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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band.

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zu verlangen Pflegt. Man gab ihm sogar ein Halstuch; wie bekannt, hatte
er auch einen sehr bequemen Hut und dazu eine anständige Fußbekleidung.

Nun aber bitte ich zu errathen, was vergessen worden war. -- Nun? --
Jürge hatte keine Hosenträger, und als Matthäus beim Wenden um das
Glockenhaus hastig an einen Stein fuhr, so siel ihm der weite Hut über die
Nase bis an das Kinn hinab, und zwei Ellen Tuch, in Freiheit gesetzt im un¬
glücklichsten Augenblicke von der Welt, rutschten dem Jürgen bis über die Fersen
hinunter. Da nun aber Jürge unter den zwei Ellen Tuch keine vier Ellen
Leinwand hatte, so war das Original der ganzen Kehrseite Jürgens für Jeder¬
mann vollkommen sichtbar und die ganze Gestalt, die im Winde flatternden
Frackschöße und alle Bewegungen des armen Jungen vervollständigten einen
Anblick, bei welchem man selbst noch in der Todesstunde lachen könnte.

So derb der Spaß ist, so ist er dennoch nicht zu stark für die alle
Stände und namentlich den ganzen Adel Polens zu Grunde richtende Sucht,
über seine Verhältnisse Hinauszugreisen. Trunk, Spiel und nie zu sättigende
Reiselust, die den Großen nach Warschau, Dresden, Paris, auch nach Italien
führt, den Kleinen wenigstens über die verschiedenen Pferdemärkte der Provinz
hintreibt, thun das Weitere.

"Nicht die böse Absicht der Regierung allein, sondern mehr die liederliche
Wirthschaft und der Luxus, die Speculation und das leidenschaftliche Kartenspiel
sind an unserem Ruin Schuld. Mancher, den ich noch vor einem Jahre als
wohlhabend kannte, ist heute schon bankerott. Wenn dies so fortgeht, wird
der ganze hiesige Adel in dreißig Jahren vollständig expropriirt sein." So kla¬
gen die -mträomosci polslcis 1859 No. 41 in einer Posener Korrespondenz.
Die No. 121 der Posener Zeitung vom Jahre 1861 gibt einen kleinen Beleg
zu dieser Jeremiade, indem sie das Verzeichnis^ von mehr als SO Gütern aller¬
meist polnischer Besitzer, im Werthe von etwa 4,000,000 Thlr. bringt, die
1861 unter den Hammer kamen.

Ein besonderes Kriterium der polnischen Wirthschaft, welches im merk¬
würdigsten Gegensatz zu der ganzen Persönlichkeit des Polen steht, ist der übel
angebrachte Geiz. Der gastfreie, verschwenderische Pole karge gegen seinen
Boden, wie gegen seine Leute, und dadurch macht er sich viel mehr arm, als
durch seinen Luxus.

In einer Gegend, deren Boden zu dem besten gerechnet wird, verpachten
die Besitzer einer Nachlaßmasse fünfzig Morgen Land an einen der geachtetsten
polnischen Ackerwirthe der Stadt auf sechs Jahre für ein Pauschquantum von
300 Thlr.; das wäre ein brillantes Geschäft, wenn der Pächter sich des Ackers
annehmen wollte. Der aber läßt sechsmal säen und sechsmal ernten, nimmt
die Erträge ein und gibt dann die Pacht an einen Andern, der es möglichen
Falls nicht viel besser macht.


zu verlangen Pflegt. Man gab ihm sogar ein Halstuch; wie bekannt, hatte
er auch einen sehr bequemen Hut und dazu eine anständige Fußbekleidung.

Nun aber bitte ich zu errathen, was vergessen worden war. — Nun? —
Jürge hatte keine Hosenträger, und als Matthäus beim Wenden um das
Glockenhaus hastig an einen Stein fuhr, so siel ihm der weite Hut über die
Nase bis an das Kinn hinab, und zwei Ellen Tuch, in Freiheit gesetzt im un¬
glücklichsten Augenblicke von der Welt, rutschten dem Jürgen bis über die Fersen
hinunter. Da nun aber Jürge unter den zwei Ellen Tuch keine vier Ellen
Leinwand hatte, so war das Original der ganzen Kehrseite Jürgens für Jeder¬
mann vollkommen sichtbar und die ganze Gestalt, die im Winde flatternden
Frackschöße und alle Bewegungen des armen Jungen vervollständigten einen
Anblick, bei welchem man selbst noch in der Todesstunde lachen könnte.

So derb der Spaß ist, so ist er dennoch nicht zu stark für die alle
Stände und namentlich den ganzen Adel Polens zu Grunde richtende Sucht,
über seine Verhältnisse Hinauszugreisen. Trunk, Spiel und nie zu sättigende
Reiselust, die den Großen nach Warschau, Dresden, Paris, auch nach Italien
führt, den Kleinen wenigstens über die verschiedenen Pferdemärkte der Provinz
hintreibt, thun das Weitere.

„Nicht die böse Absicht der Regierung allein, sondern mehr die liederliche
Wirthschaft und der Luxus, die Speculation und das leidenschaftliche Kartenspiel
sind an unserem Ruin Schuld. Mancher, den ich noch vor einem Jahre als
wohlhabend kannte, ist heute schon bankerott. Wenn dies so fortgeht, wird
der ganze hiesige Adel in dreißig Jahren vollständig expropriirt sein." So kla¬
gen die -mträomosci polslcis 1859 No. 41 in einer Posener Korrespondenz.
Die No. 121 der Posener Zeitung vom Jahre 1861 gibt einen kleinen Beleg
zu dieser Jeremiade, indem sie das Verzeichnis^ von mehr als SO Gütern aller¬
meist polnischer Besitzer, im Werthe von etwa 4,000,000 Thlr. bringt, die
1861 unter den Hammer kamen.

Ein besonderes Kriterium der polnischen Wirthschaft, welches im merk¬
würdigsten Gegensatz zu der ganzen Persönlichkeit des Polen steht, ist der übel
angebrachte Geiz. Der gastfreie, verschwenderische Pole karge gegen seinen
Boden, wie gegen seine Leute, und dadurch macht er sich viel mehr arm, als
durch seinen Luxus.

In einer Gegend, deren Boden zu dem besten gerechnet wird, verpachten
die Besitzer einer Nachlaßmasse fünfzig Morgen Land an einen der geachtetsten
polnischen Ackerwirthe der Stadt auf sechs Jahre für ein Pauschquantum von
300 Thlr.; das wäre ein brillantes Geschäft, wenn der Pächter sich des Ackers
annehmen wollte. Der aber läßt sechsmal säen und sechsmal ernten, nimmt
die Erträge ein und gibt dann die Pacht an einen Andern, der es möglichen
Falls nicht viel besser macht.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_187493/178>, abgerufen am 26.11.2024.