Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. IV. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

machten. An diese höchste gleichsam leidenschaftliche Erregung der Natur schließt
sich in stillem Gegensatz der Strand vonOgygia, wo der Held vereinsamt von
Kalypso scheidet, um auf selbstgezimmertem Fahrzeug den Weg zur Heimath zu
suchen. Hier zeigt sich der Künstler zuerst auch jener weicheren Stimmungen des
Gemüthes mächtig, die ja in ihrer Weise nicht minder ihren Anklang in der
Natur finden. Dieser leise zum Strande spielende Wellenschlag, diese Fernen
auftauchender Bergconturen stimmen uns im Beschauen unwillkürlich zu eben
der wehmüthigen Sehnsucht, mit welcher der Held in die Ferne blickt, "das Land
der Heimath mit der Seele suchend". -- Wenn aus dem Strande von Thrinakia
die Genossen des Odysseus ihr Loos verwirkten, so liegt seines Schicksals
Wendepunkt da, wo er hoffnungslos der Willkür des von Poseidon wider ihn
entfesselten Elementes preisgegeben, von der Göttin Leukvthea den rettenden
Schleier empfängt. Für jeden, der je dieses Bild gesehen, ist es kaum nöthig
auszusprechen, wie wunderbar diese göttliche Gestalt aus ihrem Elemente
hervorwächst, und mit wie sinnreicher Kunst der gewaltsamen Aufregung der
Natur die Andeutung einverwebt ist. daß nun ihre dämonische Kraft gebrochen
sei. Die ganze Freudigkeit der Rettung, der ganze Glanz eines gastlichen Ge¬
stades ist über das letzte Hauptbild, die Begegnung mit Nausikaa ausgegossen.
Wir blicken durch schlanke Oliven hinaus auf eine Bucht der See, die zur
Rechten in der Ferne durch die Stadt des Alkinoos geschlossen ist. Ein schat¬
tiger Abhang im Vordergrunde hat dem Helden zur Ruhestätte gedient, während
wir links den Fluß verfolgen können, in welchen er here.inschwamm, und an
dem die Waschplätze sichtbar sind, zu denen Nausikaa herbeigekommen. Indeß
der Held in demüthig verehrender Stellung um Schutz fleht und die crschro-
kenen Mägde dahin und dorthin zerstieben, steht in der Mitte, die rechte Toch¬
ter dieser lieblichmorgendlichen Natur, Nausikaa, jungfräulich, mädchenhaft und
königlich zugleich, und das Alles in seinem heiteren Einklang gibt uns die
frohe Empfindung, den Helden nach allen Drangsalen gerettet zu sehen, eine
Empfindung, die das folgende Bild wohlthuend weiter führt. Es hat die An-
kunft auf Ithaka zum Gegenstand und ruft immer von Neuem jene unverge߬
lichen homerischen Verse ins Gedächtniß, die mit den Worten schließen: "und
nun schlief er so ruhig und all sein Leiden vergessend." Vom Strande werden
wir zu der ländlich einsamen Wohnung des Eumäos und endlich zu dem Asyle
geführt, in welches der greise Laertes gramvoll sich zurückgezogen hat. Auch
hier ist ein idyllischer Ton in der Landschaft völlig getroffen, ohne daß sie
dadurch an gesunder Kraft verlöre; vielmehr ist die stille Einfachheit in Ver¬
bindung mit den vortrefflich erfundenen Figuren von einer 'um nichts weniger
ergreifenden Wirkung als es die bezüglichen Scenen der Dichtung sind.

Dieser überall schlagfertige Reichthum der Erfindung, der sich dem Ge¬
waltigen wie dem Anmuthiger, dem Düsteren wie dem Lieblichheiteren gleich


machten. An diese höchste gleichsam leidenschaftliche Erregung der Natur schließt
sich in stillem Gegensatz der Strand vonOgygia, wo der Held vereinsamt von
Kalypso scheidet, um auf selbstgezimmertem Fahrzeug den Weg zur Heimath zu
suchen. Hier zeigt sich der Künstler zuerst auch jener weicheren Stimmungen des
Gemüthes mächtig, die ja in ihrer Weise nicht minder ihren Anklang in der
Natur finden. Dieser leise zum Strande spielende Wellenschlag, diese Fernen
auftauchender Bergconturen stimmen uns im Beschauen unwillkürlich zu eben
der wehmüthigen Sehnsucht, mit welcher der Held in die Ferne blickt, „das Land
der Heimath mit der Seele suchend". — Wenn aus dem Strande von Thrinakia
die Genossen des Odysseus ihr Loos verwirkten, so liegt seines Schicksals
Wendepunkt da, wo er hoffnungslos der Willkür des von Poseidon wider ihn
entfesselten Elementes preisgegeben, von der Göttin Leukvthea den rettenden
Schleier empfängt. Für jeden, der je dieses Bild gesehen, ist es kaum nöthig
auszusprechen, wie wunderbar diese göttliche Gestalt aus ihrem Elemente
hervorwächst, und mit wie sinnreicher Kunst der gewaltsamen Aufregung der
Natur die Andeutung einverwebt ist. daß nun ihre dämonische Kraft gebrochen
sei. Die ganze Freudigkeit der Rettung, der ganze Glanz eines gastlichen Ge¬
stades ist über das letzte Hauptbild, die Begegnung mit Nausikaa ausgegossen.
Wir blicken durch schlanke Oliven hinaus auf eine Bucht der See, die zur
Rechten in der Ferne durch die Stadt des Alkinoos geschlossen ist. Ein schat¬
tiger Abhang im Vordergrunde hat dem Helden zur Ruhestätte gedient, während
wir links den Fluß verfolgen können, in welchen er here.inschwamm, und an
dem die Waschplätze sichtbar sind, zu denen Nausikaa herbeigekommen. Indeß
der Held in demüthig verehrender Stellung um Schutz fleht und die crschro-
kenen Mägde dahin und dorthin zerstieben, steht in der Mitte, die rechte Toch¬
ter dieser lieblichmorgendlichen Natur, Nausikaa, jungfräulich, mädchenhaft und
königlich zugleich, und das Alles in seinem heiteren Einklang gibt uns die
frohe Empfindung, den Helden nach allen Drangsalen gerettet zu sehen, eine
Empfindung, die das folgende Bild wohlthuend weiter führt. Es hat die An-
kunft auf Ithaka zum Gegenstand und ruft immer von Neuem jene unverge߬
lichen homerischen Verse ins Gedächtniß, die mit den Worten schließen: „und
nun schlief er so ruhig und all sein Leiden vergessend." Vom Strande werden
wir zu der ländlich einsamen Wohnung des Eumäos und endlich zu dem Asyle
geführt, in welches der greise Laertes gramvoll sich zurückgezogen hat. Auch
hier ist ein idyllischer Ton in der Landschaft völlig getroffen, ohne daß sie
dadurch an gesunder Kraft verlöre; vielmehr ist die stille Einfachheit in Ver¬
bindung mit den vortrefflich erfundenen Figuren von einer 'um nichts weniger
ergreifenden Wirkung als es die bezüglichen Scenen der Dichtung sind.

Dieser überall schlagfertige Reichthum der Erfindung, der sich dem Ge¬
waltigen wie dem Anmuthiger, dem Düsteren wie dem Lieblichheiteren gleich


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0396" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/116324"/>
          <p xml:id="ID_1337" prev="#ID_1336"> machten. An diese höchste gleichsam leidenschaftliche Erregung der Natur schließt<lb/>
sich in stillem Gegensatz der Strand vonOgygia, wo der Held vereinsamt von<lb/>
Kalypso scheidet, um auf selbstgezimmertem Fahrzeug den Weg zur Heimath zu<lb/>
suchen. Hier zeigt sich der Künstler zuerst auch jener weicheren Stimmungen des<lb/>
Gemüthes mächtig, die ja in ihrer Weise nicht minder ihren Anklang in der<lb/>
Natur finden. Dieser leise zum Strande spielende Wellenschlag, diese Fernen<lb/>
auftauchender Bergconturen stimmen uns im Beschauen unwillkürlich zu eben<lb/>
der wehmüthigen Sehnsucht, mit welcher der Held in die Ferne blickt, &#x201E;das Land<lb/>
der Heimath mit der Seele suchend". &#x2014; Wenn aus dem Strande von Thrinakia<lb/>
die Genossen des Odysseus ihr Loos verwirkten, so liegt seines Schicksals<lb/>
Wendepunkt da, wo er hoffnungslos der Willkür des von Poseidon wider ihn<lb/>
entfesselten Elementes preisgegeben, von der Göttin Leukvthea den rettenden<lb/>
Schleier empfängt. Für jeden, der je dieses Bild gesehen, ist es kaum nöthig<lb/>
auszusprechen, wie wunderbar diese göttliche Gestalt aus ihrem Elemente<lb/>
hervorwächst, und mit wie sinnreicher Kunst der gewaltsamen Aufregung der<lb/>
Natur die Andeutung einverwebt ist. daß nun ihre dämonische Kraft gebrochen<lb/>
sei. Die ganze Freudigkeit der Rettung, der ganze Glanz eines gastlichen Ge¬<lb/>
stades ist über das letzte Hauptbild, die Begegnung mit Nausikaa ausgegossen.<lb/>
Wir blicken durch schlanke Oliven hinaus auf eine Bucht der See, die zur<lb/>
Rechten in der Ferne durch die Stadt des Alkinoos geschlossen ist. Ein schat¬<lb/>
tiger Abhang im Vordergrunde hat dem Helden zur Ruhestätte gedient, während<lb/>
wir links den Fluß verfolgen können, in welchen er here.inschwamm, und an<lb/>
dem die Waschplätze sichtbar sind, zu denen Nausikaa herbeigekommen. Indeß<lb/>
der Held in demüthig verehrender Stellung um Schutz fleht und die crschro-<lb/>
kenen Mägde dahin und dorthin zerstieben, steht in der Mitte, die rechte Toch¬<lb/>
ter dieser lieblichmorgendlichen Natur, Nausikaa, jungfräulich, mädchenhaft und<lb/>
königlich zugleich, und das Alles in seinem heiteren Einklang gibt uns die<lb/>
frohe Empfindung, den Helden nach allen Drangsalen gerettet zu sehen, eine<lb/>
Empfindung, die das folgende Bild wohlthuend weiter führt. Es hat die An-<lb/>
kunft auf Ithaka zum Gegenstand und ruft immer von Neuem jene unverge߬<lb/>
lichen homerischen Verse ins Gedächtniß, die mit den Worten schließen: &#x201E;und<lb/>
nun schlief er so ruhig und all sein Leiden vergessend." Vom Strande werden<lb/>
wir zu der ländlich einsamen Wohnung des Eumäos und endlich zu dem Asyle<lb/>
geführt, in welches der greise Laertes gramvoll sich zurückgezogen hat. Auch<lb/>
hier ist ein idyllischer Ton in der Landschaft völlig getroffen, ohne daß sie<lb/>
dadurch an gesunder Kraft verlöre; vielmehr ist die stille Einfachheit in Ver¬<lb/>
bindung mit den vortrefflich erfundenen Figuren von einer 'um nichts weniger<lb/>
ergreifenden Wirkung als es die bezüglichen Scenen der Dichtung sind.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1338" next="#ID_1339"> Dieser überall schlagfertige Reichthum der Erfindung, der sich dem Ge¬<lb/>
waltigen wie dem Anmuthiger, dem Düsteren wie dem Lieblichheiteren gleich</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0396] machten. An diese höchste gleichsam leidenschaftliche Erregung der Natur schließt sich in stillem Gegensatz der Strand vonOgygia, wo der Held vereinsamt von Kalypso scheidet, um auf selbstgezimmertem Fahrzeug den Weg zur Heimath zu suchen. Hier zeigt sich der Künstler zuerst auch jener weicheren Stimmungen des Gemüthes mächtig, die ja in ihrer Weise nicht minder ihren Anklang in der Natur finden. Dieser leise zum Strande spielende Wellenschlag, diese Fernen auftauchender Bergconturen stimmen uns im Beschauen unwillkürlich zu eben der wehmüthigen Sehnsucht, mit welcher der Held in die Ferne blickt, „das Land der Heimath mit der Seele suchend". — Wenn aus dem Strande von Thrinakia die Genossen des Odysseus ihr Loos verwirkten, so liegt seines Schicksals Wendepunkt da, wo er hoffnungslos der Willkür des von Poseidon wider ihn entfesselten Elementes preisgegeben, von der Göttin Leukvthea den rettenden Schleier empfängt. Für jeden, der je dieses Bild gesehen, ist es kaum nöthig auszusprechen, wie wunderbar diese göttliche Gestalt aus ihrem Elemente hervorwächst, und mit wie sinnreicher Kunst der gewaltsamen Aufregung der Natur die Andeutung einverwebt ist. daß nun ihre dämonische Kraft gebrochen sei. Die ganze Freudigkeit der Rettung, der ganze Glanz eines gastlichen Ge¬ stades ist über das letzte Hauptbild, die Begegnung mit Nausikaa ausgegossen. Wir blicken durch schlanke Oliven hinaus auf eine Bucht der See, die zur Rechten in der Ferne durch die Stadt des Alkinoos geschlossen ist. Ein schat¬ tiger Abhang im Vordergrunde hat dem Helden zur Ruhestätte gedient, während wir links den Fluß verfolgen können, in welchen er here.inschwamm, und an dem die Waschplätze sichtbar sind, zu denen Nausikaa herbeigekommen. Indeß der Held in demüthig verehrender Stellung um Schutz fleht und die crschro- kenen Mägde dahin und dorthin zerstieben, steht in der Mitte, die rechte Toch¬ ter dieser lieblichmorgendlichen Natur, Nausikaa, jungfräulich, mädchenhaft und königlich zugleich, und das Alles in seinem heiteren Einklang gibt uns die frohe Empfindung, den Helden nach allen Drangsalen gerettet zu sehen, eine Empfindung, die das folgende Bild wohlthuend weiter führt. Es hat die An- kunft auf Ithaka zum Gegenstand und ruft immer von Neuem jene unverge߬ lichen homerischen Verse ins Gedächtniß, die mit den Worten schließen: „und nun schlief er so ruhig und all sein Leiden vergessend." Vom Strande werden wir zu der ländlich einsamen Wohnung des Eumäos und endlich zu dem Asyle geführt, in welches der greise Laertes gramvoll sich zurückgezogen hat. Auch hier ist ein idyllischer Ton in der Landschaft völlig getroffen, ohne daß sie dadurch an gesunder Kraft verlöre; vielmehr ist die stille Einfachheit in Ver¬ bindung mit den vortrefflich erfundenen Figuren von einer 'um nichts weniger ergreifenden Wirkung als es die bezüglichen Scenen der Dichtung sind. Dieser überall schlagfertige Reichthum der Erfindung, der sich dem Ge¬ waltigen wie dem Anmuthiger, dem Düsteren wie dem Lieblichheiteren gleich

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115927
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115927/396
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115927/396>, abgerufen am 15.01.2025.