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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band.

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Ebenso wurden die Regimentsschulen von den Regimentern getrennt und
in fünf selbständige Artillerieschulcompagnien umgewandelt, welche zu den Erzie¬
hungsanstalten der Armee gerechnet wurden. Zugleich Wune der alte Feldzeug¬
meister Augustin zum Generalartilleriedirector ernannt. Dieser General, in früheren
Jahren wirklich ein ausgezeichneter Offizier, hatte sich zu dieser Zeit aber längst
überlebt und besaß außerdem zu viele Schwächen, um ein so großes Werk wie
die Reorganisirung der Artillerie eines Militärstaates vom ersten Range mit
Erfolg durchzuführen und seinen Anordnungen nach oben wie nach unten mit der
erforderlichen Würde und Energie Geltung zu verschaffen. Um sich nur auf
seinem Posten zu erhalten, gab er zu allen Vorschlägen, welche von Grünne,
Csvrich und andern ebenso unwissenden, als der Artillerie feindlich gesinnten
Männern gemacht wurden, bereitwillig seine Zustimmung.

Die Bespannung bildete nunmehr einen integrirenden Theil der Batterie,
und es war daher dem Artilleristen eine bessere Kenntniß des Pferdewesens
und eine größere Fertigkeit im Reiten nöthig. Man errichtete eigene Artillerie-
equitaüonen, theilte in diesem Fache besonders geschickte Offiziere der, Kavallerie
und des Fahrwesens bei der Artillerie ein, legte Reitbahnen und Winterreit¬
schulen an und belohnte diejenigen, welche sich durch ihren Eifer und ihr
Geschick besonders auszeichneten, durch Beförderung und auf andere Weise.
In der That ließen sich auch die Artilleristen die Sache angelegen sein, und bald
überflügelten die Equitationen (Reitlehranstalten) der Artillerie jene der Cavallerie
hinsichtlich der Leistungen ihrer Schüler und der vortrefflichen Dressur ihrer Pferde.

Aber man übertrieb die Sache. So wie früher die Mathematik das Lieb-
lingssteckenpferd aller Artilleristen gewesen war, so bildete jetzt die Reitkunst
den Inbegriff aller artilleristischen Tüchtigkeit. Gute Reiter und Fahrer wurden
jetzt allen Andern vorgezogen, und derjenige, welcher hierin excellirte und leid¬
lich exercjren konnte, galt, wenn er auch in jeder andern Beziehung der
ärgste Ignorant war, als vortrefflicher Artillerieoffizier. Selbst diejenigen
älteren Offiziere, welche das Nachtheilige dieser Uebertreibung erkannten, mußten
gegen ihre Ueberzeugung handeln und sich als eingefleischte Pferdeliebhaber und
Drillmänner geberden, da der Impuls hierzu von den obersten Befehlshabern
ausging. Die commandirenden Generale und vor Allem der Kaiser .wollten
die Artillerie nicht in dem Lehrsaale oder aus dem Versuchs- und Uebungs-
piatze, sondern nur auf dem Paradeplatze und auf der Reitbahn sehn. Wenn
ein fremder König oder Prinz nach Wien kam, so mußte derselbe gewiß am
nächsten Tage einer Parade und am dritten Tage einer Production der Schüler
der Artillerieequitativn beiwohnen. Die Intelligenz wurde nicht geachtet, ja
als eine überflüssige Pedanterie verhöhnt und zog sich in die Festungsbataillone
zurück, bei welchen letzteren die Unteroffiziere und Kanoniere noch einige Kennt¬
nisse und Erfahrung bewahrt hatten.


Ebenso wurden die Regimentsschulen von den Regimentern getrennt und
in fünf selbständige Artillerieschulcompagnien umgewandelt, welche zu den Erzie¬
hungsanstalten der Armee gerechnet wurden. Zugleich Wune der alte Feldzeug¬
meister Augustin zum Generalartilleriedirector ernannt. Dieser General, in früheren
Jahren wirklich ein ausgezeichneter Offizier, hatte sich zu dieser Zeit aber längst
überlebt und besaß außerdem zu viele Schwächen, um ein so großes Werk wie
die Reorganisirung der Artillerie eines Militärstaates vom ersten Range mit
Erfolg durchzuführen und seinen Anordnungen nach oben wie nach unten mit der
erforderlichen Würde und Energie Geltung zu verschaffen. Um sich nur auf
seinem Posten zu erhalten, gab er zu allen Vorschlägen, welche von Grünne,
Csvrich und andern ebenso unwissenden, als der Artillerie feindlich gesinnten
Männern gemacht wurden, bereitwillig seine Zustimmung.

Die Bespannung bildete nunmehr einen integrirenden Theil der Batterie,
und es war daher dem Artilleristen eine bessere Kenntniß des Pferdewesens
und eine größere Fertigkeit im Reiten nöthig. Man errichtete eigene Artillerie-
equitaüonen, theilte in diesem Fache besonders geschickte Offiziere der, Kavallerie
und des Fahrwesens bei der Artillerie ein, legte Reitbahnen und Winterreit¬
schulen an und belohnte diejenigen, welche sich durch ihren Eifer und ihr
Geschick besonders auszeichneten, durch Beförderung und auf andere Weise.
In der That ließen sich auch die Artilleristen die Sache angelegen sein, und bald
überflügelten die Equitationen (Reitlehranstalten) der Artillerie jene der Cavallerie
hinsichtlich der Leistungen ihrer Schüler und der vortrefflichen Dressur ihrer Pferde.

Aber man übertrieb die Sache. So wie früher die Mathematik das Lieb-
lingssteckenpferd aller Artilleristen gewesen war, so bildete jetzt die Reitkunst
den Inbegriff aller artilleristischen Tüchtigkeit. Gute Reiter und Fahrer wurden
jetzt allen Andern vorgezogen, und derjenige, welcher hierin excellirte und leid¬
lich exercjren konnte, galt, wenn er auch in jeder andern Beziehung der
ärgste Ignorant war, als vortrefflicher Artillerieoffizier. Selbst diejenigen
älteren Offiziere, welche das Nachtheilige dieser Uebertreibung erkannten, mußten
gegen ihre Ueberzeugung handeln und sich als eingefleischte Pferdeliebhaber und
Drillmänner geberden, da der Impuls hierzu von den obersten Befehlshabern
ausging. Die commandirenden Generale und vor Allem der Kaiser .wollten
die Artillerie nicht in dem Lehrsaale oder aus dem Versuchs- und Uebungs-
piatze, sondern nur auf dem Paradeplatze und auf der Reitbahn sehn. Wenn
ein fremder König oder Prinz nach Wien kam, so mußte derselbe gewiß am
nächsten Tage einer Parade und am dritten Tage einer Production der Schüler
der Artillerieequitativn beiwohnen. Die Intelligenz wurde nicht geachtet, ja
als eine überflüssige Pedanterie verhöhnt und zog sich in die Festungsbataillone
zurück, bei welchen letzteren die Unteroffiziere und Kanoniere noch einige Kennt¬
nisse und Erfahrung bewahrt hatten.


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[0159] Ebenso wurden die Regimentsschulen von den Regimentern getrennt und in fünf selbständige Artillerieschulcompagnien umgewandelt, welche zu den Erzie¬ hungsanstalten der Armee gerechnet wurden. Zugleich Wune der alte Feldzeug¬ meister Augustin zum Generalartilleriedirector ernannt. Dieser General, in früheren Jahren wirklich ein ausgezeichneter Offizier, hatte sich zu dieser Zeit aber längst überlebt und besaß außerdem zu viele Schwächen, um ein so großes Werk wie die Reorganisirung der Artillerie eines Militärstaates vom ersten Range mit Erfolg durchzuführen und seinen Anordnungen nach oben wie nach unten mit der erforderlichen Würde und Energie Geltung zu verschaffen. Um sich nur auf seinem Posten zu erhalten, gab er zu allen Vorschlägen, welche von Grünne, Csvrich und andern ebenso unwissenden, als der Artillerie feindlich gesinnten Männern gemacht wurden, bereitwillig seine Zustimmung. Die Bespannung bildete nunmehr einen integrirenden Theil der Batterie, und es war daher dem Artilleristen eine bessere Kenntniß des Pferdewesens und eine größere Fertigkeit im Reiten nöthig. Man errichtete eigene Artillerie- equitaüonen, theilte in diesem Fache besonders geschickte Offiziere der, Kavallerie und des Fahrwesens bei der Artillerie ein, legte Reitbahnen und Winterreit¬ schulen an und belohnte diejenigen, welche sich durch ihren Eifer und ihr Geschick besonders auszeichneten, durch Beförderung und auf andere Weise. In der That ließen sich auch die Artilleristen die Sache angelegen sein, und bald überflügelten die Equitationen (Reitlehranstalten) der Artillerie jene der Cavallerie hinsichtlich der Leistungen ihrer Schüler und der vortrefflichen Dressur ihrer Pferde. Aber man übertrieb die Sache. So wie früher die Mathematik das Lieb- lingssteckenpferd aller Artilleristen gewesen war, so bildete jetzt die Reitkunst den Inbegriff aller artilleristischen Tüchtigkeit. Gute Reiter und Fahrer wurden jetzt allen Andern vorgezogen, und derjenige, welcher hierin excellirte und leid¬ lich exercjren konnte, galt, wenn er auch in jeder andern Beziehung der ärgste Ignorant war, als vortrefflicher Artillerieoffizier. Selbst diejenigen älteren Offiziere, welche das Nachtheilige dieser Uebertreibung erkannten, mußten gegen ihre Ueberzeugung handeln und sich als eingefleischte Pferdeliebhaber und Drillmänner geberden, da der Impuls hierzu von den obersten Befehlshabern ausging. Die commandirenden Generale und vor Allem der Kaiser .wollten die Artillerie nicht in dem Lehrsaale oder aus dem Versuchs- und Uebungs- piatze, sondern nur auf dem Paradeplatze und auf der Reitbahn sehn. Wenn ein fremder König oder Prinz nach Wien kam, so mußte derselbe gewiß am nächsten Tage einer Parade und am dritten Tage einer Production der Schüler der Artillerieequitativn beiwohnen. Die Intelligenz wurde nicht geachtet, ja als eine überflüssige Pedanterie verhöhnt und zog sich in die Festungsbataillone zurück, bei welchen letzteren die Unteroffiziere und Kanoniere noch einige Kennt¬ nisse und Erfahrung bewahrt hatten.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_187493/159>, abgerufen am 24.11.2024.