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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. IV. Band.

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mals für Jacob Grimm am wenigsten auf den Beifall und die warme Theil¬
nahme im übrigen Deutschland rechnen könnte. Die unerquicklichen Händel um
das Schillerdenkinal, die landlosen officiellen Statuen, welche man der guten
Stadt Berlin vctroyirt, sind dort und überall noch in lebhafter Erinnerung.
Zuverlässig wird diese Stimmung mit den unhaltbaren Zuständen des jetzigen
Systems vorübergehen; so lange sie dauert, wird dort und im übrigen Deutsch¬
land sündige Bereitwilligkeit fehlen.

Nun ist allerdings nicht nöthig, auf die Stimmungen und Zustände eines
Theils unserer Nation Rücksicht zu nehmen. Man kann auch ohne die Preußen
etwas unternehmen. Die Fürsten und manche unserer süddeutschen Freunde
würden gerade in diesem Fall reichlicher beisteuern. Und nicht ohne Grund
mag man die Frage auswerfen, warum sollen die Ehren Jacob Grimms ver¬
zögert oder verkümmert werden, weil die Herren Preußen in ihrem Hause nicht
vor reinem Tische sitzen? Solcher Auffassung haben wir nur entgegenzuhalten,
daß ein kleineres Denkmal der Pietät, das jetzt zu Stande gebracht werden
könnte, ein größeres, und daß die Beisteuern des getheilten Deutschlands das
Zusammenwirken des ganzen ausschließen würden. Und wir geben ihnen zu
bedenken, was wohl Jacob Grimm, dessen Thätigkeit sich so weit erstreckte, als
die Zunge deutscher Nation reicht, und der selbst doch eher Deutscher als Preuße
war, dazu sagen würde, wenn die Deutschen gerade seinen Todtenhügel zwie¬
spältig an verschiedenen Stellen ausschütten wollten.

Endlich aber soll die Hauptfrage erhoben werden: Soll Jacob Grimm allein
eine Statue erhalten, oder nicht mit ihm sein Bruder Wilhelm? Vielleicht nie
hat es in Deutschland zwei Brüder gegeben, welche durch gemeinsames Leben,
gemeinsame Studien, gemeinsame Leistungen und durch ihre Bedeutung in der¬
selben Wissenschaft so eng verbunden sind, als diese beiden. Seit ihrer Jugend¬
zeit haben sie sich fast nie getrennt, sie haben miteinander für ihre Ueberzeu¬
gungen gelitten, sie haben bis an das Lebensende Wilhelms nebeneinander ge¬
arbeitet, die genialen Würfe des Einen und die sorgfältige liebevolle Ausführung
des Andern haben die Thätigkeit Beider zuweilen sehr glücklich ergänzt. Beide
werden als die Gründer der deutschen Altertumswissenschaft für alle Zeiten
miteinander genannt werden, und Beide werden im Volksmunde noch lange als
Bilder brüderlicher Treue fortleben. Ihre Namen sind gerade in den popu¬
lärsten Werken, welche wir ihnen verdanken, unauflöslich verbunden. Gerade
das Buch, welches die Namen der Brüder in alle Schichten des Volkes getragen
hat, die Kinder- und Hausmärchen, sind vorzugsweise das Werk Wilhelms.
Und es steht außer allem Zweifel, daß seine große wissenschaftliche Bedeutung
ihn der Ehre eines öffentlichen Denkmals würdig macht.

Ist es also recht, die beiden Brüder, die im Leben so innig verbunden
waren, bei einem Denkmal zu trennen? Man darf annehmen, daß diese Frage


mals für Jacob Grimm am wenigsten auf den Beifall und die warme Theil¬
nahme im übrigen Deutschland rechnen könnte. Die unerquicklichen Händel um
das Schillerdenkinal, die landlosen officiellen Statuen, welche man der guten
Stadt Berlin vctroyirt, sind dort und überall noch in lebhafter Erinnerung.
Zuverlässig wird diese Stimmung mit den unhaltbaren Zuständen des jetzigen
Systems vorübergehen; so lange sie dauert, wird dort und im übrigen Deutsch¬
land sündige Bereitwilligkeit fehlen.

Nun ist allerdings nicht nöthig, auf die Stimmungen und Zustände eines
Theils unserer Nation Rücksicht zu nehmen. Man kann auch ohne die Preußen
etwas unternehmen. Die Fürsten und manche unserer süddeutschen Freunde
würden gerade in diesem Fall reichlicher beisteuern. Und nicht ohne Grund
mag man die Frage auswerfen, warum sollen die Ehren Jacob Grimms ver¬
zögert oder verkümmert werden, weil die Herren Preußen in ihrem Hause nicht
vor reinem Tische sitzen? Solcher Auffassung haben wir nur entgegenzuhalten,
daß ein kleineres Denkmal der Pietät, das jetzt zu Stande gebracht werden
könnte, ein größeres, und daß die Beisteuern des getheilten Deutschlands das
Zusammenwirken des ganzen ausschließen würden. Und wir geben ihnen zu
bedenken, was wohl Jacob Grimm, dessen Thätigkeit sich so weit erstreckte, als
die Zunge deutscher Nation reicht, und der selbst doch eher Deutscher als Preuße
war, dazu sagen würde, wenn die Deutschen gerade seinen Todtenhügel zwie¬
spältig an verschiedenen Stellen ausschütten wollten.

Endlich aber soll die Hauptfrage erhoben werden: Soll Jacob Grimm allein
eine Statue erhalten, oder nicht mit ihm sein Bruder Wilhelm? Vielleicht nie
hat es in Deutschland zwei Brüder gegeben, welche durch gemeinsames Leben,
gemeinsame Studien, gemeinsame Leistungen und durch ihre Bedeutung in der¬
selben Wissenschaft so eng verbunden sind, als diese beiden. Seit ihrer Jugend¬
zeit haben sie sich fast nie getrennt, sie haben miteinander für ihre Ueberzeu¬
gungen gelitten, sie haben bis an das Lebensende Wilhelms nebeneinander ge¬
arbeitet, die genialen Würfe des Einen und die sorgfältige liebevolle Ausführung
des Andern haben die Thätigkeit Beider zuweilen sehr glücklich ergänzt. Beide
werden als die Gründer der deutschen Altertumswissenschaft für alle Zeiten
miteinander genannt werden, und Beide werden im Volksmunde noch lange als
Bilder brüderlicher Treue fortleben. Ihre Namen sind gerade in den popu¬
lärsten Werken, welche wir ihnen verdanken, unauflöslich verbunden. Gerade
das Buch, welches die Namen der Brüder in alle Schichten des Volkes getragen
hat, die Kinder- und Hausmärchen, sind vorzugsweise das Werk Wilhelms.
Und es steht außer allem Zweifel, daß seine große wissenschaftliche Bedeutung
ihn der Ehre eines öffentlichen Denkmals würdig macht.

Ist es also recht, die beiden Brüder, die im Leben so innig verbunden
waren, bei einem Denkmal zu trennen? Man darf annehmen, daß diese Frage


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115927/312>, abgerufen am 15.01.2025.