, das Staatsdienst¬<lb/>
gesetz und das Gesetz über die Besetzung des Oberappcllationsgerichts.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_793"> Leider muß ich sagen, daß wir von alle dem nichts vorfanden. Wir mußten<lb/>
oft und mehrfach die uns bestrittene Competenz durch feste und einmüthige Be¬<lb/>
schlüsse erobern. Wir mußten Anträge stellen, meistens ohne Erfolg, um das zu-<lb/>
erlangen, womit man uns eigentlich von vornherein hätte entgegenkommen sollen.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_794"> Sind doch die Verheißungen der landesherrlichen Verkündigung, welche<lb/>
heute vor sieben Monaten schon erlassen wurde. bis zu diesem Augenblicke noch<lb/>
nicht erfüllt.</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0200] charakterisirt sich dadurch, daß ebenbürtige Fürstinnen nicht vorhanden sind, und daß die Regierung des Landes dem Zweck dienen muß, für eine nicht eben¬ bürtige Descendenz Reichthümer aufzuhäufen. Die Kinder der Gräfin Reichenbach haben denn auch mindestens zwanzig Millionen Thaler erhalten, ganz abgesehen davon, was die damalige Wirthschaft noch sonst verschlungen u. s. w. u. s. w. Wenden wir unseren Blick auf die Gegenwart, so sehen wir überall die alte Starrheit und Unbeweglichkeit. Von allen den Zusagen, welche den Stän¬ den am S. December v. I. gemacht worden sind, ist nach länger als Monats¬ frist noch keine einzige erfüllt. Und auch sonst geschieht absolut nichts. Ein lebendiges Bild unseres jetzigen Zustandes gibt die Rede, mit welcher der Ge- heimrath v. Schenck in der Sitzung der Ständckammer am 21. d. M. den Be¬ richt des Ausschusses über den Octkerschen Antrag einleitete. Nach der steno¬ graphischen Aufzeichnung sagte Herr v. Schenck Folgendes: „Als durch die landesherrliche Verkündigung vom 21. Juni v. I. die Verfassung von 1831 wieder ins Leben trat, war das ganze Land mit Freude erfüllt, und in diese Freude mischte sich nicht der Wunsch nach neuem Streit, sondern der Wunsch nach Frieden und nach Versöhnung. Mit diesem Wunsche des Friedens und der Versöhnung sind die Wahlberechtigten zur Wahl geschritten, mit denselben Gefühlen sind die Abgeordneten in diesen Saal getreten; ich glaube nicht zu viel zu behaupten, wenn ich 5lese Gesinnung bei jedem von uns voraussetze. Fragen wir nun, mit welcher Gesinnung kam man uns ent¬ gegen; fanden wir einen versöhnenden Empfang in diesem Saale, fanden wir die Vorlage des längst erwarteten Gesetzes über die Begnadigung der politisch Verurtheilten, fanden wir die Absicht, diejenigen zu entschädigen, welche lieber ihre Existenz opferten, als von dem Verfassungseide losließen? Fanden wir die Ausgleichung über die enormen Lasten, welche einzelne Landestheile durch die, jetzt überall als unrechtmäßig erkannte Bundcscxccution tragen mußten, fanden wir die Vorlage der vielen erwarteten materiellen Gesetze, namentlich im Be¬ treff der Eisenbahnen, und fanden wir endlich und vor allen Dingen die Vor¬ lage über den Wegfall derjenigen Bestimmungen, welche seit 18S0 unser Gesetz¬ blatt füllen, unsere Verfassung in ihrer vollen Wirksamkeit beeinträchtigen? Dahin rechne ich vorzugsweise die Gemeindeordnung, das Staatsdienst¬ gesetz und das Gesetz über die Besetzung des Oberappcllationsgerichts. Leider muß ich sagen, daß wir von alle dem nichts vorfanden. Wir mußten oft und mehrfach die uns bestrittene Competenz durch feste und einmüthige Be¬ schlüsse erobern. Wir mußten Anträge stellen, meistens ohne Erfolg, um das zu- erlangen, womit man uns eigentlich von vornherein hätte entgegenkommen sollen. Sind doch die Verheißungen der landesherrlichen Verkündigung, welche heute vor sieben Monaten schon erlassen wurde. bis zu diesem Augenblicke noch nicht erfüllt.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_187493
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_187493/200
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_187493/200>, abgerufen am 24.11.2024.