Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band.Sie erklärt ganz offen, daß, da die Bedingung nicht erfüllt sei, zwischen Re. Der tiefe Zwiespalt zwischen den Ständen und dem von der Staats¬ Sie erklärt ganz offen, daß, da die Bedingung nicht erfüllt sei, zwischen Re. Der tiefe Zwiespalt zwischen den Ständen und dem von der Staats¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0149" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/187643"/> <p xml:id="ID_576" prev="#ID_575"> Sie erklärt ganz offen, daß, da die Bedingung nicht erfüllt sei, zwischen Re.<lb/> gierung und Ständen eine Vereinbarung nicht stattgefunden habe, daß also das<lb/> Gesetz nicht auf verfassungsmäßigen Wege zu Stande gekommen sei und daher<lb/> nicht hätte publicirt werden dürfen, und fährt dann fort: „Wie die Sache jetzt<lb/> liegt., gereicht sie den Ständen zur größten Beschwerde, indem jetzt nicht allein<lb/> gesetzlich im Anlaute zulässige Trauungen durch Inhibitorien des Oberkirchen-<lb/> ratbs unmöglich gemacht werden, sondern auch, durch die Versagung der Pro-<lb/> clamation im Anlaute, gesetzlich erlaubte Trauungen Geschiedener im Auslande<lb/> mit Strafen belegt werden. Wie aber, fragen wir billig, ist es möglich, daß<lb/> Jemand in Untersuchung, ja in Strafe genommen werde, wenn er eine erlaubte<lb/> Handlung begeht, d. h. sich im Auslande trauen läßt, nachdem ihm die Trauung<lb/> durch rechtskräftiges Erkenntniß, ja vielleicht im Namen Sr. K. H. des Groß-<lb/> herzogs selbst, ausdrücklich erlaubt worden ist? Widerspricht es nicht der Würde,<lb/> dem Ansehen der Gerichte, wenn sie Unschuldige zur Strafe ziehen sollen, wenn<lb/> diesen blos deshalb eine Gefängnißstrafe bis zu drei Monaten aufzuerlegen ist,<lb/> weil sie die Proclamation, die ihnen nach den bestehenden Landesgesetzen nicht<lb/> versagt werden durfte und dennoch versagt wurde, nicht erreichen konnten und<lb/> nun ohne Proclamation sich im Auslande trauen ließen? Hat endlich nicht das<lb/> Gewissen des Richters gleichen Anspruch auf Berücksichtigung wie das eines<lb/> Predigers? Ein Strafgesetz, das ein Gericht zwingt zu bestrafen, was gesetzlich<lb/> erlaubt ist, ist eine solche Abnormität, daß sie nicht, von Bestand bleiben darf.<lb/> Stände haben aber auch die Berücksichtigung der Wiedertrauung Geschiedener<lb/> im Auslande, denen im Inlande aus ungesetzlichen Gründen die Trauung ver¬<lb/> sagt wurde, schon in ihrer ersten unter dem 12. März 1861 abgegebenen Er¬<lb/> klärung so bestimmt im Gesetze verlangt, daß sie im Falle der Nichtberücksich-<lb/> tigung die ständische Erklärung als eine den Entwurf ablehnende betrachtet<lb/> sehen wollen. Demnach glaubt das Juflizcomite. daß in der weiter abzugeben¬<lb/> den ständischen Verwahrung gegen die Publication jenes Gesetzes, das in seiner<lb/> jetzigen Fassung und so lange die Circularöerordnung bei Bestand bleibt, nicht<lb/> legal zu Stande gekommen ist, das ganze Gewicht der ständischen Beschwerde<lb/> gegen die oberkirchcnräthliche Circularverordnung zu richten sei. Zugleich möchte<lb/> es aber nöthig sein, auch die Bitte um die oben erwähnte Weisung Sr. K. H.<lb/> dringend und deshalb in Hoffnung auf Gewährung der Bitte zu wiederholen,<lb/> weil dadurch erst wieder ein Rechtsgebiet seine gesetzliche Begrenzung erhält,<lb/> welches der Oberkirchenrath durch unberechtigtes Hineinbringen kirchlicher Fragen<lb/> verwirrt hat." Auch mit diesem Antrag und seiner Motivirung erklärte sich die<lb/> Landtagsversammlung ohne Abstimmung einverstanden.</p><lb/> <p xml:id="ID_577" next="#ID_578"> Der tiefe Zwiespalt zwischen den Ständen und dem von der Staats¬<lb/> regierung in Schutz genommenen Kirchenregiment zeigte sich auch noch an einem<lb/> weiteren Streitpunkt, welcher den Landtag schon seit vier Jahren beschäsngt</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0149]
Sie erklärt ganz offen, daß, da die Bedingung nicht erfüllt sei, zwischen Re.
gierung und Ständen eine Vereinbarung nicht stattgefunden habe, daß also das
Gesetz nicht auf verfassungsmäßigen Wege zu Stande gekommen sei und daher
nicht hätte publicirt werden dürfen, und fährt dann fort: „Wie die Sache jetzt
liegt., gereicht sie den Ständen zur größten Beschwerde, indem jetzt nicht allein
gesetzlich im Anlaute zulässige Trauungen durch Inhibitorien des Oberkirchen-
ratbs unmöglich gemacht werden, sondern auch, durch die Versagung der Pro-
clamation im Anlaute, gesetzlich erlaubte Trauungen Geschiedener im Auslande
mit Strafen belegt werden. Wie aber, fragen wir billig, ist es möglich, daß
Jemand in Untersuchung, ja in Strafe genommen werde, wenn er eine erlaubte
Handlung begeht, d. h. sich im Auslande trauen läßt, nachdem ihm die Trauung
durch rechtskräftiges Erkenntniß, ja vielleicht im Namen Sr. K. H. des Groß-
herzogs selbst, ausdrücklich erlaubt worden ist? Widerspricht es nicht der Würde,
dem Ansehen der Gerichte, wenn sie Unschuldige zur Strafe ziehen sollen, wenn
diesen blos deshalb eine Gefängnißstrafe bis zu drei Monaten aufzuerlegen ist,
weil sie die Proclamation, die ihnen nach den bestehenden Landesgesetzen nicht
versagt werden durfte und dennoch versagt wurde, nicht erreichen konnten und
nun ohne Proclamation sich im Auslande trauen ließen? Hat endlich nicht das
Gewissen des Richters gleichen Anspruch auf Berücksichtigung wie das eines
Predigers? Ein Strafgesetz, das ein Gericht zwingt zu bestrafen, was gesetzlich
erlaubt ist, ist eine solche Abnormität, daß sie nicht, von Bestand bleiben darf.
Stände haben aber auch die Berücksichtigung der Wiedertrauung Geschiedener
im Auslande, denen im Inlande aus ungesetzlichen Gründen die Trauung ver¬
sagt wurde, schon in ihrer ersten unter dem 12. März 1861 abgegebenen Er¬
klärung so bestimmt im Gesetze verlangt, daß sie im Falle der Nichtberücksich-
tigung die ständische Erklärung als eine den Entwurf ablehnende betrachtet
sehen wollen. Demnach glaubt das Juflizcomite. daß in der weiter abzugeben¬
den ständischen Verwahrung gegen die Publication jenes Gesetzes, das in seiner
jetzigen Fassung und so lange die Circularöerordnung bei Bestand bleibt, nicht
legal zu Stande gekommen ist, das ganze Gewicht der ständischen Beschwerde
gegen die oberkirchcnräthliche Circularverordnung zu richten sei. Zugleich möchte
es aber nöthig sein, auch die Bitte um die oben erwähnte Weisung Sr. K. H.
dringend und deshalb in Hoffnung auf Gewährung der Bitte zu wiederholen,
weil dadurch erst wieder ein Rechtsgebiet seine gesetzliche Begrenzung erhält,
welches der Oberkirchenrath durch unberechtigtes Hineinbringen kirchlicher Fragen
verwirrt hat." Auch mit diesem Antrag und seiner Motivirung erklärte sich die
Landtagsversammlung ohne Abstimmung einverstanden.
Der tiefe Zwiespalt zwischen den Ständen und dem von der Staats¬
regierung in Schutz genommenen Kirchenregiment zeigte sich auch noch an einem
weiteren Streitpunkt, welcher den Landtag schon seit vier Jahren beschäsngt
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