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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band.

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weit über seinen Stand gehende Bildung. Freilich erzeugte dieses nur zu oft
einen maßlosen Eigendünkel, und die guten Leute hielten sich wirklich sür aus¬
gemachte Gelehrte, weil sie einige mathematische Formeln auswendig gelernt
hatten und zur Noth die Eselsbrücke lnnzeichnen konnten.

Doch hatte selbst dieser Dünkel sein Gutes, indem er Liebe zur Waffe
und einen Corpsgeist erzeugte, wie solcher gegenwärtig nur selten zu finden
sein dürfte. Hatte ein Kanonier irgend eine unehrenhafte oder gemeine Hand¬
lung begangen, so wurde er gewiß von seinen Kameraden schärfer als von seinen
Vorgesetzten gezüchtigt, nicht weil er das Gesetz übertreten, sondern weil er
seinen Kameraden Schande gemacht und sich nicht als "ein braver Kanonier"
benommen hatte. Gröbere Vergehen kamen überhaupt nur selten vor, da
jeder Kanonier, welcher eine entehrende Strafe erhalten hatte oder auch ein nicht
zu besserndes moralisches Gebrechen besaß, so bald als möglich als Gemeiner
zur Infanterie versetzt wurde.

Eigenthümlich war es auch, daß Juden nur ausnahmsweise zur Artillerie
assentirt werden durften, man hielt sie sür zu furchtsam und zu schwächlich. Ja
diese Judenscheu ging sogar so weit, daß die Schildwachen an den Thoren der
Artilleriekasernen noch vor wenigen Jahren den Auftrag erhielten: "Juden,
Bettler und anderes verdächtiges Gesinde!" nicht einzulassen.

In der Neuzeit ist man toleranter geworden: es befinden sich jetzt gerade
bei der Artillerie verhältnismäßig die meisten Jsraeliten, und dieselben rücken
fast durchgängig sehr rasch zu Unteroffizieren vor.

Diejenigen Schüler der höchsten Classen der Compagnieschulen, welche sich
hierzu meldeten und zu einer weiteren Ausbildung geeignet erschienen, wurden
in die Negimentsschulen aufgenommen. Diese Letzteren bildeten einen zwei-,
früher sogar eine" dreijährigen Lehrcurs und wurden mit außerordentlicher
Strenge geleitet. Hier war der Hauptgegenstand die Mathematik, von welcher
die Arithmetik und Algebra, Geometrie, Trigonometrie und die Curvenlehre
in sehr umfassender Weise tradirt wurden. Außerdem wurden der Artillerie-
untcrricht, die Anfangsgründe der Befestigungskunst, Linear- und Planzeichnen,
Militärstilistik und Kenntniß der verschiedenen Reglements und Dienstinstruc-
tionen vorgetragen, doch wurde aus diese zum Theil wichtigen Gegenstände wenig
Gewicht gelegt, sondern vor Allem Fortschritte in den mathematischen Studien
verlangt. Die Strenge, welche in diesen Schulen herrschte, war außerordent¬
lich groß. Das geringste Vergehen oder eine einzige schlecht bestandene Prüfung
zog die augenblickliche Entfernung des betreffenden Schülers nach sich, und
diesem blieb nun in der Artillerie beinahe jeder Weg zum weiteren Fortkommen
versperrt. War jedoch diese zweijährige -- wahrhaft herbe Prüfungszeit überstanden,
so wurden die minder vorzüglichen jungen und alle älteren Schüler zu Corporalen
befördert, und damit war -- wenigstens in den meisten Fällen -- ihre alli-


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weit über seinen Stand gehende Bildung. Freilich erzeugte dieses nur zu oft
einen maßlosen Eigendünkel, und die guten Leute hielten sich wirklich sür aus¬
gemachte Gelehrte, weil sie einige mathematische Formeln auswendig gelernt
hatten und zur Noth die Eselsbrücke lnnzeichnen konnten.

Doch hatte selbst dieser Dünkel sein Gutes, indem er Liebe zur Waffe
und einen Corpsgeist erzeugte, wie solcher gegenwärtig nur selten zu finden
sein dürfte. Hatte ein Kanonier irgend eine unehrenhafte oder gemeine Hand¬
lung begangen, so wurde er gewiß von seinen Kameraden schärfer als von seinen
Vorgesetzten gezüchtigt, nicht weil er das Gesetz übertreten, sondern weil er
seinen Kameraden Schande gemacht und sich nicht als „ein braver Kanonier"
benommen hatte. Gröbere Vergehen kamen überhaupt nur selten vor, da
jeder Kanonier, welcher eine entehrende Strafe erhalten hatte oder auch ein nicht
zu besserndes moralisches Gebrechen besaß, so bald als möglich als Gemeiner
zur Infanterie versetzt wurde.

Eigenthümlich war es auch, daß Juden nur ausnahmsweise zur Artillerie
assentirt werden durften, man hielt sie sür zu furchtsam und zu schwächlich. Ja
diese Judenscheu ging sogar so weit, daß die Schildwachen an den Thoren der
Artilleriekasernen noch vor wenigen Jahren den Auftrag erhielten: „Juden,
Bettler und anderes verdächtiges Gesinde!" nicht einzulassen.

In der Neuzeit ist man toleranter geworden: es befinden sich jetzt gerade
bei der Artillerie verhältnismäßig die meisten Jsraeliten, und dieselben rücken
fast durchgängig sehr rasch zu Unteroffizieren vor.

Diejenigen Schüler der höchsten Classen der Compagnieschulen, welche sich
hierzu meldeten und zu einer weiteren Ausbildung geeignet erschienen, wurden
in die Negimentsschulen aufgenommen. Diese Letzteren bildeten einen zwei-,
früher sogar eine» dreijährigen Lehrcurs und wurden mit außerordentlicher
Strenge geleitet. Hier war der Hauptgegenstand die Mathematik, von welcher
die Arithmetik und Algebra, Geometrie, Trigonometrie und die Curvenlehre
in sehr umfassender Weise tradirt wurden. Außerdem wurden der Artillerie-
untcrricht, die Anfangsgründe der Befestigungskunst, Linear- und Planzeichnen,
Militärstilistik und Kenntniß der verschiedenen Reglements und Dienstinstruc-
tionen vorgetragen, doch wurde aus diese zum Theil wichtigen Gegenstände wenig
Gewicht gelegt, sondern vor Allem Fortschritte in den mathematischen Studien
verlangt. Die Strenge, welche in diesen Schulen herrschte, war außerordent¬
lich groß. Das geringste Vergehen oder eine einzige schlecht bestandene Prüfung
zog die augenblickliche Entfernung des betreffenden Schülers nach sich, und
diesem blieb nun in der Artillerie beinahe jeder Weg zum weiteren Fortkommen
versperrt. War jedoch diese zweijährige — wahrhaft herbe Prüfungszeit überstanden,
so wurden die minder vorzüglichen jungen und alle älteren Schüler zu Corporalen
befördert, und damit war — wenigstens in den meisten Fällen — ihre alli-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_187493/115>, abgerufen am 26.11.2024.