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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. IV. Band.

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tödtete mich hier und vergrub mich heimlich und unbestattet in diesem Hause
verruchter Weise, des Geldes wegen. Du aber ziehe aus von hier; dieses Haus
ist verflucht, eine verwünschte Wohnung!" Die Furchtsamkeit, die darauf der
Alte an den Tag legt, ist höchst ergötzlich; er läßt sich gänzlich vom Eintritte
abschrecken und ruft zu seinem Schutze wider die Todten den Herkules an.

Da man das Leben in der Unterwelt als eine Fortsetzung des diesseitigen
und zwar in der letzten Gestalt desselben betrachtete, so kam man auch aus die
absonderliche Annahme, daß der Geist keine Ruhe haben könnte, wenn nicht
alle Kleidungsstücke mit ihm verbrannt worden wären. So ist es erklärlich,
was Herodot von Melissa, der Gemahlin des Tyrannen von Korinth, Periander,
berichtet. Sie beklagte sich nach ihrem durch Perianders Schuld erfolgten Tode
über Nacktheit und Frost, indem'ihr die ins Grab mitgegebenen Kleider nichts
nützten, da sie nicht mit ihr zugleich verbrannt worden seien. Der gewaltthätige
Fürst ließ hierauf alle korinthischen Damen auf eine bestimmte Stunde in den
Heratempel laden, und als dieselben im festlichsten Putze erschienen, sie ohne
Ausnahme durch seine Schergen der Kleider berauben, worauf er seiner Gattin
die versäumte Pflicht durch Verbrennen sämmtlicher Gewänder erfüllte! Etwas
Aehnliches läßt der Spötter Lukian in seinem "Lügenfreunde" den Philosophen
Eukrates erzählen: "Wie sehr ich meine selige Frau geliebt habe, weiß jeder-
mann; ich habe dies bewiesen nicht nur bei Lebzeiten durch mein Benehmen
gegen sie, sondern auch nach ihrem Tode dadurch, daß ich ihren ganzen Schmuck
mit ihr verbrannte und das Kleid, welches ihr im Leben am meisten gefallen
hatte. Am siebenten Tag nach ihrem Ende lag ich hier auf dem Sopha, wie
jetzt, mich in meinem Schmerze tröstend, indem ich das Buch Platons über
die Seele las. Inzwischen tritt Demänete (so hieß die Gestorbene) herein und
setzt sich nahe zu mir. Als ich sie erblickte, umarmte ich sie und weinte laut.
Sie ließ mich aber nicht schreien, sondern beschwerte sich darüber, daß ich eine
von ihren goldenen Sandalen nicht mit verbrannt hätte, während ich ihr im
Uebrigen alle Ehre angethan. Die Sandale sei aber unter einen Schrank ge¬
fallen gewesen und deshalb von uns nicht gefunden und verbrannt worden.
Als wir noch so mit einander sprachen, bellte mein verwünschtes Malteserhünd¬
chen unter dem Sopha; sie aber verschwand bei dem Gebelle."

. Ueber die Art der Erscheinung waren die Gespenstergläubigen später ver¬
schiedener Ansicht. Der Demänete Schatten läßt sich umarmen, hat also Con-
sistenz. Ebenso kehrt in der "das bezauberte Grabmal" betitelten Declama-
tionsrede Quintilians der verstorbene Sohn, schön und lebendig, zur geliebten
Mutter in jeder Nacht und erwiedert ihre Küsse und Umarmungen. Und wer
denkt nicht an Goethes "Braut von Korinth", deren Stoff den Wunder¬
geschichten des im zweiten Jahrhundert n. Chr. lebenden Phlegon von Tralles
entnommen ist? Andere dachten sich die wiederkommenden Todten bereits wie


tödtete mich hier und vergrub mich heimlich und unbestattet in diesem Hause
verruchter Weise, des Geldes wegen. Du aber ziehe aus von hier; dieses Haus
ist verflucht, eine verwünschte Wohnung!" Die Furchtsamkeit, die darauf der
Alte an den Tag legt, ist höchst ergötzlich; er läßt sich gänzlich vom Eintritte
abschrecken und ruft zu seinem Schutze wider die Todten den Herkules an.

Da man das Leben in der Unterwelt als eine Fortsetzung des diesseitigen
und zwar in der letzten Gestalt desselben betrachtete, so kam man auch aus die
absonderliche Annahme, daß der Geist keine Ruhe haben könnte, wenn nicht
alle Kleidungsstücke mit ihm verbrannt worden wären. So ist es erklärlich,
was Herodot von Melissa, der Gemahlin des Tyrannen von Korinth, Periander,
berichtet. Sie beklagte sich nach ihrem durch Perianders Schuld erfolgten Tode
über Nacktheit und Frost, indem'ihr die ins Grab mitgegebenen Kleider nichts
nützten, da sie nicht mit ihr zugleich verbrannt worden seien. Der gewaltthätige
Fürst ließ hierauf alle korinthischen Damen auf eine bestimmte Stunde in den
Heratempel laden, und als dieselben im festlichsten Putze erschienen, sie ohne
Ausnahme durch seine Schergen der Kleider berauben, worauf er seiner Gattin
die versäumte Pflicht durch Verbrennen sämmtlicher Gewänder erfüllte! Etwas
Aehnliches läßt der Spötter Lukian in seinem „Lügenfreunde" den Philosophen
Eukrates erzählen: „Wie sehr ich meine selige Frau geliebt habe, weiß jeder-
mann; ich habe dies bewiesen nicht nur bei Lebzeiten durch mein Benehmen
gegen sie, sondern auch nach ihrem Tode dadurch, daß ich ihren ganzen Schmuck
mit ihr verbrannte und das Kleid, welches ihr im Leben am meisten gefallen
hatte. Am siebenten Tag nach ihrem Ende lag ich hier auf dem Sopha, wie
jetzt, mich in meinem Schmerze tröstend, indem ich das Buch Platons über
die Seele las. Inzwischen tritt Demänete (so hieß die Gestorbene) herein und
setzt sich nahe zu mir. Als ich sie erblickte, umarmte ich sie und weinte laut.
Sie ließ mich aber nicht schreien, sondern beschwerte sich darüber, daß ich eine
von ihren goldenen Sandalen nicht mit verbrannt hätte, während ich ihr im
Uebrigen alle Ehre angethan. Die Sandale sei aber unter einen Schrank ge¬
fallen gewesen und deshalb von uns nicht gefunden und verbrannt worden.
Als wir noch so mit einander sprachen, bellte mein verwünschtes Malteserhünd¬
chen unter dem Sopha; sie aber verschwand bei dem Gebelle."

. Ueber die Art der Erscheinung waren die Gespenstergläubigen später ver¬
schiedener Ansicht. Der Demänete Schatten läßt sich umarmen, hat also Con-
sistenz. Ebenso kehrt in der „das bezauberte Grabmal" betitelten Declama-
tionsrede Quintilians der verstorbene Sohn, schön und lebendig, zur geliebten
Mutter in jeder Nacht und erwiedert ihre Küsse und Umarmungen. Und wer
denkt nicht an Goethes „Braut von Korinth", deren Stoff den Wunder¬
geschichten des im zweiten Jahrhundert n. Chr. lebenden Phlegon von Tralles
entnommen ist? Andere dachten sich die wiederkommenden Todten bereits wie


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[0269] tödtete mich hier und vergrub mich heimlich und unbestattet in diesem Hause verruchter Weise, des Geldes wegen. Du aber ziehe aus von hier; dieses Haus ist verflucht, eine verwünschte Wohnung!" Die Furchtsamkeit, die darauf der Alte an den Tag legt, ist höchst ergötzlich; er läßt sich gänzlich vom Eintritte abschrecken und ruft zu seinem Schutze wider die Todten den Herkules an. Da man das Leben in der Unterwelt als eine Fortsetzung des diesseitigen und zwar in der letzten Gestalt desselben betrachtete, so kam man auch aus die absonderliche Annahme, daß der Geist keine Ruhe haben könnte, wenn nicht alle Kleidungsstücke mit ihm verbrannt worden wären. So ist es erklärlich, was Herodot von Melissa, der Gemahlin des Tyrannen von Korinth, Periander, berichtet. Sie beklagte sich nach ihrem durch Perianders Schuld erfolgten Tode über Nacktheit und Frost, indem'ihr die ins Grab mitgegebenen Kleider nichts nützten, da sie nicht mit ihr zugleich verbrannt worden seien. Der gewaltthätige Fürst ließ hierauf alle korinthischen Damen auf eine bestimmte Stunde in den Heratempel laden, und als dieselben im festlichsten Putze erschienen, sie ohne Ausnahme durch seine Schergen der Kleider berauben, worauf er seiner Gattin die versäumte Pflicht durch Verbrennen sämmtlicher Gewänder erfüllte! Etwas Aehnliches läßt der Spötter Lukian in seinem „Lügenfreunde" den Philosophen Eukrates erzählen: „Wie sehr ich meine selige Frau geliebt habe, weiß jeder- mann; ich habe dies bewiesen nicht nur bei Lebzeiten durch mein Benehmen gegen sie, sondern auch nach ihrem Tode dadurch, daß ich ihren ganzen Schmuck mit ihr verbrannte und das Kleid, welches ihr im Leben am meisten gefallen hatte. Am siebenten Tag nach ihrem Ende lag ich hier auf dem Sopha, wie jetzt, mich in meinem Schmerze tröstend, indem ich das Buch Platons über die Seele las. Inzwischen tritt Demänete (so hieß die Gestorbene) herein und setzt sich nahe zu mir. Als ich sie erblickte, umarmte ich sie und weinte laut. Sie ließ mich aber nicht schreien, sondern beschwerte sich darüber, daß ich eine von ihren goldenen Sandalen nicht mit verbrannt hätte, während ich ihr im Uebrigen alle Ehre angethan. Die Sandale sei aber unter einen Schrank ge¬ fallen gewesen und deshalb von uns nicht gefunden und verbrannt worden. Als wir noch so mit einander sprachen, bellte mein verwünschtes Malteserhünd¬ chen unter dem Sopha; sie aber verschwand bei dem Gebelle." . Ueber die Art der Erscheinung waren die Gespenstergläubigen später ver¬ schiedener Ansicht. Der Demänete Schatten läßt sich umarmen, hat also Con- sistenz. Ebenso kehrt in der „das bezauberte Grabmal" betitelten Declama- tionsrede Quintilians der verstorbene Sohn, schön und lebendig, zur geliebten Mutter in jeder Nacht und erwiedert ihre Küsse und Umarmungen. Und wer denkt nicht an Goethes „Braut von Korinth", deren Stoff den Wunder¬ geschichten des im zweiten Jahrhundert n. Chr. lebenden Phlegon von Tralles entnommen ist? Andere dachten sich die wiederkommenden Todten bereits wie

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115927/269>, abgerufen am 15.01.2025.