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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. IV. Band.

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leicht schon ein Drittel der neuengländischcn Bevölkerung. Sehr wenig An¬
hänger zählt unter dieser die bischöfliche Kirche, zahlreicher als deren Mitglieder
sind die "on^iäei-s", die religiös Gleichgültigen, welche sich zu gar keinem
Bekenntniß halten, ihre Kinder nicht einmal taufen lassen, in der Regel aber
der rohen und niedern Classe angehören. Der Spiritualismus, d. h. die Lehre,
daß man sich durch "Medien" mit den Seelen Verstorbner in Verbindung setzen
könne, bat wie in der ganzen Union auch in den Staaten Neuenglands sehr
viele Bekenner. und zwar sind unter diesen eine Menge von Freidenkern.

Die scrnpulöse Heilighaltung des Sabbaths ist dem Yankee eigenthümlich,
indeß läßt sie jetzt, infolge deutschen Einflusses, von ihrer Strenge nach. Saeieä
e<we?i-t,s, wobei sein weltliche Musik gemacht wird, sind auch hier in Neueng-
land Mode geworden. WäKrend man früher des Sonntags in keiner U^nkee-
HausKaltung kochte, sondern kalt speiste, was Tags zuvor zubereitet, worden,
hat die Mehrzahl der Neuengländer jetzt auch Sonntags warme Speisen auf
dem Tisä'e.

Der N^ni'ce wird von den übrigen Angloamerikanern des Fanatismus in
Ueberzeugungssachen beschuldigt, aber mit Unrecht. Der Verfasser siebt in ihm
vielmehr den verträglichsten und duldsamsten der Nordamerikaner. Wenn man
in Neuengland Hexen verbrannte und eine Quälerin ihres Glaubens wegen
hängte, so geschah dies zu einer Zeit, wo es anderswo nicht besser stand. Wenn
die alten Puritaner sehr intolerante Gesetze hatten, so sind diese längst abge¬
schafft. Man feiert jetzt -- welcher Greuel für die Altvordern! -- sogar katho¬
lische Festtage wie Weihnachten und Ostern, hat einen Karneval und Theater,
und selbst Bälle werden nicht mehr für gottlos gehalten. Eine Spur des
einstigen fanatischen Puritanerthums lebt allerdings noch in den Temperanz-
und Sonntagsgesetzen, sowie in dem Nativismus der Uankecs, doch läßt sich
hierfür mancherlei Entschuldigendes sagen. Geistige Getränke berauschen in
Amerika leichter, wie in Europa. Sie sind die Ursache der meisten Verbrechen
ja Unglücksfälle, und sie vorzüglich lassen so viele hoffnungsvolle junge Leute
in die'Classe der Roughs und Rowdics herabsinken. Sie endlich spielten eine
Hauptrolle in den politischen Kämpfen der letzten Jahrzehnte, indem in den
Schenken hauptsächlich die demokratische Partei, die Partei der Rohheit, sich
recrutirte und ihre Angriffe auf die Wahlfreiheit der Gegner vorbereitete. Die
gegen diese Uebel gestifteten Mäßigkeitsvereine konnten nicht recht durchdringen,
und so verlangten sie, namentlich als die zunehmende Einwanderung trunksüch¬
tiger Jrländer die Reihen der Gegner bedenklich verstärkte, das Einschreiten der
Gesetzgebung. Im Staat Maine erfolgte das erste Verbot des Handels mit
geistigen Getränken, die übrigen Ncuenglandstaaten ahmten die Maßregel nach,
und bald folgte auch der größte Theil der westlichen und südlichen Staaten,
indem die demokratische Partei in der Absicht, den Schein der Moralität zu


leicht schon ein Drittel der neuengländischcn Bevölkerung. Sehr wenig An¬
hänger zählt unter dieser die bischöfliche Kirche, zahlreicher als deren Mitglieder
sind die „on^iäei-s", die religiös Gleichgültigen, welche sich zu gar keinem
Bekenntniß halten, ihre Kinder nicht einmal taufen lassen, in der Regel aber
der rohen und niedern Classe angehören. Der Spiritualismus, d. h. die Lehre,
daß man sich durch „Medien" mit den Seelen Verstorbner in Verbindung setzen
könne, bat wie in der ganzen Union auch in den Staaten Neuenglands sehr
viele Bekenner. und zwar sind unter diesen eine Menge von Freidenkern.

Die scrnpulöse Heilighaltung des Sabbaths ist dem Yankee eigenthümlich,
indeß läßt sie jetzt, infolge deutschen Einflusses, von ihrer Strenge nach. Saeieä
e<we?i-t,s, wobei sein weltliche Musik gemacht wird, sind auch hier in Neueng-
land Mode geworden. WäKrend man früher des Sonntags in keiner U^nkee-
HausKaltung kochte, sondern kalt speiste, was Tags zuvor zubereitet, worden,
hat die Mehrzahl der Neuengländer jetzt auch Sonntags warme Speisen auf
dem Tisä'e.

Der N^ni'ce wird von den übrigen Angloamerikanern des Fanatismus in
Ueberzeugungssachen beschuldigt, aber mit Unrecht. Der Verfasser siebt in ihm
vielmehr den verträglichsten und duldsamsten der Nordamerikaner. Wenn man
in Neuengland Hexen verbrannte und eine Quälerin ihres Glaubens wegen
hängte, so geschah dies zu einer Zeit, wo es anderswo nicht besser stand. Wenn
die alten Puritaner sehr intolerante Gesetze hatten, so sind diese längst abge¬
schafft. Man feiert jetzt — welcher Greuel für die Altvordern! — sogar katho¬
lische Festtage wie Weihnachten und Ostern, hat einen Karneval und Theater,
und selbst Bälle werden nicht mehr für gottlos gehalten. Eine Spur des
einstigen fanatischen Puritanerthums lebt allerdings noch in den Temperanz-
und Sonntagsgesetzen, sowie in dem Nativismus der Uankecs, doch läßt sich
hierfür mancherlei Entschuldigendes sagen. Geistige Getränke berauschen in
Amerika leichter, wie in Europa. Sie sind die Ursache der meisten Verbrechen
ja Unglücksfälle, und sie vorzüglich lassen so viele hoffnungsvolle junge Leute
in die'Classe der Roughs und Rowdics herabsinken. Sie endlich spielten eine
Hauptrolle in den politischen Kämpfen der letzten Jahrzehnte, indem in den
Schenken hauptsächlich die demokratische Partei, die Partei der Rohheit, sich
recrutirte und ihre Angriffe auf die Wahlfreiheit der Gegner vorbereitete. Die
gegen diese Uebel gestifteten Mäßigkeitsvereine konnten nicht recht durchdringen,
und so verlangten sie, namentlich als die zunehmende Einwanderung trunksüch¬
tiger Jrländer die Reihen der Gegner bedenklich verstärkte, das Einschreiten der
Gesetzgebung. Im Staat Maine erfolgte das erste Verbot des Handels mit
geistigen Getränken, die übrigen Ncuenglandstaaten ahmten die Maßregel nach,
und bald folgte auch der größte Theil der westlichen und südlichen Staaten,
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115927/229>, abgerufen am 15.01.2025.