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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band.

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Verbindung, hatten von der fast bei der gesammten Bevölkerung herrschenden
Unzufriedenheit bessere Kenntniß als die Soldaten irgend eines andern
Truppenkörpers. Es fehlte nicht an Liberalen, welche mit "Studenten und
Ausländern" -- mit diesen Namen bezeichnete die Polizei die Gegner des
Metternichschen Systems -- Zusammenkünfte hielten und über Politik und die
Nothwendigkeit einer Reform im östreichischen Negierungswesen sich besprachen,
verbotene Bücher und Journale lasen und eine humanere Behandlung der
Soldaten begehrten.

Als die zunehmende Theuerung der Lebensmittel einen Volksaufstand
in Wien befürchten ließ, traf die Regierung verschiedene Vorsichtsmaßregeln
und bewaffnete unter Anderm die in der Residenz garnisonirende zahlreiche
Artillerie mit Jnfanteriegcwehren, um sie in den Straßen gleich einer andern
Truppe verwenden zu können. Später wurde ein Theil der Mannschaft con-
signirt und mußte vollständig gerüstet in beständiger Bereitschaft verbleiben.
Ein Hauptmann setzte seine Untergebenen von dieser Anordnung in Kennt¬
niß und verbot zugleich, von dieser Sache "außer der Kaserne etwas zu er¬
zählen", damit, wie er sich ausdrückte, "die armen Leute nicht erführen, daß
man sie, weil sie nichts zu essen hätten, auch noch todtschießen wolle." Daß
diese freimüthige Aeußerung, obgleich sie höheren Orts ganz wohl bekannt
wurde, dem Betreffenden nicht einmal eine Rüge zuzog, war wohl das Merk¬
würdigste an der Sache und ein sicheres Zeichen des sich vorbereitenden Um¬
schwunges.

In den Märztagen besetzte die Artillerie mehre Punkte der inneren Stadt
und der Vorstädte, jedoch kam es nirgends zwischen ihr und der Bevölkerung
zu einem Conflict. Die Märzerrungenschaften wurden auch bei der Artillerie
mit Jubel begrüßt, und die nächstfolgenden Tage fraternisirte besonders das
Bombardiercorps mit den Studirenden und dem gebildeteren Theile der Bevöl¬
kerung, ja einzelne Bombardiere erschienen sogar mit angehefteten schwarz¬
roth-goldenen Bändern und Kokarden, Natürlich erregte diese Haltung des
Corps die höchste Erbitterung der konservativen Partei und war die Haupt¬
ursache der nachmaligen Auflösung dieser Truppe.

Die vielverbreitete Erzählung von dem Feuerwerker, welcher sich vor die
Mündung seines Geschützes gestellt und ausgerufen haben sollte, "daß nur
durch seinen Leib die gegen das Volk gerichteten Kugeln dringen dürften", ist
eine Fabel oder eigentlich eine tendenziöse Ausschmückung und Verdrehung eines
ganz unbedeutenden Factums. Ein Oberfeuerwerker, welcher eines der vor der
Burg aufgestellten Geschütze befehligte, wurde von einem Erzherzog beauftragt,
im Falle das Volk in feindlicher Absicht heranbringen sollte, Feuer zu geben.
Da er aber sah, daß der Prinz ihn für den Befehlshaber sämmtlicher Ge¬
schütze halte, so verwies er wie natürlich jenen an seinen vorgesetzten Offizier,


Verbindung, hatten von der fast bei der gesammten Bevölkerung herrschenden
Unzufriedenheit bessere Kenntniß als die Soldaten irgend eines andern
Truppenkörpers. Es fehlte nicht an Liberalen, welche mit „Studenten und
Ausländern" — mit diesen Namen bezeichnete die Polizei die Gegner des
Metternichschen Systems — Zusammenkünfte hielten und über Politik und die
Nothwendigkeit einer Reform im östreichischen Negierungswesen sich besprachen,
verbotene Bücher und Journale lasen und eine humanere Behandlung der
Soldaten begehrten.

Als die zunehmende Theuerung der Lebensmittel einen Volksaufstand
in Wien befürchten ließ, traf die Regierung verschiedene Vorsichtsmaßregeln
und bewaffnete unter Anderm die in der Residenz garnisonirende zahlreiche
Artillerie mit Jnfanteriegcwehren, um sie in den Straßen gleich einer andern
Truppe verwenden zu können. Später wurde ein Theil der Mannschaft con-
signirt und mußte vollständig gerüstet in beständiger Bereitschaft verbleiben.
Ein Hauptmann setzte seine Untergebenen von dieser Anordnung in Kennt¬
niß und verbot zugleich, von dieser Sache „außer der Kaserne etwas zu er¬
zählen", damit, wie er sich ausdrückte, „die armen Leute nicht erführen, daß
man sie, weil sie nichts zu essen hätten, auch noch todtschießen wolle." Daß
diese freimüthige Aeußerung, obgleich sie höheren Orts ganz wohl bekannt
wurde, dem Betreffenden nicht einmal eine Rüge zuzog, war wohl das Merk¬
würdigste an der Sache und ein sicheres Zeichen des sich vorbereitenden Um¬
schwunges.

In den Märztagen besetzte die Artillerie mehre Punkte der inneren Stadt
und der Vorstädte, jedoch kam es nirgends zwischen ihr und der Bevölkerung
zu einem Conflict. Die Märzerrungenschaften wurden auch bei der Artillerie
mit Jubel begrüßt, und die nächstfolgenden Tage fraternisirte besonders das
Bombardiercorps mit den Studirenden und dem gebildeteren Theile der Bevöl¬
kerung, ja einzelne Bombardiere erschienen sogar mit angehefteten schwarz¬
roth-goldenen Bändern und Kokarden, Natürlich erregte diese Haltung des
Corps die höchste Erbitterung der konservativen Partei und war die Haupt¬
ursache der nachmaligen Auflösung dieser Truppe.

Die vielverbreitete Erzählung von dem Feuerwerker, welcher sich vor die
Mündung seines Geschützes gestellt und ausgerufen haben sollte, „daß nur
durch seinen Leib die gegen das Volk gerichteten Kugeln dringen dürften", ist
eine Fabel oder eigentlich eine tendenziöse Ausschmückung und Verdrehung eines
ganz unbedeutenden Factums. Ein Oberfeuerwerker, welcher eines der vor der
Burg aufgestellten Geschütze befehligte, wurde von einem Erzherzog beauftragt,
im Falle das Volk in feindlicher Absicht heranbringen sollte, Feuer zu geben.
Da er aber sah, daß der Prinz ihn für den Befehlshaber sämmtlicher Ge¬
schütze halte, so verwies er wie natürlich jenen an seinen vorgesetzten Offizier,


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[0156] Verbindung, hatten von der fast bei der gesammten Bevölkerung herrschenden Unzufriedenheit bessere Kenntniß als die Soldaten irgend eines andern Truppenkörpers. Es fehlte nicht an Liberalen, welche mit „Studenten und Ausländern" — mit diesen Namen bezeichnete die Polizei die Gegner des Metternichschen Systems — Zusammenkünfte hielten und über Politik und die Nothwendigkeit einer Reform im östreichischen Negierungswesen sich besprachen, verbotene Bücher und Journale lasen und eine humanere Behandlung der Soldaten begehrten. Als die zunehmende Theuerung der Lebensmittel einen Volksaufstand in Wien befürchten ließ, traf die Regierung verschiedene Vorsichtsmaßregeln und bewaffnete unter Anderm die in der Residenz garnisonirende zahlreiche Artillerie mit Jnfanteriegcwehren, um sie in den Straßen gleich einer andern Truppe verwenden zu können. Später wurde ein Theil der Mannschaft con- signirt und mußte vollständig gerüstet in beständiger Bereitschaft verbleiben. Ein Hauptmann setzte seine Untergebenen von dieser Anordnung in Kennt¬ niß und verbot zugleich, von dieser Sache „außer der Kaserne etwas zu er¬ zählen", damit, wie er sich ausdrückte, „die armen Leute nicht erführen, daß man sie, weil sie nichts zu essen hätten, auch noch todtschießen wolle." Daß diese freimüthige Aeußerung, obgleich sie höheren Orts ganz wohl bekannt wurde, dem Betreffenden nicht einmal eine Rüge zuzog, war wohl das Merk¬ würdigste an der Sache und ein sicheres Zeichen des sich vorbereitenden Um¬ schwunges. In den Märztagen besetzte die Artillerie mehre Punkte der inneren Stadt und der Vorstädte, jedoch kam es nirgends zwischen ihr und der Bevölkerung zu einem Conflict. Die Märzerrungenschaften wurden auch bei der Artillerie mit Jubel begrüßt, und die nächstfolgenden Tage fraternisirte besonders das Bombardiercorps mit den Studirenden und dem gebildeteren Theile der Bevöl¬ kerung, ja einzelne Bombardiere erschienen sogar mit angehefteten schwarz¬ roth-goldenen Bändern und Kokarden, Natürlich erregte diese Haltung des Corps die höchste Erbitterung der konservativen Partei und war die Haupt¬ ursache der nachmaligen Auflösung dieser Truppe. Die vielverbreitete Erzählung von dem Feuerwerker, welcher sich vor die Mündung seines Geschützes gestellt und ausgerufen haben sollte, „daß nur durch seinen Leib die gegen das Volk gerichteten Kugeln dringen dürften", ist eine Fabel oder eigentlich eine tendenziöse Ausschmückung und Verdrehung eines ganz unbedeutenden Factums. Ein Oberfeuerwerker, welcher eines der vor der Burg aufgestellten Geschütze befehligte, wurde von einem Erzherzog beauftragt, im Falle das Volk in feindlicher Absicht heranbringen sollte, Feuer zu geben. Da er aber sah, daß der Prinz ihn für den Befehlshaber sämmtlicher Ge¬ schütze halte, so verwies er wie natürlich jenen an seinen vorgesetzten Offizier,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_187493/156>, abgerufen am 24.11.2024.