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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. IV. Band.

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Bewegung des Baues als die heitere Stimmung des neuen Geistes aus, der
auf der Erde zu Hause ist und die Natur nicht mehr verläugnet, sondern mit
seinem klaren Licht als eine befreundete Welt durchdringt. In der ebenmäßigen
und lebendigen Vereinigung der wagrechten und verticalen Gliederung zeigt sie
sich allen Ansprüchen, allen Bedürfnissen gewachsen und von vorne herein auf
volle ungebrochene Schönheit angelegt; denn diese ist immer der Einklang ver¬
schiedener Elemente, nicht die Steigerung eines Einzelnen zum Ganzen. So
gewährt sie auch heute noch den Anforderungen des praktischen Lebens wie der
bildenden Phantasie des Architekten den weitesten Spielraum. Und wenn sie
in überquellendem Gestaltungsvermögen nicht strenge genug in der Durch¬
führung der structiven Gesetze war, hat dann nicht eben die heutige Architektur
die schöne Aufgabe, sie zur gesetzmäßigen Ordnung des Baues und in der er¬
neuerten Zucht der griechischen Bauweise zu ihrer besten Zeit zurückzuführen
und von hier aus sie fortzubilden? Hier ist ihr die beste Gelegenheit gegeben,
die Vergangenheit in sich aufzunehmen und zugleich in deren Fortbildung eigen¬
thümlich zu sein. Das lebensfähige Princip der Renaissance, ihr Formenreich¬
thum und ihr dem modernen Geiste verwandtes Wesen machen eine zweite
selbständige Blüthe dieser Bauweise, ihre Entwickelung zum Stil der Gegen¬
wart möglich, und im Laufe dieses lebendigen Zusammenhanges wird sich ein
Stil der Zukunft viel eher bilden, als mittelst Mer' Versuche ncuerungssüch-
tiger Architekten. Kann noch ein Zweifel sein, wie es der Baumeister nun
anzufangen hat, den Raum für unser Leben künstlerisch zu gestalten? Weshalb
noch immer ausgelebte Formen herbeischleppen, die unserer Anschauung, unse¬
rer Phantasie fremd sind, in denen sich unser Geist nicht wiederfindet! Nur
in der Antike und Renaissance sind wir heimisch: sie sind der Grund unseres
ganzen geistigen Lebens und unserer Bildung, sie haben der menschlichen Welt
im schönen Einklang geklärter Sinnlichkeit und des die Wirklichkeit Phantasie-
voll durchdringenden Geistes den vollendeten Ausdruck gegeben, der auch uns
mit unendlichem Zauber anzieht, in dem wir unser Wesen befriedigt fühlen.
Und wenn die Antike, in sich abgeschlossen, weder in das praktische Bedürfniß
noch in die erweiterte Phantasie der Neuzeit ganz sich fügt, so bildet ja eben
die Renaissance die lebendige Vermittlung zwischen ihr und uns.

Von den ausgestellten Plänen in diesem Stile war die "Idee zu einem
modernen Forum" von G. Ncureuther von besonderem Interesse. Sie lie¬
fert den Beweis, daß die Renaissance in organischer Entwickelung eines immer
zunehmenden Formenreichthums für alle Bedürfnisse und Zwecke des gegenwärtigen
Lebens den künstlerischen und eigenthümlichen Ausdruck abgeben kann. Der
Architekt ist sich wohl selber darüber klar gewesen, daß eine solche Centralisa-
tion aller Zweige des modernen Daseins nur schwer ausführbar ist; aber er
hat gezeigt, wie jene Bauweise in lebendiger Verarbeitung und mannigfaltiger


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Bewegung des Baues als die heitere Stimmung des neuen Geistes aus, der
auf der Erde zu Hause ist und die Natur nicht mehr verläugnet, sondern mit
seinem klaren Licht als eine befreundete Welt durchdringt. In der ebenmäßigen
und lebendigen Vereinigung der wagrechten und verticalen Gliederung zeigt sie
sich allen Ansprüchen, allen Bedürfnissen gewachsen und von vorne herein auf
volle ungebrochene Schönheit angelegt; denn diese ist immer der Einklang ver¬
schiedener Elemente, nicht die Steigerung eines Einzelnen zum Ganzen. So
gewährt sie auch heute noch den Anforderungen des praktischen Lebens wie der
bildenden Phantasie des Architekten den weitesten Spielraum. Und wenn sie
in überquellendem Gestaltungsvermögen nicht strenge genug in der Durch¬
führung der structiven Gesetze war, hat dann nicht eben die heutige Architektur
die schöne Aufgabe, sie zur gesetzmäßigen Ordnung des Baues und in der er¬
neuerten Zucht der griechischen Bauweise zu ihrer besten Zeit zurückzuführen
und von hier aus sie fortzubilden? Hier ist ihr die beste Gelegenheit gegeben,
die Vergangenheit in sich aufzunehmen und zugleich in deren Fortbildung eigen¬
thümlich zu sein. Das lebensfähige Princip der Renaissance, ihr Formenreich¬
thum und ihr dem modernen Geiste verwandtes Wesen machen eine zweite
selbständige Blüthe dieser Bauweise, ihre Entwickelung zum Stil der Gegen¬
wart möglich, und im Laufe dieses lebendigen Zusammenhanges wird sich ein
Stil der Zukunft viel eher bilden, als mittelst Mer' Versuche ncuerungssüch-
tiger Architekten. Kann noch ein Zweifel sein, wie es der Baumeister nun
anzufangen hat, den Raum für unser Leben künstlerisch zu gestalten? Weshalb
noch immer ausgelebte Formen herbeischleppen, die unserer Anschauung, unse¬
rer Phantasie fremd sind, in denen sich unser Geist nicht wiederfindet! Nur
in der Antike und Renaissance sind wir heimisch: sie sind der Grund unseres
ganzen geistigen Lebens und unserer Bildung, sie haben der menschlichen Welt
im schönen Einklang geklärter Sinnlichkeit und des die Wirklichkeit Phantasie-
voll durchdringenden Geistes den vollendeten Ausdruck gegeben, der auch uns
mit unendlichem Zauber anzieht, in dem wir unser Wesen befriedigt fühlen.
Und wenn die Antike, in sich abgeschlossen, weder in das praktische Bedürfniß
noch in die erweiterte Phantasie der Neuzeit ganz sich fügt, so bildet ja eben
die Renaissance die lebendige Vermittlung zwischen ihr und uns.

Von den ausgestellten Plänen in diesem Stile war die „Idee zu einem
modernen Forum" von G. Ncureuther von besonderem Interesse. Sie lie¬
fert den Beweis, daß die Renaissance in organischer Entwickelung eines immer
zunehmenden Formenreichthums für alle Bedürfnisse und Zwecke des gegenwärtigen
Lebens den künstlerischen und eigenthümlichen Ausdruck abgeben kann. Der
Architekt ist sich wohl selber darüber klar gewesen, daß eine solche Centralisa-
tion aller Zweige des modernen Daseins nur schwer ausführbar ist; aber er
hat gezeigt, wie jene Bauweise in lebendiger Verarbeitung und mannigfaltiger


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[0355] Bewegung des Baues als die heitere Stimmung des neuen Geistes aus, der auf der Erde zu Hause ist und die Natur nicht mehr verläugnet, sondern mit seinem klaren Licht als eine befreundete Welt durchdringt. In der ebenmäßigen und lebendigen Vereinigung der wagrechten und verticalen Gliederung zeigt sie sich allen Ansprüchen, allen Bedürfnissen gewachsen und von vorne herein auf volle ungebrochene Schönheit angelegt; denn diese ist immer der Einklang ver¬ schiedener Elemente, nicht die Steigerung eines Einzelnen zum Ganzen. So gewährt sie auch heute noch den Anforderungen des praktischen Lebens wie der bildenden Phantasie des Architekten den weitesten Spielraum. Und wenn sie in überquellendem Gestaltungsvermögen nicht strenge genug in der Durch¬ führung der structiven Gesetze war, hat dann nicht eben die heutige Architektur die schöne Aufgabe, sie zur gesetzmäßigen Ordnung des Baues und in der er¬ neuerten Zucht der griechischen Bauweise zu ihrer besten Zeit zurückzuführen und von hier aus sie fortzubilden? Hier ist ihr die beste Gelegenheit gegeben, die Vergangenheit in sich aufzunehmen und zugleich in deren Fortbildung eigen¬ thümlich zu sein. Das lebensfähige Princip der Renaissance, ihr Formenreich¬ thum und ihr dem modernen Geiste verwandtes Wesen machen eine zweite selbständige Blüthe dieser Bauweise, ihre Entwickelung zum Stil der Gegen¬ wart möglich, und im Laufe dieses lebendigen Zusammenhanges wird sich ein Stil der Zukunft viel eher bilden, als mittelst Mer' Versuche ncuerungssüch- tiger Architekten. Kann noch ein Zweifel sein, wie es der Baumeister nun anzufangen hat, den Raum für unser Leben künstlerisch zu gestalten? Weshalb noch immer ausgelebte Formen herbeischleppen, die unserer Anschauung, unse¬ rer Phantasie fremd sind, in denen sich unser Geist nicht wiederfindet! Nur in der Antike und Renaissance sind wir heimisch: sie sind der Grund unseres ganzen geistigen Lebens und unserer Bildung, sie haben der menschlichen Welt im schönen Einklang geklärter Sinnlichkeit und des die Wirklichkeit Phantasie- voll durchdringenden Geistes den vollendeten Ausdruck gegeben, der auch uns mit unendlichem Zauber anzieht, in dem wir unser Wesen befriedigt fühlen. Und wenn die Antike, in sich abgeschlossen, weder in das praktische Bedürfniß noch in die erweiterte Phantasie der Neuzeit ganz sich fügt, so bildet ja eben die Renaissance die lebendige Vermittlung zwischen ihr und uns. Von den ausgestellten Plänen in diesem Stile war die „Idee zu einem modernen Forum" von G. Ncureuther von besonderem Interesse. Sie lie¬ fert den Beweis, daß die Renaissance in organischer Entwickelung eines immer zunehmenden Formenreichthums für alle Bedürfnisse und Zwecke des gegenwärtigen Lebens den künstlerischen und eigenthümlichen Ausdruck abgeben kann. Der Architekt ist sich wohl selber darüber klar gewesen, daß eine solche Centralisa- tion aller Zweige des modernen Daseins nur schwer ausführbar ist; aber er hat gezeigt, wie jene Bauweise in lebendiger Verarbeitung und mannigfaltiger 44*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115927/355>, abgerufen am 15.01.2025.