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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. IV. Band.

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führen übernommen hatte. Nicht schöner und paßlicher konnten sie ihre For¬
schungen krönen, als indem sie selbst Hand anlegten an ein Werk, das sie in wei¬
teren Kreisen verbreiten sollte. Mit seltener Frische und seltener Energie haben
sie dies gethan. Seit dem Jahre 1852 erschien das große Werk, von einer un¬
gewöhnlichen Theilnahme des deutschen Volkes getragen. Die Literatur keiner
Nation hatte bis dahin etwas Aehnliches aufzuweisen, heute können wir be¬
reits den gewichtigen Einfluß auf die auswärtigen Völker nachweisen, den es
geübt hat. Selbst die Franzosen haben es nachzuahmen versucht, mit dem
ihnen eigenen Geschick, und das große Wörterbuch der niederländischen Sprache,
das jetzt vorbereitet wird, ist ganz nach dem Muster des gnmmschen angelegt.
Daß das Werk hier und da kleine Mängel verräth, Schwächen des Alters
und Ungeübtheit im Erkennen praktischer Bedürfnisse, schadet dem Verdienste und
der Bedeutung im Ganzen nicht. Wir unterlassen es, uns des Weiteren über
dasselbe zu verbreiten, da es ja in Jedermanns Händen ist. Vollendet ward
der erste Band 1864. der zweite 1860. der dritte 1862. Darüber hinaus ist
nur Ein Heft erschienen, wenige Bogen liegen noch außerdem gedruckt fertig;
inmitten des Artikels "Frucht" ward Jacob Grimm durch den Tod abgerufen.
Bekanntlich ist der Buchstabe v von Wilhelm Grimm gearbeitet, alles
Uebrige von Jacob sammt den Vorreden, und Jedermann wird, wenn er die
starken, eingedruckten Bände überblickt, mit Staunen erfüllt werden über die
rüstige Kraft des Greises, der in verhältnißmäßig kurzer Zeit solche Massen
zu verarbeiten im Stande war; denn schon die zur Herstellung erforderte mecha¬
nische Arbeit des Schreibens scheint die Kräfte eines Jünglings zu übersteigen.
Und dabei ruhete Jacob Grimm während der Zeit keineswegs ganz von an¬
deren Arbeiten aus, die Akademieschriften enthalten eine Reihe werthvoller Ab¬
handlungen gerade aus den letzten Jahren.

Freilich, mit noch manchen weitergehenden Entwürfen trug sich Jacob
Grimms reicher Geist, deren Ausführung durch die Arbeit am Wörterbuche ver¬
hindert worden ist. Daß es ihm unmöglich war, von dem ersten Bande der
Grammatik eine neue Bearbeitung zu liefern, und daß er einen wörtlichen Wie¬
derabdruck (18S1) zulassen mußte, gereichte ihm zu oft ausgesprochenem Be¬
dauern. Nicht anders stand es mit den Rechtsalterthümern und der Mythologie;
den letzten Band der "Syntax" zu liefern war ernstlich seine Absicht. Außer¬
dem beschäftigte ihn seit langen Jahren der Entwurf einer "Geschichte der deut¬
schen Sitte". Nach Vollendung des ersten Bandes des Wörterbuches führte ihn
sein rastloser Forschungstrieb aus ein neues Gebiet, auf die "Geschichte des
Epos". Ein umfassendes Werk sollte diesem Gegenstande gewidmet werden und
auch wichtige Specialfragcn, wie die Ossianfrage und die Nibelungenfrage sollten
in ihm ihre Behandlung finden. Leider sind diese beiden Werke ungeschrieben


führen übernommen hatte. Nicht schöner und paßlicher konnten sie ihre For¬
schungen krönen, als indem sie selbst Hand anlegten an ein Werk, das sie in wei¬
teren Kreisen verbreiten sollte. Mit seltener Frische und seltener Energie haben
sie dies gethan. Seit dem Jahre 1852 erschien das große Werk, von einer un¬
gewöhnlichen Theilnahme des deutschen Volkes getragen. Die Literatur keiner
Nation hatte bis dahin etwas Aehnliches aufzuweisen, heute können wir be¬
reits den gewichtigen Einfluß auf die auswärtigen Völker nachweisen, den es
geübt hat. Selbst die Franzosen haben es nachzuahmen versucht, mit dem
ihnen eigenen Geschick, und das große Wörterbuch der niederländischen Sprache,
das jetzt vorbereitet wird, ist ganz nach dem Muster des gnmmschen angelegt.
Daß das Werk hier und da kleine Mängel verräth, Schwächen des Alters
und Ungeübtheit im Erkennen praktischer Bedürfnisse, schadet dem Verdienste und
der Bedeutung im Ganzen nicht. Wir unterlassen es, uns des Weiteren über
dasselbe zu verbreiten, da es ja in Jedermanns Händen ist. Vollendet ward
der erste Band 1864. der zweite 1860. der dritte 1862. Darüber hinaus ist
nur Ein Heft erschienen, wenige Bogen liegen noch außerdem gedruckt fertig;
inmitten des Artikels „Frucht" ward Jacob Grimm durch den Tod abgerufen.
Bekanntlich ist der Buchstabe v von Wilhelm Grimm gearbeitet, alles
Uebrige von Jacob sammt den Vorreden, und Jedermann wird, wenn er die
starken, eingedruckten Bände überblickt, mit Staunen erfüllt werden über die
rüstige Kraft des Greises, der in verhältnißmäßig kurzer Zeit solche Massen
zu verarbeiten im Stande war; denn schon die zur Herstellung erforderte mecha¬
nische Arbeit des Schreibens scheint die Kräfte eines Jünglings zu übersteigen.
Und dabei ruhete Jacob Grimm während der Zeit keineswegs ganz von an¬
deren Arbeiten aus, die Akademieschriften enthalten eine Reihe werthvoller Ab¬
handlungen gerade aus den letzten Jahren.

Freilich, mit noch manchen weitergehenden Entwürfen trug sich Jacob
Grimms reicher Geist, deren Ausführung durch die Arbeit am Wörterbuche ver¬
hindert worden ist. Daß es ihm unmöglich war, von dem ersten Bande der
Grammatik eine neue Bearbeitung zu liefern, und daß er einen wörtlichen Wie¬
derabdruck (18S1) zulassen mußte, gereichte ihm zu oft ausgesprochenem Be¬
dauern. Nicht anders stand es mit den Rechtsalterthümern und der Mythologie;
den letzten Band der „Syntax" zu liefern war ernstlich seine Absicht. Außer¬
dem beschäftigte ihn seit langen Jahren der Entwurf einer „Geschichte der deut¬
schen Sitte". Nach Vollendung des ersten Bandes des Wörterbuches führte ihn
sein rastloser Forschungstrieb aus ein neues Gebiet, auf die „Geschichte des
Epos". Ein umfassendes Werk sollte diesem Gegenstande gewidmet werden und
auch wichtige Specialfragcn, wie die Ossianfrage und die Nibelungenfrage sollten
in ihm ihre Behandlung finden. Leider sind diese beiden Werke ungeschrieben


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115927/306>, abgerufen am 15.01.2025.