Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. IV. Band.erzählte wenigstens gerne," berichtet Wilhelm Grimm, "er habe schon lesen können, In die Zeit des Kriegssecretariates fallen die ersten Spuren seiner Be¬ erzählte wenigstens gerne," berichtet Wilhelm Grimm, „er habe schon lesen können, In die Zeit des Kriegssecretariates fallen die ersten Spuren seiner Be¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0290" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/116218"/> <p xml:id="ID_995" prev="#ID_994"> erzählte wenigstens gerne," berichtet Wilhelm Grimm, „er habe schon lesen können,<lb/> bevor andere Kinder anfangen zu lernen, und eine ganze Gesellschaft so sehr in<lb/> Verwunderung gesetzt, daß alle sich hätten überzeugen wollen, ob er wirklich<lb/> aus einem Buche ablese." Als er elf Jahre alt war, starb der Vater und<lb/> hinterließ die Mutter mit sechs Kindern, von denen Jacob das Zweitälteste war,<lb/> in ziemlich gedrückten Verhältnissen. Eine Schwester der Mutter, die erste<lb/> Kammerfrau bei der Landgräfin von Hessen war, nahm sich der Erziehung der<lb/> Kinder an und ließ Jacob sammt seinem um ein Jahr jüngeren Bruder Wilhelm<lb/> im Jahre 1798 nach Kassel kommen, um das dortige Lyceum zu besuchen, wo<lb/> Jacob nach Unterquarta gesetzt ward. Mit ungeduldiger Lernbegierde holte er<lb/> nach, was seiner Vorbildung mangelte, und, fast stets in jeder Classe der Erste,<lb/> konnte er schon im Jahre 1802, 17 Jahre alt, die Schule verlassen, um die<lb/> Universität zu beziehen. Eine tiefe Kränkung, die ihm widerfuhr, indem einem<lb/> reichen adligen Schulcameraden um seines Adels willen ein Stipendium ver¬<lb/> liehen ward, das nach Recht und Verdienst nur unserm Jacob zukam, hat er<lb/> nie vergessen. Er begab sich nach Marburg und widmete sich der Rechtswissen¬<lb/> schaft, dem Studium seines Vaters, auf Wunsch seiner Mutter und weil es zu¬<lb/> nächst ein Amt in Aussicht zu stellen schien. Höchst interessant und bezeichnend<lb/> für seine spätere wissenschaftliche Richtung und seine Methode ist sein Aus¬<lb/> spruch, daß eigene Neigung ihn zumeist der Botanik zugewandt haben würde.<lb/> Vor allen übrigen Lehrern zog ihn Savigny an. Die schriftlichen Arbeiten,<lb/> die dieser von seinen Schülern zur Interpretation schwieriger Gesetzesstellen an¬<lb/> fertigen ließ, brachten ihm Jacob Grimm näher, dem gleich die erste Arbeit<lb/> vorzüglich gelang; es begann sich zwischen ihnen ein näheres Verhältniß zu<lb/> knüpfen, das bis an ihr Ende gedauert hat. Savignys reiche Bibliothek ge¬<lb/> währte Vielfache Anregung und Belehrung, auch über den Kreis der juristischen<lb/> Literaten hinaus. Im Jahre 1804 ging Savigny nach Paris, um die dorti¬<lb/> gen Bibliotheken zu benutzen, und 1803 berief er Jacob Grimm sich nach zur<lb/> Unterstützung seiner literarischen Arbeiten, denen sich dieser denn auch fast ein<lb/> ganzes Jahr hindurch mit großem Eifer widmete, was Savigny später rüh¬<lb/> mend anerkannt hat. Zurückgekehrt, glückte es ihm im Januar 1806 als Kriegs'<lb/> Secretär angestellt zu werden. In steifer Uniform mit Puder und Zopf, den<lb/> Degen an der Seite, mühte er dem Dienste genügen, und nur sparsame Muße<lb/> blieb für freiere Studien. Als die Franzosen das'Land occupirten, nahm er<lb/> seine Entlassung, suchte vergebens eine andere Stellung, z. B. an der öffent¬<lb/> lichen Bibliothek in Kassel, und hatte den Schmerz, seine Mutter am 27. Mai<lb/> 1808 sterben zu sehen, ohne daß ihr der Trost wurde, eins ihrer sechs Kinder<lb/> versorgt zu wissen.</p><lb/> <p xml:id="ID_996"> In die Zeit des Kriegssecretariates fallen die ersten Spuren seiner Be¬<lb/> schäftigung mit dem deutschen Alterthume.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0290]
erzählte wenigstens gerne," berichtet Wilhelm Grimm, „er habe schon lesen können,
bevor andere Kinder anfangen zu lernen, und eine ganze Gesellschaft so sehr in
Verwunderung gesetzt, daß alle sich hätten überzeugen wollen, ob er wirklich
aus einem Buche ablese." Als er elf Jahre alt war, starb der Vater und
hinterließ die Mutter mit sechs Kindern, von denen Jacob das Zweitälteste war,
in ziemlich gedrückten Verhältnissen. Eine Schwester der Mutter, die erste
Kammerfrau bei der Landgräfin von Hessen war, nahm sich der Erziehung der
Kinder an und ließ Jacob sammt seinem um ein Jahr jüngeren Bruder Wilhelm
im Jahre 1798 nach Kassel kommen, um das dortige Lyceum zu besuchen, wo
Jacob nach Unterquarta gesetzt ward. Mit ungeduldiger Lernbegierde holte er
nach, was seiner Vorbildung mangelte, und, fast stets in jeder Classe der Erste,
konnte er schon im Jahre 1802, 17 Jahre alt, die Schule verlassen, um die
Universität zu beziehen. Eine tiefe Kränkung, die ihm widerfuhr, indem einem
reichen adligen Schulcameraden um seines Adels willen ein Stipendium ver¬
liehen ward, das nach Recht und Verdienst nur unserm Jacob zukam, hat er
nie vergessen. Er begab sich nach Marburg und widmete sich der Rechtswissen¬
schaft, dem Studium seines Vaters, auf Wunsch seiner Mutter und weil es zu¬
nächst ein Amt in Aussicht zu stellen schien. Höchst interessant und bezeichnend
für seine spätere wissenschaftliche Richtung und seine Methode ist sein Aus¬
spruch, daß eigene Neigung ihn zumeist der Botanik zugewandt haben würde.
Vor allen übrigen Lehrern zog ihn Savigny an. Die schriftlichen Arbeiten,
die dieser von seinen Schülern zur Interpretation schwieriger Gesetzesstellen an¬
fertigen ließ, brachten ihm Jacob Grimm näher, dem gleich die erste Arbeit
vorzüglich gelang; es begann sich zwischen ihnen ein näheres Verhältniß zu
knüpfen, das bis an ihr Ende gedauert hat. Savignys reiche Bibliothek ge¬
währte Vielfache Anregung und Belehrung, auch über den Kreis der juristischen
Literaten hinaus. Im Jahre 1804 ging Savigny nach Paris, um die dorti¬
gen Bibliotheken zu benutzen, und 1803 berief er Jacob Grimm sich nach zur
Unterstützung seiner literarischen Arbeiten, denen sich dieser denn auch fast ein
ganzes Jahr hindurch mit großem Eifer widmete, was Savigny später rüh¬
mend anerkannt hat. Zurückgekehrt, glückte es ihm im Januar 1806 als Kriegs'
Secretär angestellt zu werden. In steifer Uniform mit Puder und Zopf, den
Degen an der Seite, mühte er dem Dienste genügen, und nur sparsame Muße
blieb für freiere Studien. Als die Franzosen das'Land occupirten, nahm er
seine Entlassung, suchte vergebens eine andere Stellung, z. B. an der öffent¬
lichen Bibliothek in Kassel, und hatte den Schmerz, seine Mutter am 27. Mai
1808 sterben zu sehen, ohne daß ihr der Trost wurde, eins ihrer sechs Kinder
versorgt zu wissen.
In die Zeit des Kriegssecretariates fallen die ersten Spuren seiner Be¬
schäftigung mit dem deutschen Alterthume.
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