Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. IV. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

haltenem Brief ins Weite; denn wie Tristram die horizontale Lage für dieje¬
nige hält, in welcher man Freude und Schmerz am besten genießt und trägt,
so ist es bei mir das Wandeln in freier Luft. Da dachte ich denn recht Vieles
durch und setze mich heute früh zu schreiben, damit Sie durch den zurückkeh¬
renden Courier einige Blätter erhalten.

Zuvörderst danke ich aufs Schönste für das r,Mo-in politique. Ich folge
dem Laufe der Weit in den Zeitungen nach und um desto angenehmer war
mir diese Ausfüllung und Bestimmung meiner allgemeinen Idee. Der Antheil,
den Sie an den Geschäften des Vaterlandes und der Weit nehmen, liegt mir
zunächst am Herzen, ich freue mich über Alles, was Ihnen gelingt; es ist mir
tröstlich, das, Ihre Mühe und Aufopferung anerkannt und mit einem ehren¬
vollen Zutrauen gelohnt wird. Lassen Sie mich von Zeit zu Zeit wissen, wie
die Sachen stehen; an Ihrem gestrigen Brief hab ich nun 'eine Weile zu
zehren."

Folgen nun Vorschläge in Betreff der Reise der Herzogin-Mutter, dann
lesen wir weiter: "Nun paßt es gerade, daß ich zu meiner bisherigen ratimri
vitAv übergehe.

Die Hauptabsicht meiner Reise war: 'mich von den physisch-moralischen
Uebeln zu heilen, die mich in Deutschland quälten und mich zuletzt unbrauchbar
machten; sodann den heißen Durst nach wahrer Kunst zu stillen. Das Erste ist
mir ziemlich, das Letzte ganz geglückt.

Da ich ganz frei war, ganz nach meinem Wunsch und Willen lebte; so
konnte ich nichts auf Andere, nichts auf Umstände, Zwang oder Verhältnisse
schieben, Alles kehrte unmittelbar auf mich zurück, und ich habe mich recht
durchaus kennen lernen, und unter manchen Fehlern und Mängeln ist der,
welchen Sie rügen, nicht der letzte. Ganz unter fremden Menschen in einem
fremden Lande zu leben, auch nicht einen bekannten Bedienten zu haben, an
den man sich hätte anlehnen können, hat mich aus manchen Träumen geweckt,
ich habe an munterem und resolutem Leben viel gewonnen. Als ich zuerst nach
Rom kam, bemerkte ich bald, daß ich von Kunst eigentlich gar nichts verstand,
und daß ich bis dahin nur den allgemeinen Abglanz der Natur in den Kunst¬
werken bewundert und genossen hatte. Hier that sich eine andere Natur, ein
weiteres Feld der Kunst vor mir auf, ja ein Abgrund der Kunst, in den ich
mit desto mehr Freude hineinschaute, als ich meinen Blick an die Abgründe
der Natur gewöhnt hatte. Ich überließ mich gelassen den sinnlichen Eindrücken,
so sah ich Rom, Neapel, Sicilien und kam auf corpus ovalen nach Rom
zurück. Von der Würde der Landschaftsmalerei hatte ich einen Begriff erlangt,
ich sah Claude und Poussin mit andern Augen. Mit Hackert, der nach Rom
kam. war ich vierzehn Tage in Tivoli, dann sperrte mich die Hitze zwei
Monate in das Haus, ich machte Egmont fertig und fing an, Perspective zu


haltenem Brief ins Weite; denn wie Tristram die horizontale Lage für dieje¬
nige hält, in welcher man Freude und Schmerz am besten genießt und trägt,
so ist es bei mir das Wandeln in freier Luft. Da dachte ich denn recht Vieles
durch und setze mich heute früh zu schreiben, damit Sie durch den zurückkeh¬
renden Courier einige Blätter erhalten.

Zuvörderst danke ich aufs Schönste für das r,Mo-in politique. Ich folge
dem Laufe der Weit in den Zeitungen nach und um desto angenehmer war
mir diese Ausfüllung und Bestimmung meiner allgemeinen Idee. Der Antheil,
den Sie an den Geschäften des Vaterlandes und der Weit nehmen, liegt mir
zunächst am Herzen, ich freue mich über Alles, was Ihnen gelingt; es ist mir
tröstlich, das, Ihre Mühe und Aufopferung anerkannt und mit einem ehren¬
vollen Zutrauen gelohnt wird. Lassen Sie mich von Zeit zu Zeit wissen, wie
die Sachen stehen; an Ihrem gestrigen Brief hab ich nun 'eine Weile zu
zehren."

Folgen nun Vorschläge in Betreff der Reise der Herzogin-Mutter, dann
lesen wir weiter: „Nun paßt es gerade, daß ich zu meiner bisherigen ratimri
vitAv übergehe.

Die Hauptabsicht meiner Reise war: 'mich von den physisch-moralischen
Uebeln zu heilen, die mich in Deutschland quälten und mich zuletzt unbrauchbar
machten; sodann den heißen Durst nach wahrer Kunst zu stillen. Das Erste ist
mir ziemlich, das Letzte ganz geglückt.

Da ich ganz frei war, ganz nach meinem Wunsch und Willen lebte; so
konnte ich nichts auf Andere, nichts auf Umstände, Zwang oder Verhältnisse
schieben, Alles kehrte unmittelbar auf mich zurück, und ich habe mich recht
durchaus kennen lernen, und unter manchen Fehlern und Mängeln ist der,
welchen Sie rügen, nicht der letzte. Ganz unter fremden Menschen in einem
fremden Lande zu leben, auch nicht einen bekannten Bedienten zu haben, an
den man sich hätte anlehnen können, hat mich aus manchen Träumen geweckt,
ich habe an munterem und resolutem Leben viel gewonnen. Als ich zuerst nach
Rom kam, bemerkte ich bald, daß ich von Kunst eigentlich gar nichts verstand,
und daß ich bis dahin nur den allgemeinen Abglanz der Natur in den Kunst¬
werken bewundert und genossen hatte. Hier that sich eine andere Natur, ein
weiteres Feld der Kunst vor mir auf, ja ein Abgrund der Kunst, in den ich
mit desto mehr Freude hineinschaute, als ich meinen Blick an die Abgründe
der Natur gewöhnt hatte. Ich überließ mich gelassen den sinnlichen Eindrücken,
so sah ich Rom, Neapel, Sicilien und kam auf corpus ovalen nach Rom
zurück. Von der Würde der Landschaftsmalerei hatte ich einen Begriff erlangt,
ich sah Claude und Poussin mit andern Augen. Mit Hackert, der nach Rom
kam. war ich vierzehn Tage in Tivoli, dann sperrte mich die Hitze zwei
Monate in das Haus, ich machte Egmont fertig und fing an, Perspective zu


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0061" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/115989"/>
          <p xml:id="ID_193" prev="#ID_192"> haltenem Brief ins Weite; denn wie Tristram die horizontale Lage für dieje¬<lb/>
nige hält, in welcher man Freude und Schmerz am besten genießt und trägt,<lb/>
so ist es bei mir das Wandeln in freier Luft. Da dachte ich denn recht Vieles<lb/>
durch und setze mich heute früh zu schreiben, damit Sie durch den zurückkeh¬<lb/>
renden Courier einige Blätter erhalten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_194"> Zuvörderst danke ich aufs Schönste für das r,Mo-in politique. Ich folge<lb/>
dem Laufe der Weit in den Zeitungen nach und um desto angenehmer war<lb/>
mir diese Ausfüllung und Bestimmung meiner allgemeinen Idee. Der Antheil,<lb/>
den Sie an den Geschäften des Vaterlandes und der Weit nehmen, liegt mir<lb/>
zunächst am Herzen, ich freue mich über Alles, was Ihnen gelingt; es ist mir<lb/>
tröstlich, das, Ihre Mühe und Aufopferung anerkannt und mit einem ehren¬<lb/>
vollen Zutrauen gelohnt wird. Lassen Sie mich von Zeit zu Zeit wissen, wie<lb/>
die Sachen stehen; an Ihrem gestrigen Brief hab ich nun 'eine Weile zu<lb/>
zehren."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_195"> Folgen nun Vorschläge in Betreff der Reise der Herzogin-Mutter, dann<lb/>
lesen wir weiter: &#x201E;Nun paßt es gerade, daß ich zu meiner bisherigen ratimri<lb/>
vitAv übergehe.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_196"> Die Hauptabsicht meiner Reise war: 'mich von den physisch-moralischen<lb/>
Uebeln zu heilen, die mich in Deutschland quälten und mich zuletzt unbrauchbar<lb/>
machten; sodann den heißen Durst nach wahrer Kunst zu stillen. Das Erste ist<lb/>
mir ziemlich, das Letzte ganz geglückt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_197" next="#ID_198"> Da ich ganz frei war, ganz nach meinem Wunsch und Willen lebte; so<lb/>
konnte ich nichts auf Andere, nichts auf Umstände, Zwang oder Verhältnisse<lb/>
schieben, Alles kehrte unmittelbar auf mich zurück, und ich habe mich recht<lb/>
durchaus kennen lernen, und unter manchen Fehlern und Mängeln ist der,<lb/>
welchen Sie rügen, nicht der letzte. Ganz unter fremden Menschen in einem<lb/>
fremden Lande zu leben, auch nicht einen bekannten Bedienten zu haben, an<lb/>
den man sich hätte anlehnen können, hat mich aus manchen Träumen geweckt,<lb/>
ich habe an munterem und resolutem Leben viel gewonnen. Als ich zuerst nach<lb/>
Rom kam, bemerkte ich bald, daß ich von Kunst eigentlich gar nichts verstand,<lb/>
und daß ich bis dahin nur den allgemeinen Abglanz der Natur in den Kunst¬<lb/>
werken bewundert und genossen hatte. Hier that sich eine andere Natur, ein<lb/>
weiteres Feld der Kunst vor mir auf, ja ein Abgrund der Kunst, in den ich<lb/>
mit desto mehr Freude hineinschaute, als ich meinen Blick an die Abgründe<lb/>
der Natur gewöhnt hatte. Ich überließ mich gelassen den sinnlichen Eindrücken,<lb/>
so sah ich Rom, Neapel, Sicilien und kam auf corpus ovalen nach Rom<lb/>
zurück. Von der Würde der Landschaftsmalerei hatte ich einen Begriff erlangt,<lb/>
ich sah Claude und Poussin mit andern Augen. Mit Hackert, der nach Rom<lb/>
kam. war ich vierzehn Tage in Tivoli, dann sperrte mich die Hitze zwei<lb/>
Monate in das Haus, ich machte Egmont fertig und fing an, Perspective zu</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0061] haltenem Brief ins Weite; denn wie Tristram die horizontale Lage für dieje¬ nige hält, in welcher man Freude und Schmerz am besten genießt und trägt, so ist es bei mir das Wandeln in freier Luft. Da dachte ich denn recht Vieles durch und setze mich heute früh zu schreiben, damit Sie durch den zurückkeh¬ renden Courier einige Blätter erhalten. Zuvörderst danke ich aufs Schönste für das r,Mo-in politique. Ich folge dem Laufe der Weit in den Zeitungen nach und um desto angenehmer war mir diese Ausfüllung und Bestimmung meiner allgemeinen Idee. Der Antheil, den Sie an den Geschäften des Vaterlandes und der Weit nehmen, liegt mir zunächst am Herzen, ich freue mich über Alles, was Ihnen gelingt; es ist mir tröstlich, das, Ihre Mühe und Aufopferung anerkannt und mit einem ehren¬ vollen Zutrauen gelohnt wird. Lassen Sie mich von Zeit zu Zeit wissen, wie die Sachen stehen; an Ihrem gestrigen Brief hab ich nun 'eine Weile zu zehren." Folgen nun Vorschläge in Betreff der Reise der Herzogin-Mutter, dann lesen wir weiter: „Nun paßt es gerade, daß ich zu meiner bisherigen ratimri vitAv übergehe. Die Hauptabsicht meiner Reise war: 'mich von den physisch-moralischen Uebeln zu heilen, die mich in Deutschland quälten und mich zuletzt unbrauchbar machten; sodann den heißen Durst nach wahrer Kunst zu stillen. Das Erste ist mir ziemlich, das Letzte ganz geglückt. Da ich ganz frei war, ganz nach meinem Wunsch und Willen lebte; so konnte ich nichts auf Andere, nichts auf Umstände, Zwang oder Verhältnisse schieben, Alles kehrte unmittelbar auf mich zurück, und ich habe mich recht durchaus kennen lernen, und unter manchen Fehlern und Mängeln ist der, welchen Sie rügen, nicht der letzte. Ganz unter fremden Menschen in einem fremden Lande zu leben, auch nicht einen bekannten Bedienten zu haben, an den man sich hätte anlehnen können, hat mich aus manchen Träumen geweckt, ich habe an munterem und resolutem Leben viel gewonnen. Als ich zuerst nach Rom kam, bemerkte ich bald, daß ich von Kunst eigentlich gar nichts verstand, und daß ich bis dahin nur den allgemeinen Abglanz der Natur in den Kunst¬ werken bewundert und genossen hatte. Hier that sich eine andere Natur, ein weiteres Feld der Kunst vor mir auf, ja ein Abgrund der Kunst, in den ich mit desto mehr Freude hineinschaute, als ich meinen Blick an die Abgründe der Natur gewöhnt hatte. Ich überließ mich gelassen den sinnlichen Eindrücken, so sah ich Rom, Neapel, Sicilien und kam auf corpus ovalen nach Rom zurück. Von der Würde der Landschaftsmalerei hatte ich einen Begriff erlangt, ich sah Claude und Poussin mit andern Augen. Mit Hackert, der nach Rom kam. war ich vierzehn Tage in Tivoli, dann sperrte mich die Hitze zwei Monate in das Haus, ich machte Egmont fertig und fing an, Perspective zu

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115927
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115927/61
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115927/61>, abgerufen am 15.01.2025.