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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band.

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"Einheit der Partei", die gleichwohl in die Brüche ging, wäre kein begrün¬
detes Motiv gewesen. Allein bei der Wichtigkeit der politischen Fragen, die
dort zum Austrag kamen, wäre jener Angelegenheit nicht ihr volles Recht
geworden, sie hätte nur nebenbei behandelt werden können, sie wäre zudem
vor einem Publicum verhandelt worden, das schwerlich das nöthige Verständ¬
niß und die Kompetenz eines sachlichen Urtheils hatte. Wie auch das Votum
ausfiel, es wäre mit Recht das Gewicht einer Entscheidung in Frage gezogen
worden, die unter diesen Umständen wesentlich aus politischen Gründen erfolgt
wäre. Ganzanders, wenn diejenigen Kreise, die vorzugsweise zu einem Urtheil
befähigt und verpflichtet waren, endlich aus ihrer zuwartenden Stellung
heraustraten, um durch eine unzweideutige Kundgebung das Versäumnis; wieder
gut zu machen, das allzulange die Negierung in ihrem einseitigen Vorgehen
bestärkt hatte. Nachdem der Notenwechsel zwischen Stuttgart und Berlin
vorläufig abgeschlossen war und seine Veröffentlichung ein Helles Licht auf die
gegenwärtige Lage geworfen hatte, durfte man nicht länger zögern, eine
allgemeine Versammlung zu veranstalten, welche die geeigneten Mittel berathen
sollte, um "unsere Negierung über die wahre Stimmung des Landes aufzuklären
und dieselbe zu veranlassen, die geeigneten Schritte für die Sicherheit und Fort¬
dauer des Zollvereins zu thun."

Aber kamen nicht diese Anstrengungen jetzt zu spät, nachdem die Negierung
mit ihren Bundesgenossen die unbedingte Ablehnung des Handelsvertrags aus¬
gesprochen? Allerdings diese Schritte waren nicht mehr rückgängig zu machen;
allein eure Agitation für den Vertrag war überhaupt erst möglich in dem
jetzigen Stadium der ganzen Frage. So wie die Dinge in Schwaben lagen,
war eine nachhaltige Opposition erst denkbar, nachdem es sich nicht mehr um
den Handelsvertrag, sondern um die Existenz des Zollvereins handelte. So
lange die Frage war: Annahme oder Ablehnung des Vertrags, abgesehen von
den Folgen, welche sich an die Entscheidung knüpften, blieb die Stimmung eine
dem Vertrag im Allgemeinen entschieden ungünstige. Man suchte, mißtrauisch
gemacht durch die ersten Schmerzcnsschreie, mit Absicht nur nach solchen Posi¬
tionen, durch welche die Interessen des Landes etwa könnten verletzt werden.
Die Bedenken überwogen weit. Von den eingeholtem Gutachten hatte zwar,
wenn wir recht wissen, kein einziges sich für unbedingte Ablehnung erklärt,
aber jedes hatte erhebliche Ausstellungen gemacht. Auch wo man den Vertrag
im Allgemeinen als einen nothwendigen und heilsamen Fortschritt betrachtete,
wurde der Vorbehalt zahlreicher Abänderungen gemacht. Unbedingte Lobredner
gab es keine. Die Zahl derjenigen war klein, welche von Anfang an die
principielle Bedeutung des Vertrags für den Zollverein erkannten. Der Ver¬
such einer Agitation in dem damaliges Stadium hätte nothwendig scheitern müssen.

Allein sobald die brüske Entscheidung der süddeutschen Regierungen erfolgt


„Einheit der Partei", die gleichwohl in die Brüche ging, wäre kein begrün¬
detes Motiv gewesen. Allein bei der Wichtigkeit der politischen Fragen, die
dort zum Austrag kamen, wäre jener Angelegenheit nicht ihr volles Recht
geworden, sie hätte nur nebenbei behandelt werden können, sie wäre zudem
vor einem Publicum verhandelt worden, das schwerlich das nöthige Verständ¬
niß und die Kompetenz eines sachlichen Urtheils hatte. Wie auch das Votum
ausfiel, es wäre mit Recht das Gewicht einer Entscheidung in Frage gezogen
worden, die unter diesen Umständen wesentlich aus politischen Gründen erfolgt
wäre. Ganzanders, wenn diejenigen Kreise, die vorzugsweise zu einem Urtheil
befähigt und verpflichtet waren, endlich aus ihrer zuwartenden Stellung
heraustraten, um durch eine unzweideutige Kundgebung das Versäumnis; wieder
gut zu machen, das allzulange die Negierung in ihrem einseitigen Vorgehen
bestärkt hatte. Nachdem der Notenwechsel zwischen Stuttgart und Berlin
vorläufig abgeschlossen war und seine Veröffentlichung ein Helles Licht auf die
gegenwärtige Lage geworfen hatte, durfte man nicht länger zögern, eine
allgemeine Versammlung zu veranstalten, welche die geeigneten Mittel berathen
sollte, um „unsere Negierung über die wahre Stimmung des Landes aufzuklären
und dieselbe zu veranlassen, die geeigneten Schritte für die Sicherheit und Fort¬
dauer des Zollvereins zu thun."

Aber kamen nicht diese Anstrengungen jetzt zu spät, nachdem die Negierung
mit ihren Bundesgenossen die unbedingte Ablehnung des Handelsvertrags aus¬
gesprochen? Allerdings diese Schritte waren nicht mehr rückgängig zu machen;
allein eure Agitation für den Vertrag war überhaupt erst möglich in dem
jetzigen Stadium der ganzen Frage. So wie die Dinge in Schwaben lagen,
war eine nachhaltige Opposition erst denkbar, nachdem es sich nicht mehr um
den Handelsvertrag, sondern um die Existenz des Zollvereins handelte. So
lange die Frage war: Annahme oder Ablehnung des Vertrags, abgesehen von
den Folgen, welche sich an die Entscheidung knüpften, blieb die Stimmung eine
dem Vertrag im Allgemeinen entschieden ungünstige. Man suchte, mißtrauisch
gemacht durch die ersten Schmerzcnsschreie, mit Absicht nur nach solchen Posi¬
tionen, durch welche die Interessen des Landes etwa könnten verletzt werden.
Die Bedenken überwogen weit. Von den eingeholtem Gutachten hatte zwar,
wenn wir recht wissen, kein einziges sich für unbedingte Ablehnung erklärt,
aber jedes hatte erhebliche Ausstellungen gemacht. Auch wo man den Vertrag
im Allgemeinen als einen nothwendigen und heilsamen Fortschritt betrachtete,
wurde der Vorbehalt zahlreicher Abänderungen gemacht. Unbedingte Lobredner
gab es keine. Die Zahl derjenigen war klein, welche von Anfang an die
principielle Bedeutung des Vertrags für den Zollverein erkannten. Der Ver¬
such einer Agitation in dem damaliges Stadium hätte nothwendig scheitern müssen.

Allein sobald die brüske Entscheidung der süddeutschen Regierungen erfolgt


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_187493/101>, abgerufen am 25.11.2024.