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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. IV. Band.

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traute eine ganze Partei, welche ihren verstockten Gegnern Tag für Tag die
Loyalität, den Liberalismus, die deutschnationale Gesinnung dieser Regierung
vorhielt. Jetzt war Alles Lug und Trug gewesen, so oft Oestreich die deutschen
Interessen im Mund geführt hatte, Niemand schenkte mehr den Großdeutschen
Glauben, sie selbst waren die Dupirtcn. Der Eintritt Oestreichs für die Sacke
der Herzogthümer war nicht nur eine Probe seiner oft betheuerten deutschen Ge¬
sinnung, sondern eine Lebensfrage für das grohdeutsche Programm. Von hier
aus war das Verhalten der großdeutschcn Partei und ihrer Presse von selbst
gegeben. ?ins der ganzen Linie, bis zu den ultramontanen Winkelbiättchen der
bayerischen Hauptstadt, entwickelte sich ein Eifer, der gegen die Art und Weist,
wie noch Vor einigen Monaten die Schleswig-holsteinische Sacke in der bayerischen
Kammer behandelt wurde, seltsam abstach. Es sind Oestreich niemals sckär-
fere Dinge gesagt worden, als in diesen Tagen von seinen bisherigen Freunden.
Auch die kurze Debatte, welche dem Beschluß der würtembergischen Abgeord¬
netenkammer am 24. Nov. vorausging, erhielt von diesen Umständen ihre be¬
sondere Färbung. Der Antrag von Holder drückte die allgemeine Stimmung
aus. Widerspruch erhob sich von keiner Seite, eine eigentliche Debatte war
somit überflüssig. Aber nun nahm gleichwohl eine ganze Reihe großdeutscher
Redner von allen Scyattirungen, von der 1848. Demokratie bis zum ultra¬
montanen Kaplan, das Wort. Es war, als empfinde man von dieser Seite
ganz besonders das Bedürfniß, seine Uebereinstimmung mit der nationalen Auf¬
fassung dieser Angelegenheit zu constatiren. Aber nicht an die eigene Regierung
richtete sich vorwiegend die Ermahnung zu raschem Handeln für die Herzog¬
tümer, sondern an Oestreich, das eben damals, wie später berüchtigte berliner
vfsiciöse Stimmen vermuthen ließen, von Preußen überflügelt zu werden schien.
Bei allen Sympathien, die es sich im Reich erworben, wurde es beschworen,
der deutschen Sache nicht untreu zu werden. Und dieser Mahnruf beschränkte
sich nicht blos auf die innerhalb des Ständesaals gesprochenen Worte. Es er¬
gingen sofort die dringendsten Schreiben nach Wien. Wer irgendwie dort Be¬
kannte von Einfluß hatte, bat. schalt, drohte und stellte die schwere Einbuße
für die gemeinsame Sache vor, falls Oestreich diesmal Deutschland im Stiche
lasse. Auf solche Mahnbriefe, die an Reichsrathsmitglicder gerichtet waren,
tauchten in Wien die ersten Regungen für die Herzogthümerfrage auf. Es war
dort auch im Volk nicht der mindeste spontane Antrieb. Was allmälig gethan
wurde, geschah theils "Ehrenhalber", theils auf die Anregungen aus dem Reich.
Und so würde es auch die Rücksicht auf ihre gefährdete Stellung in Deutschland
sein, wenn die Regierung sich noch zu einer Aenderung ihrer traditionellen Poli¬
tik in der Herzogthümerfrage entschlösse. In Aussicht gestellt wird sie durch ge¬
heime Winke, welche neben der officiellen correcten Sprache unter der Hand
ausgestreut werden. Officiöse Stimmen provociren auf eine Majorisirung durch


traute eine ganze Partei, welche ihren verstockten Gegnern Tag für Tag die
Loyalität, den Liberalismus, die deutschnationale Gesinnung dieser Regierung
vorhielt. Jetzt war Alles Lug und Trug gewesen, so oft Oestreich die deutschen
Interessen im Mund geführt hatte, Niemand schenkte mehr den Großdeutschen
Glauben, sie selbst waren die Dupirtcn. Der Eintritt Oestreichs für die Sacke
der Herzogthümer war nicht nur eine Probe seiner oft betheuerten deutschen Ge¬
sinnung, sondern eine Lebensfrage für das grohdeutsche Programm. Von hier
aus war das Verhalten der großdeutschcn Partei und ihrer Presse von selbst
gegeben. ?ins der ganzen Linie, bis zu den ultramontanen Winkelbiättchen der
bayerischen Hauptstadt, entwickelte sich ein Eifer, der gegen die Art und Weist,
wie noch Vor einigen Monaten die Schleswig-holsteinische Sacke in der bayerischen
Kammer behandelt wurde, seltsam abstach. Es sind Oestreich niemals sckär-
fere Dinge gesagt worden, als in diesen Tagen von seinen bisherigen Freunden.
Auch die kurze Debatte, welche dem Beschluß der würtembergischen Abgeord¬
netenkammer am 24. Nov. vorausging, erhielt von diesen Umständen ihre be¬
sondere Färbung. Der Antrag von Holder drückte die allgemeine Stimmung
aus. Widerspruch erhob sich von keiner Seite, eine eigentliche Debatte war
somit überflüssig. Aber nun nahm gleichwohl eine ganze Reihe großdeutscher
Redner von allen Scyattirungen, von der 1848. Demokratie bis zum ultra¬
montanen Kaplan, das Wort. Es war, als empfinde man von dieser Seite
ganz besonders das Bedürfniß, seine Uebereinstimmung mit der nationalen Auf¬
fassung dieser Angelegenheit zu constatiren. Aber nicht an die eigene Regierung
richtete sich vorwiegend die Ermahnung zu raschem Handeln für die Herzog¬
tümer, sondern an Oestreich, das eben damals, wie später berüchtigte berliner
vfsiciöse Stimmen vermuthen ließen, von Preußen überflügelt zu werden schien.
Bei allen Sympathien, die es sich im Reich erworben, wurde es beschworen,
der deutschen Sache nicht untreu zu werden. Und dieser Mahnruf beschränkte
sich nicht blos auf die innerhalb des Ständesaals gesprochenen Worte. Es er¬
gingen sofort die dringendsten Schreiben nach Wien. Wer irgendwie dort Be¬
kannte von Einfluß hatte, bat. schalt, drohte und stellte die schwere Einbuße
für die gemeinsame Sache vor, falls Oestreich diesmal Deutschland im Stiche
lasse. Auf solche Mahnbriefe, die an Reichsrathsmitglicder gerichtet waren,
tauchten in Wien die ersten Regungen für die Herzogthümerfrage auf. Es war
dort auch im Volk nicht der mindeste spontane Antrieb. Was allmälig gethan
wurde, geschah theils „Ehrenhalber", theils auf die Anregungen aus dem Reich.
Und so würde es auch die Rücksicht auf ihre gefährdete Stellung in Deutschland
sein, wenn die Regierung sich noch zu einer Aenderung ihrer traditionellen Poli¬
tik in der Herzogthümerfrage entschlösse. In Aussicht gestellt wird sie durch ge¬
heime Winke, welche neben der officiellen correcten Sprache unter der Hand
ausgestreut werden. Officiöse Stimmen provociren auf eine Majorisirung durch


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115927/429>, abgerufen am 15.01.2025.