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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. IV. Band.

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noch ein Traum war, so ist uns nun umgekehrt jene Zeit unglaublichen Drucks
ein Traum geworden. Das Erwachen brachte die leipziger Schlacht, und wohl
durften auch wir mit demselben Recht wie überall ihr Gedächtniß als ein Freu¬
denfest feiern. Fürchten Sie leine Beschreibung der Fcstaufzüge, der Reden,
der Freudenfeuer, die auf jeder Höhe unserer mannigfaltigen Hügellandschaft in
der Nacht des 18. Octobers emporloderten. Es war wie anderwärts, und eben
darin bestand das Herrliche der Feier, daß sie allenvärts in gleicher Weise und,
wie wir sagen dürfen, in gleichem Geiste begangen wurde. War auch die Er¬
innerung eben für die Rheinbundstaaten keine ganz reine, so verschwand doch
dieser trübe Fleck Angesichts der allgemeinen Bedeutung des Festes. Wurde
doch nirgends bei uns eine Stimme laut, welche mit Rücksicht auf die Veteranen
oder etwa gar in undeutsch-particularistischer Gesinnung von der Feier abge¬
mahnt hätte. Die Veteranen selbst, die überdies nicht blos die Kriege gegen
Deutschland, sondern auch die Züge von 1814 und 181S mitgemacht hatten,
freuten sich des Tags; leider ergriffen sie nur an einzelnen Orten diese Veran¬
lassung, sich ihrer Helenamedaillen für immer zu entledigen. Sofern jene Er¬
innerung aber gleichwohl wie ein Stachel nachwirkte, diente sie nur dazu, der
Betheurung vaterländischen Sinnes um so schärfere Worte zu leihen. Rück¬
sichtslose Wahrheit wurde nach allen Seiten geübt, keine Vertuschung oder Be¬
mäntelung versucht. Nirgends vielleicht sind in diesen Tagen über das König-
thum von Napoleons Gnaden und die Schmach rheinbündlerischer Gesinnung
und That so scharfe Worte selbst in den Gotteshäusern gefallen als in der
schwäbischen Hauptstadt. Nur durch das Aussprechen der vollen rückhaltlosen
Wahrheit durften wir eintreten in die Reihe der übrigen feiernden Stämme.
Es war damit eine Art von Sühne gegeben, freilich nur in Worten, denen
einst die Thaten entsprechen mögen. Daß alle Schuld getilgt und kein Grund
mehr zur Buße sei," wurde vielleicht da und dort etwas allzu bestimmt und selbst¬
gerecht ausgesprochen. Aber wenn einer unsrer Redner meinte, was der Vater
gefehlt, habe der Sohn gesühnt, als er unsre Truppen zum Kampf gegen Frank¬
reich führte, und noch mehr, als er, der einzige König in Deutschland, die
Reichsverfassung mit dem Erbkaiserthum der Hohenzollern anerkannte, so hat er
damit allerdings die empfindlichste Saite berührt nicht blos für den Regenten,
sondern auch für das Volk. In der Frage der Unterordnung unter das Ganze
muß sich allerdings bewähren, was in den Betheurungen des festlichen Augen¬
blicks Wahrheit und nachhaltiger Entschluß gewesen ist. Jene kurze Episode,
herbeigeführt durch Zwang und nicht durch die reinsten Triebfedern erzielt,
würde sich weder für die eine, noch für die andere Seite zu einem unverlier¬
baren Titel eignen, unter dem man nur die anderen Stämme für das Mi߬
lingen des Werks verantwortlich machen dürfte. Hoffen wir, daß auch in dieser
Beziehung, in der Erkenntniß der nothwendigen Unterordnung der Einzelnen,


noch ein Traum war, so ist uns nun umgekehrt jene Zeit unglaublichen Drucks
ein Traum geworden. Das Erwachen brachte die leipziger Schlacht, und wohl
durften auch wir mit demselben Recht wie überall ihr Gedächtniß als ein Freu¬
denfest feiern. Fürchten Sie leine Beschreibung der Fcstaufzüge, der Reden,
der Freudenfeuer, die auf jeder Höhe unserer mannigfaltigen Hügellandschaft in
der Nacht des 18. Octobers emporloderten. Es war wie anderwärts, und eben
darin bestand das Herrliche der Feier, daß sie allenvärts in gleicher Weise und,
wie wir sagen dürfen, in gleichem Geiste begangen wurde. War auch die Er¬
innerung eben für die Rheinbundstaaten keine ganz reine, so verschwand doch
dieser trübe Fleck Angesichts der allgemeinen Bedeutung des Festes. Wurde
doch nirgends bei uns eine Stimme laut, welche mit Rücksicht auf die Veteranen
oder etwa gar in undeutsch-particularistischer Gesinnung von der Feier abge¬
mahnt hätte. Die Veteranen selbst, die überdies nicht blos die Kriege gegen
Deutschland, sondern auch die Züge von 1814 und 181S mitgemacht hatten,
freuten sich des Tags; leider ergriffen sie nur an einzelnen Orten diese Veran¬
lassung, sich ihrer Helenamedaillen für immer zu entledigen. Sofern jene Er¬
innerung aber gleichwohl wie ein Stachel nachwirkte, diente sie nur dazu, der
Betheurung vaterländischen Sinnes um so schärfere Worte zu leihen. Rück¬
sichtslose Wahrheit wurde nach allen Seiten geübt, keine Vertuschung oder Be¬
mäntelung versucht. Nirgends vielleicht sind in diesen Tagen über das König-
thum von Napoleons Gnaden und die Schmach rheinbündlerischer Gesinnung
und That so scharfe Worte selbst in den Gotteshäusern gefallen als in der
schwäbischen Hauptstadt. Nur durch das Aussprechen der vollen rückhaltlosen
Wahrheit durften wir eintreten in die Reihe der übrigen feiernden Stämme.
Es war damit eine Art von Sühne gegeben, freilich nur in Worten, denen
einst die Thaten entsprechen mögen. Daß alle Schuld getilgt und kein Grund
mehr zur Buße sei," wurde vielleicht da und dort etwas allzu bestimmt und selbst¬
gerecht ausgesprochen. Aber wenn einer unsrer Redner meinte, was der Vater
gefehlt, habe der Sohn gesühnt, als er unsre Truppen zum Kampf gegen Frank¬
reich führte, und noch mehr, als er, der einzige König in Deutschland, die
Reichsverfassung mit dem Erbkaiserthum der Hohenzollern anerkannte, so hat er
damit allerdings die empfindlichste Saite berührt nicht blos für den Regenten,
sondern auch für das Volk. In der Frage der Unterordnung unter das Ganze
muß sich allerdings bewähren, was in den Betheurungen des festlichen Augen¬
blicks Wahrheit und nachhaltiger Entschluß gewesen ist. Jene kurze Episode,
herbeigeführt durch Zwang und nicht durch die reinsten Triebfedern erzielt,
würde sich weder für die eine, noch für die andere Seite zu einem unverlier¬
baren Titel eignen, unter dem man nur die anderen Stämme für das Mi߬
lingen des Werks verantwortlich machen dürfte. Hoffen wir, daß auch in dieser
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[0223] noch ein Traum war, so ist uns nun umgekehrt jene Zeit unglaublichen Drucks ein Traum geworden. Das Erwachen brachte die leipziger Schlacht, und wohl durften auch wir mit demselben Recht wie überall ihr Gedächtniß als ein Freu¬ denfest feiern. Fürchten Sie leine Beschreibung der Fcstaufzüge, der Reden, der Freudenfeuer, die auf jeder Höhe unserer mannigfaltigen Hügellandschaft in der Nacht des 18. Octobers emporloderten. Es war wie anderwärts, und eben darin bestand das Herrliche der Feier, daß sie allenvärts in gleicher Weise und, wie wir sagen dürfen, in gleichem Geiste begangen wurde. War auch die Er¬ innerung eben für die Rheinbundstaaten keine ganz reine, so verschwand doch dieser trübe Fleck Angesichts der allgemeinen Bedeutung des Festes. Wurde doch nirgends bei uns eine Stimme laut, welche mit Rücksicht auf die Veteranen oder etwa gar in undeutsch-particularistischer Gesinnung von der Feier abge¬ mahnt hätte. Die Veteranen selbst, die überdies nicht blos die Kriege gegen Deutschland, sondern auch die Züge von 1814 und 181S mitgemacht hatten, freuten sich des Tags; leider ergriffen sie nur an einzelnen Orten diese Veran¬ lassung, sich ihrer Helenamedaillen für immer zu entledigen. Sofern jene Er¬ innerung aber gleichwohl wie ein Stachel nachwirkte, diente sie nur dazu, der Betheurung vaterländischen Sinnes um so schärfere Worte zu leihen. Rück¬ sichtslose Wahrheit wurde nach allen Seiten geübt, keine Vertuschung oder Be¬ mäntelung versucht. Nirgends vielleicht sind in diesen Tagen über das König- thum von Napoleons Gnaden und die Schmach rheinbündlerischer Gesinnung und That so scharfe Worte selbst in den Gotteshäusern gefallen als in der schwäbischen Hauptstadt. Nur durch das Aussprechen der vollen rückhaltlosen Wahrheit durften wir eintreten in die Reihe der übrigen feiernden Stämme. Es war damit eine Art von Sühne gegeben, freilich nur in Worten, denen einst die Thaten entsprechen mögen. Daß alle Schuld getilgt und kein Grund mehr zur Buße sei," wurde vielleicht da und dort etwas allzu bestimmt und selbst¬ gerecht ausgesprochen. Aber wenn einer unsrer Redner meinte, was der Vater gefehlt, habe der Sohn gesühnt, als er unsre Truppen zum Kampf gegen Frank¬ reich führte, und noch mehr, als er, der einzige König in Deutschland, die Reichsverfassung mit dem Erbkaiserthum der Hohenzollern anerkannte, so hat er damit allerdings die empfindlichste Saite berührt nicht blos für den Regenten, sondern auch für das Volk. In der Frage der Unterordnung unter das Ganze muß sich allerdings bewähren, was in den Betheurungen des festlichen Augen¬ blicks Wahrheit und nachhaltiger Entschluß gewesen ist. Jene kurze Episode, herbeigeführt durch Zwang und nicht durch die reinsten Triebfedern erzielt, würde sich weder für die eine, noch für die andere Seite zu einem unverlier¬ baren Titel eignen, unter dem man nur die anderen Stämme für das Mi߬ lingen des Werks verantwortlich machen dürfte. Hoffen wir, daß auch in dieser Beziehung, in der Erkenntniß der nothwendigen Unterordnung der Einzelnen,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115927/223>, abgerufen am 15.01.2025.