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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. IV. Band.

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großer Tragweite oder nationale Stoffe, die Andern romantische Motive sich
wählen, die eine gewisse träumerische Stimmung von Haus .aus mit sich
brachten, mochte der Genremaler lächerliche Situationen aus dem Volksleben
oder rührende Conflicte aus der Gegenwart, der Landschafter die Alpen mit
allen Zuthaten oder ein beliebiges Stück Gegend mit den Spuren unheimlicher
Leidenschaften behandeln: immer war es der Inhalt, der dem Kunstwerke seinen
eigenthümlichen Werth geben sollte und dem die Erscheinung erst in zweiter
Linie folgte, um ihn möglichst deutlich auszusprechen. Diese Kunst, halb
didaktisch, halb poetisch, die bald in das Gebiet der Erzählung, bald in das
der Dichtung übergriff und nur im eigenen Hause nicht recht heimisch wurde,
erst so hochgeschätzt, sängt nun an im Werthe zu sinken und sinkt vielleicht
tiefer, als sie es verdient. Aber den Vorwurf muß sie sich machen- lassen, daß
sie vielleicht recht lehrreich, manchmal auch unterhaltend, dagegen sehr selten
künstlerisches Gebilde war, volle lebendige Erscheinung, an der Auge und
Phantasie ihre Freude haben könnten. Sie hat auf diese Weise ein Publicum
groß gezogen, das immer nach dem Was fragt und wenig Sinn für die ein¬
fache Schönheit hat. die voll freudigen Lebens im Lichte schwebt, ihren ganzen
Reichthum mit sich und in ihrem edlen Antlitze eine Welt von Empfindungen
trägt. Die verschlimmernde Rückwirkung blieb nicht aus, und so entstand eine
Kunst, welche das Verhältniß von Inhalt und Erscheinung umkehrte: diese für
sich wurde leblos und nichtssagend, ein bloßes Zeichen, das den gewichtigen
Inhalt andeutend versinnlichen sollte, da doch im echten Kunstwerke die Er¬
scheinung Alles ist und eine Fülle inneren Lebens aus sich herausleuchten
läßt, die den Inhalt, welchen sie darstellen soll, ins Unendliche steigert. Ist
es nöthig, um zwei Extreme zu nennen, an die Erzväter Michelangelos oder
den Geiger von Teniers zu erinnern?

Von dem Bewußtsein ihres großen Inhalts getragen, war dieser Kunst
die Form (im weitesten Sinn des Wortes) ein Beiläufiges, das sich mit ein
Paar akademischen Lehrjahren und etwas Naturstudium wohl erreichen lasse.
Daß die künstlerische Form auf Gesetzen beruhe, welche die Meister der großen
Kunstepoche gefunden und ausgebildet haben, daß der Künstler diesen Gesetzen
immer wieder nachgehen und sie mit seiner Anschauung der Natur in Ueber¬
einstimmung bringen muß. über diese ersten Grundsätze aller Kunstübung war
und blieb man im Dunkeln. Es kam, wie es unter solchen Verhältnissen nicht
anders kommen konnte: die Empfindung für die Form, für den Rhythmus
der Linien, das stimmungsvolle Spiel des Lichtes ging verloren, und ein leerer
conventioneller Formalismus, von den Akademien groß gezogen, gewann die
Oberhand, Man verschmähte es ebensosehr, in die strenge Schule der Alten
ZU gehen, als von den Franzosen und Belgiern zu lernen, die auf die künstle¬
rische Vollendung der Erscheinung das größte Gewicht legten. Eine Welt von


großer Tragweite oder nationale Stoffe, die Andern romantische Motive sich
wählen, die eine gewisse träumerische Stimmung von Haus .aus mit sich
brachten, mochte der Genremaler lächerliche Situationen aus dem Volksleben
oder rührende Conflicte aus der Gegenwart, der Landschafter die Alpen mit
allen Zuthaten oder ein beliebiges Stück Gegend mit den Spuren unheimlicher
Leidenschaften behandeln: immer war es der Inhalt, der dem Kunstwerke seinen
eigenthümlichen Werth geben sollte und dem die Erscheinung erst in zweiter
Linie folgte, um ihn möglichst deutlich auszusprechen. Diese Kunst, halb
didaktisch, halb poetisch, die bald in das Gebiet der Erzählung, bald in das
der Dichtung übergriff und nur im eigenen Hause nicht recht heimisch wurde,
erst so hochgeschätzt, sängt nun an im Werthe zu sinken und sinkt vielleicht
tiefer, als sie es verdient. Aber den Vorwurf muß sie sich machen- lassen, daß
sie vielleicht recht lehrreich, manchmal auch unterhaltend, dagegen sehr selten
künstlerisches Gebilde war, volle lebendige Erscheinung, an der Auge und
Phantasie ihre Freude haben könnten. Sie hat auf diese Weise ein Publicum
groß gezogen, das immer nach dem Was fragt und wenig Sinn für die ein¬
fache Schönheit hat. die voll freudigen Lebens im Lichte schwebt, ihren ganzen
Reichthum mit sich und in ihrem edlen Antlitze eine Welt von Empfindungen
trägt. Die verschlimmernde Rückwirkung blieb nicht aus, und so entstand eine
Kunst, welche das Verhältniß von Inhalt und Erscheinung umkehrte: diese für
sich wurde leblos und nichtssagend, ein bloßes Zeichen, das den gewichtigen
Inhalt andeutend versinnlichen sollte, da doch im echten Kunstwerke die Er¬
scheinung Alles ist und eine Fülle inneren Lebens aus sich herausleuchten
läßt, die den Inhalt, welchen sie darstellen soll, ins Unendliche steigert. Ist
es nöthig, um zwei Extreme zu nennen, an die Erzväter Michelangelos oder
den Geiger von Teniers zu erinnern?

Von dem Bewußtsein ihres großen Inhalts getragen, war dieser Kunst
die Form (im weitesten Sinn des Wortes) ein Beiläufiges, das sich mit ein
Paar akademischen Lehrjahren und etwas Naturstudium wohl erreichen lasse.
Daß die künstlerische Form auf Gesetzen beruhe, welche die Meister der großen
Kunstepoche gefunden und ausgebildet haben, daß der Künstler diesen Gesetzen
immer wieder nachgehen und sie mit seiner Anschauung der Natur in Ueber¬
einstimmung bringen muß. über diese ersten Grundsätze aller Kunstübung war
und blieb man im Dunkeln. Es kam, wie es unter solchen Verhältnissen nicht
anders kommen konnte: die Empfindung für die Form, für den Rhythmus
der Linien, das stimmungsvolle Spiel des Lichtes ging verloren, und ein leerer
conventioneller Formalismus, von den Akademien groß gezogen, gewann die
Oberhand, Man verschmähte es ebensosehr, in die strenge Schule der Alten
ZU gehen, als von den Franzosen und Belgiern zu lernen, die auf die künstle¬
rische Vollendung der Erscheinung das größte Gewicht legten. Eine Welt von


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[0213] großer Tragweite oder nationale Stoffe, die Andern romantische Motive sich wählen, die eine gewisse träumerische Stimmung von Haus .aus mit sich brachten, mochte der Genremaler lächerliche Situationen aus dem Volksleben oder rührende Conflicte aus der Gegenwart, der Landschafter die Alpen mit allen Zuthaten oder ein beliebiges Stück Gegend mit den Spuren unheimlicher Leidenschaften behandeln: immer war es der Inhalt, der dem Kunstwerke seinen eigenthümlichen Werth geben sollte und dem die Erscheinung erst in zweiter Linie folgte, um ihn möglichst deutlich auszusprechen. Diese Kunst, halb didaktisch, halb poetisch, die bald in das Gebiet der Erzählung, bald in das der Dichtung übergriff und nur im eigenen Hause nicht recht heimisch wurde, erst so hochgeschätzt, sängt nun an im Werthe zu sinken und sinkt vielleicht tiefer, als sie es verdient. Aber den Vorwurf muß sie sich machen- lassen, daß sie vielleicht recht lehrreich, manchmal auch unterhaltend, dagegen sehr selten künstlerisches Gebilde war, volle lebendige Erscheinung, an der Auge und Phantasie ihre Freude haben könnten. Sie hat auf diese Weise ein Publicum groß gezogen, das immer nach dem Was fragt und wenig Sinn für die ein¬ fache Schönheit hat. die voll freudigen Lebens im Lichte schwebt, ihren ganzen Reichthum mit sich und in ihrem edlen Antlitze eine Welt von Empfindungen trägt. Die verschlimmernde Rückwirkung blieb nicht aus, und so entstand eine Kunst, welche das Verhältniß von Inhalt und Erscheinung umkehrte: diese für sich wurde leblos und nichtssagend, ein bloßes Zeichen, das den gewichtigen Inhalt andeutend versinnlichen sollte, da doch im echten Kunstwerke die Er¬ scheinung Alles ist und eine Fülle inneren Lebens aus sich herausleuchten läßt, die den Inhalt, welchen sie darstellen soll, ins Unendliche steigert. Ist es nöthig, um zwei Extreme zu nennen, an die Erzväter Michelangelos oder den Geiger von Teniers zu erinnern? Von dem Bewußtsein ihres großen Inhalts getragen, war dieser Kunst die Form (im weitesten Sinn des Wortes) ein Beiläufiges, das sich mit ein Paar akademischen Lehrjahren und etwas Naturstudium wohl erreichen lasse. Daß die künstlerische Form auf Gesetzen beruhe, welche die Meister der großen Kunstepoche gefunden und ausgebildet haben, daß der Künstler diesen Gesetzen immer wieder nachgehen und sie mit seiner Anschauung der Natur in Ueber¬ einstimmung bringen muß. über diese ersten Grundsätze aller Kunstübung war und blieb man im Dunkeln. Es kam, wie es unter solchen Verhältnissen nicht anders kommen konnte: die Empfindung für die Form, für den Rhythmus der Linien, das stimmungsvolle Spiel des Lichtes ging verloren, und ein leerer conventioneller Formalismus, von den Akademien groß gezogen, gewann die Oberhand, Man verschmähte es ebensosehr, in die strenge Schule der Alten ZU gehen, als von den Franzosen und Belgiern zu lernen, die auf die künstle¬ rische Vollendung der Erscheinung das größte Gewicht legten. Eine Welt von

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115927/213>, abgerufen am 15.01.2025.