Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. IV. Band.Glaubte man durch die theilweise Herstellung der Verfassung, durch die Aussicht Die Verordnungen vom 20. October, soweit sie Ungarn betreffen, sollten Glaubte man durch die theilweise Herstellung der Verfassung, durch die Aussicht Die Verordnungen vom 20. October, soweit sie Ungarn betreffen, sollten <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0069" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/115997"/> <p xml:id="ID_220" prev="#ID_219"> Glaubte man durch die theilweise Herstellung der Verfassung, durch die Aussicht<lb/> auf einen nahen Reichstag die äußerste Opposition so weit beruhigen zu kön¬<lb/> nen, daß man kein Bedenken trug, ihr selbst die Mittel zum Angriff in die<lb/> Hand zu geben, glaubte man. daß der zum Kanzler ernannte Vay im Stande<lb/> sein werde, seine in der Protestantenfrage gewonnene Popularität mit Erfolg<lb/> für die Absichten der Regierung wirken zu lassen? Es ist sehr zu bedauern, wenn<lb/> Vay. vielleicht in Ueberschätzung seiner Autorität, die Ansichten seiner Lands¬<lb/> leute so unrichtig beurtheilte, daß er einen Augenblick einen Erfolg von seiner<lb/> Mission hoffte. Es ist, auch wenn wir annehmen, daß er durch eine richtige<lb/> Darstellung der in Ungarn herrschenden Stimmung eine Aenderung in den<lb/> Entschließungen des wiener Cabineles nicht hervorgerufen haben würde, immer<lb/> beklagenswert!), daß ein ehrenwerther Patriot, wie Vay, sich in eine Stellung<lb/> begab, in der er mit dem Vertrauen seiner Landsleute zugleich seinen staats¬<lb/> männischen Ruf einbüßte und den gerechten Vorwurf der Schwäche und eines<lb/> zweideutigen Benehmens über sich ergehen lassen mußte. Es war eine arge<lb/> Überschreitung der dem Kaiser gegenüber übernommenen Verpflichtungen, wenn<lb/> er es geschehen ließ. daß die Comitatsversnmmiungcn sich nicht, wie es vor¬<lb/> geschrieben war, durch neue Wahlen constituirten. sondern daß die 1848 con-<lb/> stituirten Comitatsversammlungen sich als zu Recht bestehend gerirtcn und sich<lb/> darauf beschränkten, sich, wo etwa Lücken eingetreten waren, durch Neuwahlen<lb/> zu ergänzen. Die bei dieser Gelegenheit bewiesene Nachgiebigkeit, sowie sein<lb/> Rücktritt vor der entscheidenden Krisis, waren nicht geeignet, ihn in der Ach¬<lb/> tung der Ungarn zu rehabilitiren, ließen ihn vielmehr nach beiden Seiten hin<lb/> als haltungslos erscheinen: ein Beweis für die nicht genug zu beherzigende<lb/> Wahrheit, daß auch die achtungswcrtheste politische Persönlichkeit einer falschen<lb/> Stellung, in die sie sich begeben hat, ihren staatsmännischen Ruf unvermeidlich<lb/> zum Opfer bringen muß.</p><lb/> <p xml:id="ID_221" next="#ID_222"> Die Verordnungen vom 20. October, soweit sie Ungarn betreffen, sollten<lb/> offenbar der Nation in dem Lichte eines Kompromisses erscheinen. Es wurden<lb/> die Formen der alten Verfassung, wie sie vor 1848 bestanden hatte, wiederher¬<lb/> gestellt. An die Stelle eines verantwortlichen Ministeriums sollte wieder die<lb/> alte Institution der ungarischen Hofkanzlei treten. Das Verhältniß der partos<lb/> -Z.cknexg.0 wurde scheinbar als eine offene Frage behandelt, in Wirklichkeit aber<lb/> wurde durch Einsetzung einer siebenbürgischen Hofkanzlei die staatsrechtliche<lb/> Union Ungarns und Siebenbürgens, wenn sie durch die Gesetze von 1848<lb/> hergestellt war, thatsächlich wieder aufgelöst. Dazu kommt nun noch, daß selbst<lb/> der alte Verfassungszustand mehr der Form, als dem Wesen nach wieder ein¬<lb/> geführt wurde, indem gerade die wichtigsten legislativen Befugnisse, alle Com-<lb/> petenz in Finanz- und Militärsachen, dem Landtage entzogen und auf den<lb/> Reichsrath, eine Körperschaft, der durch das Octoberdiplom gar nicht einmal</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0069]
Glaubte man durch die theilweise Herstellung der Verfassung, durch die Aussicht
auf einen nahen Reichstag die äußerste Opposition so weit beruhigen zu kön¬
nen, daß man kein Bedenken trug, ihr selbst die Mittel zum Angriff in die
Hand zu geben, glaubte man. daß der zum Kanzler ernannte Vay im Stande
sein werde, seine in der Protestantenfrage gewonnene Popularität mit Erfolg
für die Absichten der Regierung wirken zu lassen? Es ist sehr zu bedauern, wenn
Vay. vielleicht in Ueberschätzung seiner Autorität, die Ansichten seiner Lands¬
leute so unrichtig beurtheilte, daß er einen Augenblick einen Erfolg von seiner
Mission hoffte. Es ist, auch wenn wir annehmen, daß er durch eine richtige
Darstellung der in Ungarn herrschenden Stimmung eine Aenderung in den
Entschließungen des wiener Cabineles nicht hervorgerufen haben würde, immer
beklagenswert!), daß ein ehrenwerther Patriot, wie Vay, sich in eine Stellung
begab, in der er mit dem Vertrauen seiner Landsleute zugleich seinen staats¬
männischen Ruf einbüßte und den gerechten Vorwurf der Schwäche und eines
zweideutigen Benehmens über sich ergehen lassen mußte. Es war eine arge
Überschreitung der dem Kaiser gegenüber übernommenen Verpflichtungen, wenn
er es geschehen ließ. daß die Comitatsversnmmiungcn sich nicht, wie es vor¬
geschrieben war, durch neue Wahlen constituirten. sondern daß die 1848 con-
stituirten Comitatsversammlungen sich als zu Recht bestehend gerirtcn und sich
darauf beschränkten, sich, wo etwa Lücken eingetreten waren, durch Neuwahlen
zu ergänzen. Die bei dieser Gelegenheit bewiesene Nachgiebigkeit, sowie sein
Rücktritt vor der entscheidenden Krisis, waren nicht geeignet, ihn in der Ach¬
tung der Ungarn zu rehabilitiren, ließen ihn vielmehr nach beiden Seiten hin
als haltungslos erscheinen: ein Beweis für die nicht genug zu beherzigende
Wahrheit, daß auch die achtungswcrtheste politische Persönlichkeit einer falschen
Stellung, in die sie sich begeben hat, ihren staatsmännischen Ruf unvermeidlich
zum Opfer bringen muß.
Die Verordnungen vom 20. October, soweit sie Ungarn betreffen, sollten
offenbar der Nation in dem Lichte eines Kompromisses erscheinen. Es wurden
die Formen der alten Verfassung, wie sie vor 1848 bestanden hatte, wiederher¬
gestellt. An die Stelle eines verantwortlichen Ministeriums sollte wieder die
alte Institution der ungarischen Hofkanzlei treten. Das Verhältniß der partos
-Z.cknexg.0 wurde scheinbar als eine offene Frage behandelt, in Wirklichkeit aber
wurde durch Einsetzung einer siebenbürgischen Hofkanzlei die staatsrechtliche
Union Ungarns und Siebenbürgens, wenn sie durch die Gesetze von 1848
hergestellt war, thatsächlich wieder aufgelöst. Dazu kommt nun noch, daß selbst
der alte Verfassungszustand mehr der Form, als dem Wesen nach wieder ein¬
geführt wurde, indem gerade die wichtigsten legislativen Befugnisse, alle Com-
petenz in Finanz- und Militärsachen, dem Landtage entzogen und auf den
Reichsrath, eine Körperschaft, der durch das Octoberdiplom gar nicht einmal
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