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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band.

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Der mecklenburgische Landtag von 1862.
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So einig auch Regierung und Stände in politischen Dingen waren, so
vielen Anlaß zu Streitigkeiten gab es seit Jahren aus dem Gebiet des Kirchen-
wesens, namentlich im Großherzogthum Mecklenburg-Schwerin, wo noch während
der constitutionellen Aera in dem Oberkirchenrath eine von der Staatsregierung
unabhängige, in unmittelbarer Beziehung zum Landesherr" als Oberbischof
stehende höchste Kirchenbchörde geschaffen war, welche die Stände als verfassungs¬
mäßiges Organ bisher nicht anerkannt und in deren Anordnungen sie schon
mehrfach Grund zur Beschwerdesührnng gefunden hatten. Die Landschaft fast
ohne Ausnahme und dazu ein großer Theil der Ritterschaft waren Gegner der
in dem Oberkirchenrath, dessen Seele Kliesoth ist, repräsentirten und auf die
Mehrzahl der Pastoren der Landeskirche, zumal die jüngeren, übergegangenen
modernen Kachlichkeit. Auch die orthodox gesinnten Mitglieder der Ritterschaft
waren nur theilweise mit der Richtung des Kliesotbschen Kirchenregiments ein¬
verstanden, indem es unter ihnen auch solche gab, welche die Macht und Wirk¬
samkeit der Kirche wohl im Uebrigen schalten und dankbar sich gefallen ließe",
aber doch verlangten, daß das Kirchenregimcnt sich vor allen Kollisionen und
dem Competenzkreise der Stände hüte und nicht als selbständige Macht neben
den staatlichen Organen eine Wirksamkeit üben wolle.

Auch auf dem Landtage von 1862 trat die Mißstimmung der Stände gegen
das Kirchenrcgiment an mehr als einem Punkte und in größerer Schärfe als
bisher hervor.

Zunächst war es eine Anordnung des Oberkirchenraths in Betreff der
Wiedertrauung geschiedener Eheleute, worin die Landtagsversammlung einen Ein¬
griff in ti^ Landesgesetzgebung und daher einen Grund zu lebhafter Beschwerde
fand. Der Oberkirchenrath hatte unter dem 4. Juni 1860 die Geistlichen an¬
gewiesen, geschiedenen Eheleuten auch in den Fällen, wo die Eingehung einer
neuen Ehe durch richterliches Erkenntniß ausdrücklich gestattet war, nur nach
Einholung seiner Genehmigung die erbetene Trauung zu gewähren. Nachdem
die Stände schon im Jahre vorher die Zurücknahme dieser Anordnung verlangt,
hatte ein großhcrzoglichcs Rescript vom 10. Mai 1862 sich zu Gunsten derselben
ausgesprochen. Die Landtagsversammlung beharrte jedoch bei ihrer Ueberzeugung,
verwahrte sich gegen die in dem großherzoglichen Rescript enthaltenen Anschau¬
ungen und beantragte wiederholt die Zurücknahme der Anordnung.

Das Gutachten der Landtagscommisston, welches diesem Beschlusse zu
Grunde lag, erklärt sich über den Charakter der Maßnahme des Obertirchen-
raths mit folgenden scharfen Worten:

"Dem vollberechtigter Verlangen des unschuldigen Ehegatten, nicht im


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Der mecklenburgische Landtag von 1862.
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So einig auch Regierung und Stände in politischen Dingen waren, so
vielen Anlaß zu Streitigkeiten gab es seit Jahren aus dem Gebiet des Kirchen-
wesens, namentlich im Großherzogthum Mecklenburg-Schwerin, wo noch während
der constitutionellen Aera in dem Oberkirchenrath eine von der Staatsregierung
unabhängige, in unmittelbarer Beziehung zum Landesherr» als Oberbischof
stehende höchste Kirchenbchörde geschaffen war, welche die Stände als verfassungs¬
mäßiges Organ bisher nicht anerkannt und in deren Anordnungen sie schon
mehrfach Grund zur Beschwerdesührnng gefunden hatten. Die Landschaft fast
ohne Ausnahme und dazu ein großer Theil der Ritterschaft waren Gegner der
in dem Oberkirchenrath, dessen Seele Kliesoth ist, repräsentirten und auf die
Mehrzahl der Pastoren der Landeskirche, zumal die jüngeren, übergegangenen
modernen Kachlichkeit. Auch die orthodox gesinnten Mitglieder der Ritterschaft
waren nur theilweise mit der Richtung des Kliesotbschen Kirchenregiments ein¬
verstanden, indem es unter ihnen auch solche gab, welche die Macht und Wirk¬
samkeit der Kirche wohl im Uebrigen schalten und dankbar sich gefallen ließe»,
aber doch verlangten, daß das Kirchenregimcnt sich vor allen Kollisionen und
dem Competenzkreise der Stände hüte und nicht als selbständige Macht neben
den staatlichen Organen eine Wirksamkeit üben wolle.

Auch auf dem Landtage von 1862 trat die Mißstimmung der Stände gegen
das Kirchenrcgiment an mehr als einem Punkte und in größerer Schärfe als
bisher hervor.

Zunächst war es eine Anordnung des Oberkirchenraths in Betreff der
Wiedertrauung geschiedener Eheleute, worin die Landtagsversammlung einen Ein¬
griff in ti^ Landesgesetzgebung und daher einen Grund zu lebhafter Beschwerde
fand. Der Oberkirchenrath hatte unter dem 4. Juni 1860 die Geistlichen an¬
gewiesen, geschiedenen Eheleuten auch in den Fällen, wo die Eingehung einer
neuen Ehe durch richterliches Erkenntniß ausdrücklich gestattet war, nur nach
Einholung seiner Genehmigung die erbetene Trauung zu gewähren. Nachdem
die Stände schon im Jahre vorher die Zurücknahme dieser Anordnung verlangt,
hatte ein großhcrzoglichcs Rescript vom 10. Mai 1862 sich zu Gunsten derselben
ausgesprochen. Die Landtagsversammlung beharrte jedoch bei ihrer Ueberzeugung,
verwahrte sich gegen die in dem großherzoglichen Rescript enthaltenen Anschau¬
ungen und beantragte wiederholt die Zurücknahme der Anordnung.

Das Gutachten der Landtagscommisston, welches diesem Beschlusse zu
Grunde lag, erklärt sich über den Charakter der Maßnahme des Obertirchen-
raths mit folgenden scharfen Worten:

„Dem vollberechtigter Verlangen des unschuldigen Ehegatten, nicht im


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[0147] Der mecklenburgische Landtag von 1862. ,, ^ >2n , So einig auch Regierung und Stände in politischen Dingen waren, so vielen Anlaß zu Streitigkeiten gab es seit Jahren aus dem Gebiet des Kirchen- wesens, namentlich im Großherzogthum Mecklenburg-Schwerin, wo noch während der constitutionellen Aera in dem Oberkirchenrath eine von der Staatsregierung unabhängige, in unmittelbarer Beziehung zum Landesherr» als Oberbischof stehende höchste Kirchenbchörde geschaffen war, welche die Stände als verfassungs¬ mäßiges Organ bisher nicht anerkannt und in deren Anordnungen sie schon mehrfach Grund zur Beschwerdesührnng gefunden hatten. Die Landschaft fast ohne Ausnahme und dazu ein großer Theil der Ritterschaft waren Gegner der in dem Oberkirchenrath, dessen Seele Kliesoth ist, repräsentirten und auf die Mehrzahl der Pastoren der Landeskirche, zumal die jüngeren, übergegangenen modernen Kachlichkeit. Auch die orthodox gesinnten Mitglieder der Ritterschaft waren nur theilweise mit der Richtung des Kliesotbschen Kirchenregiments ein¬ verstanden, indem es unter ihnen auch solche gab, welche die Macht und Wirk¬ samkeit der Kirche wohl im Uebrigen schalten und dankbar sich gefallen ließe», aber doch verlangten, daß das Kirchenregimcnt sich vor allen Kollisionen und dem Competenzkreise der Stände hüte und nicht als selbständige Macht neben den staatlichen Organen eine Wirksamkeit üben wolle. Auch auf dem Landtage von 1862 trat die Mißstimmung der Stände gegen das Kirchenrcgiment an mehr als einem Punkte und in größerer Schärfe als bisher hervor. Zunächst war es eine Anordnung des Oberkirchenraths in Betreff der Wiedertrauung geschiedener Eheleute, worin die Landtagsversammlung einen Ein¬ griff in ti^ Landesgesetzgebung und daher einen Grund zu lebhafter Beschwerde fand. Der Oberkirchenrath hatte unter dem 4. Juni 1860 die Geistlichen an¬ gewiesen, geschiedenen Eheleuten auch in den Fällen, wo die Eingehung einer neuen Ehe durch richterliches Erkenntniß ausdrücklich gestattet war, nur nach Einholung seiner Genehmigung die erbetene Trauung zu gewähren. Nachdem die Stände schon im Jahre vorher die Zurücknahme dieser Anordnung verlangt, hatte ein großhcrzoglichcs Rescript vom 10. Mai 1862 sich zu Gunsten derselben ausgesprochen. Die Landtagsversammlung beharrte jedoch bei ihrer Ueberzeugung, verwahrte sich gegen die in dem großherzoglichen Rescript enthaltenen Anschau¬ ungen und beantragte wiederholt die Zurücknahme der Anordnung. Das Gutachten der Landtagscommisston, welches diesem Beschlusse zu Grunde lag, erklärt sich über den Charakter der Maßnahme des Obertirchen- raths mit folgenden scharfen Worten: „Dem vollberechtigter Verlangen des unschuldigen Ehegatten, nicht im 18-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_187493/147>, abgerufen am 28.11.2024.