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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. IV. Band.

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in der Darstellung idealer antiker Motive neu zu beleben, zeigt sich in den
Werken von Reinhold Begas (Berlin), namentlich in seinem Pan, der die
Psyche tröstet (nach der Fabel des Appulejue). Hier ist die Nachbildung des
plastischen Stils der Alten aufgegeben, weder ist in den Linien der Rhythmus,
noch in der Bewegung der Adel und in der Form die einfache Breite' und
Bestimmtheit, welche wir von dem Werke des Bildhauers zu verlangen ge¬
wohnt sind. Aber das Motiv aus einer entlegenen Welt ist uns lebendig ver¬
gegenwärtigt, der schone allgemein menschliche Zug, der in diesen Stoffen liegt,
geht unserm Auge auf, und die Phantasie des Künstlers spricht aus seinem
Werke warm und unmittelbar zu der unserigen. Dabei ist der Charakter des
Pan. des rauhen, aber gutmüthigen und launigen Hirtengottes in der Form
wie im Ausdruck treffend durchgeführt, während die zarte Psyche, auf dem Fel¬
sen vor ihm sitzend, in ihrer eben erst aufgegangenen jungfräulichen Schönheit
und der mädchenhaften Haltung so recht noch die kindliche, nun zum ersten Male
getrübte Seele, den Reiz eines wirklich empfundenen, in der Gestalt ganz aus¬
geprägten Lebens hat. Sehr wirksam ist zugleich der Contrast beider Fi¬
guren; der Humor des alten derben Nymphenliebhabers, der von der Tiefe
dieses Seelenschmerzes nicht viel Aufhebens macht und das glückliche Ende
der Liebesgeschichte voraussieht, gegenüber der anmuthigen Betrübniß des
Weibes, das nun zum ersten Mal Lust und Qual des Lebens gekostet
hat, aber den Schmerz in dem schönen Ebenmaß der Geberde und Be¬
wegung noch sanft geschlossen in sich trägt. Dieser Auffassung entspricht
auch die Behandlung der Form und die technische Ausführung; in jener
spricht sich mehr ein unmittelbares Naturgefühl als ein plastisches Stil¬
princip aus, und in der Oberfläche des Körpers ist mit Glück das Weiche,
Elastische, schwellende des Fleisches wiedergegeben. Allerdings fehlt es zu¬
gleich an der einsanken, die großen Züge festhaltenden Anschauung des Baues
und an der klaren Durchbildung, welche die plastische Gestalt fordert. Es ist
in dem hervorragenden Talent von Begas ein malerisches Element, das ihn
die Formen nicht hinlänglich, sondern allzu weich in einander übergehen, auch
die Gruppe nicht scharf genug auseinanderhalten läßt, ein Ueberschuß gleich¬
sam von Naturgefühl über die plastische Gestaltung. Schärfer tritt dieses Mi߬
verhältniß in seiner Faunenfamilie hervor, in der die Ausbiegung der üppigen
Formen, der bis zur schwelgerischen Lust gesteigerte Ausdruck der Mutterliebe,
der gewaltsame Uebermuth der Bewegungen fast an das Zopfige streift; doch
ist auch hier ein energisches Leben, das sich im Bau der Gruppe jubelnd auf¬
schwingt. An dem Kopf des römischen Mädchens zeigt sich ebenfalls der male¬
rische Naturalismus in der rundlichen Ausprägung aller Einzelnheiten der
Form; es entsteht dadurch ein Spiel von Reflexen und Schatten, das den
plastischen Eindruck beeinträchtigt.


in der Darstellung idealer antiker Motive neu zu beleben, zeigt sich in den
Werken von Reinhold Begas (Berlin), namentlich in seinem Pan, der die
Psyche tröstet (nach der Fabel des Appulejue). Hier ist die Nachbildung des
plastischen Stils der Alten aufgegeben, weder ist in den Linien der Rhythmus,
noch in der Bewegung der Adel und in der Form die einfache Breite' und
Bestimmtheit, welche wir von dem Werke des Bildhauers zu verlangen ge¬
wohnt sind. Aber das Motiv aus einer entlegenen Welt ist uns lebendig ver¬
gegenwärtigt, der schone allgemein menschliche Zug, der in diesen Stoffen liegt,
geht unserm Auge auf, und die Phantasie des Künstlers spricht aus seinem
Werke warm und unmittelbar zu der unserigen. Dabei ist der Charakter des
Pan. des rauhen, aber gutmüthigen und launigen Hirtengottes in der Form
wie im Ausdruck treffend durchgeführt, während die zarte Psyche, auf dem Fel¬
sen vor ihm sitzend, in ihrer eben erst aufgegangenen jungfräulichen Schönheit
und der mädchenhaften Haltung so recht noch die kindliche, nun zum ersten Male
getrübte Seele, den Reiz eines wirklich empfundenen, in der Gestalt ganz aus¬
geprägten Lebens hat. Sehr wirksam ist zugleich der Contrast beider Fi¬
guren; der Humor des alten derben Nymphenliebhabers, der von der Tiefe
dieses Seelenschmerzes nicht viel Aufhebens macht und das glückliche Ende
der Liebesgeschichte voraussieht, gegenüber der anmuthigen Betrübniß des
Weibes, das nun zum ersten Mal Lust und Qual des Lebens gekostet
hat, aber den Schmerz in dem schönen Ebenmaß der Geberde und Be¬
wegung noch sanft geschlossen in sich trägt. Dieser Auffassung entspricht
auch die Behandlung der Form und die technische Ausführung; in jener
spricht sich mehr ein unmittelbares Naturgefühl als ein plastisches Stil¬
princip aus, und in der Oberfläche des Körpers ist mit Glück das Weiche,
Elastische, schwellende des Fleisches wiedergegeben. Allerdings fehlt es zu¬
gleich an der einsanken, die großen Züge festhaltenden Anschauung des Baues
und an der klaren Durchbildung, welche die plastische Gestalt fordert. Es ist
in dem hervorragenden Talent von Begas ein malerisches Element, das ihn
die Formen nicht hinlänglich, sondern allzu weich in einander übergehen, auch
die Gruppe nicht scharf genug auseinanderhalten läßt, ein Ueberschuß gleich¬
sam von Naturgefühl über die plastische Gestaltung. Schärfer tritt dieses Mi߬
verhältniß in seiner Faunenfamilie hervor, in der die Ausbiegung der üppigen
Formen, der bis zur schwelgerischen Lust gesteigerte Ausdruck der Mutterliebe,
der gewaltsame Uebermuth der Bewegungen fast an das Zopfige streift; doch
ist auch hier ein energisches Leben, das sich im Bau der Gruppe jubelnd auf¬
schwingt. An dem Kopf des römischen Mädchens zeigt sich ebenfalls der male¬
rische Naturalismus in der rundlichen Ausprägung aller Einzelnheiten der
Form; es entsteht dadurch ein Spiel von Reflexen und Schatten, das den
plastischen Eindruck beeinträchtigt.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115927/350>, abgerufen am 15.01.2025.