Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band.Aber wir sind der Ansicht, daß die kaiserliche Regierung Gründe gefunden haben Schon i" der Mitte des vorigen Monats durfte man sagen, und sicherlich war Die Deutschen sind nicht mehr ein unmündiges Volk, welches den Regierungen Es ist nicht unsre Aufgabe, zu untersuchen, ob es im Interesse Oestreichs liegt, Aber wir sind der Ansicht, daß die kaiserliche Regierung Gründe gefunden haben Schon i» der Mitte des vorigen Monats durfte man sagen, und sicherlich war Die Deutschen sind nicht mehr ein unmündiges Volk, welches den Regierungen Es ist nicht unsre Aufgabe, zu untersuchen, ob es im Interesse Oestreichs liegt, <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0086" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/115478"/> <p xml:id="ID_250"> Aber wir sind der Ansicht, daß die kaiserliche Regierung Gründe gefunden haben<lb/> wird, welche ihr nach den Ereignissen der letzten Wochen jedes solche Reformproject trotz<lb/> der scheinbaren Gunst der Lage als gefährlich und nicht zeitgemäß erscheinen lassen.</p><lb/> <p xml:id="ID_251"> Schon i» der Mitte des vorigen Monats durfte man sagen, und sicherlich war<lb/> auch dem Herzog von Coburg diese Ansicht nicht fremd, daß eine Reform der deut¬<lb/> schen Bundesverhältnisse durch Oestreich das Bedenken gegen sich habe, nach zwei<lb/> Richtungen zu spät zu kommen.</p><lb/> <p xml:id="ID_252"> Die Deutschen sind nicht mehr ein unmündiges Volk, welches den Regierungen<lb/> gestattet, über die neue Bildung Deutschlands Beschlüsse zufassen, durch Regierungs-<lb/> vcrhandlungen eine Verfassung fertig zu machen und auf Grund derselben irgend<lb/> eine Volksvertretung einzuberufen. Die Forderungen des Volkes werden durch Par¬<lb/> teien vertreten, welche einem bestimmten Programm anhängen und mit mehr oder<lb/> weniger Mißtrauen auf den guten Willen und die Kraft der Regierungen sehen.<lb/> Mit der höheren Entwickelung des öffentlichen Lebens ist die Ueberzeugung allgemein<lb/> geworden, daß das Volk der letzte Richter über das ihm Heilsame sein müsse und<lb/> daß die Bürgschaft der Dauer und Tüchtigkeit einer Neubildung nur dann kommen<lb/> werde, wenn das Volk selbst in gesunder und gesetzlicher Agitation sich seine poli¬<lb/> tische Einheit erringe. Der Deutsche wird daher kritisch, ohne Wärme und ohne<lb/> große Bereitwilligkeit jede Convention der Regierungen betrachten. Und wenn in<lb/> der nationalen Partei, welche fast drei Viertheile des deutschen Gebietes beherrscht,<lb/> ja eine verschiedene Auffassung solcher Ncgierungswohithaten zu Tage kommen sollte,<lb/> so würde gerade die Fraction, welche bereit wäre, auf Grundlage eines Parlaments<lb/> den Regierungen freundlich entgegenzukommen, diejenige sein, welche vom Standpunkt<lb/> Oestreichs und eines conservativen Regiments am meisten zu fürchten wäre. Denn<lb/> ihre geheime Absicht würde jein, in dem Parlament einen festen Boden zu finden,<lb/> auf welchem sie ihre Hebel einsetzt, um alles Widerstrebende vom deutschen Boden<lb/> wegzuschleudern. Nach der Auffassung dieser Fraction der nationalen Partei würde<lb/> ein durch Oestreich zusammcnberufenes deutsches Parlament der Ausgangspunkt für<lb/> eine neue größere Bewegung sei», welche die bereits begonnene Thätigkeit schneller<lb/> förderte. Wenn einer solchen Auffassung energischer Politiker innerhalb der natio¬<lb/> nalen Partei eine andere gegenübersteht, welche die Wiederholung des Kampfes<lb/> von 1348 fürchtet, und nur auf sicherer und genügender Grundlage den Neubau<lb/> Deutschlands errichtet wünscht, so besteht der Unterschied zwischen beiden Ansichten<lb/> durchaus in keiner Differenz über das letzte Ziel, sondorn nur über die Mittel und Wege.<lb/> Und. die östreichische Regierung hat bei ihren Plänen, wie liberal ihr selbst dieselben<lb/> erscheinen mögen, im besten Fall auf eine kühle Anerkennung, durchaus nicht auf die<lb/> herzliche Beistimmung der nationalen zu rechnen. Dazu ist Deutschland, wen» man die<lb/> wahre Bezeichnung der Sachlage nicht mißverstehen will, bereits zu weit revolutionirt.</p><lb/> <p xml:id="ID_253" next="#ID_254"> Es ist nicht unsre Aufgabe, zu untersuchen, ob es im Interesse Oestreichs liegt,<lb/> durch Abgeordnete, welche aus den deutschen Provinzen des Kaiserstaats vom Volke<lb/> selbst gewählt werden, seine eigenen Provinzen mit unserm Parteileben in parla¬<lb/> mentarische Verbindung zu bringen. Die Herren v. Rcchbcrg und v. Schmerling<lb/> wissen besser als wir, ob das neue Oestreich seiner Abgeordneten, die nicht aus der<lb/> Majorität des Reichstags entsandt werden, auf die Dauer so sicher ist, wie mit<lb/> wenigen Ausnahmen im Jahre 1848 der Fall war, so sicher, daß diese nicht durch</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0086]
Aber wir sind der Ansicht, daß die kaiserliche Regierung Gründe gefunden haben
wird, welche ihr nach den Ereignissen der letzten Wochen jedes solche Reformproject trotz
der scheinbaren Gunst der Lage als gefährlich und nicht zeitgemäß erscheinen lassen.
Schon i» der Mitte des vorigen Monats durfte man sagen, und sicherlich war
auch dem Herzog von Coburg diese Ansicht nicht fremd, daß eine Reform der deut¬
schen Bundesverhältnisse durch Oestreich das Bedenken gegen sich habe, nach zwei
Richtungen zu spät zu kommen.
Die Deutschen sind nicht mehr ein unmündiges Volk, welches den Regierungen
gestattet, über die neue Bildung Deutschlands Beschlüsse zufassen, durch Regierungs-
vcrhandlungen eine Verfassung fertig zu machen und auf Grund derselben irgend
eine Volksvertretung einzuberufen. Die Forderungen des Volkes werden durch Par¬
teien vertreten, welche einem bestimmten Programm anhängen und mit mehr oder
weniger Mißtrauen auf den guten Willen und die Kraft der Regierungen sehen.
Mit der höheren Entwickelung des öffentlichen Lebens ist die Ueberzeugung allgemein
geworden, daß das Volk der letzte Richter über das ihm Heilsame sein müsse und
daß die Bürgschaft der Dauer und Tüchtigkeit einer Neubildung nur dann kommen
werde, wenn das Volk selbst in gesunder und gesetzlicher Agitation sich seine poli¬
tische Einheit erringe. Der Deutsche wird daher kritisch, ohne Wärme und ohne
große Bereitwilligkeit jede Convention der Regierungen betrachten. Und wenn in
der nationalen Partei, welche fast drei Viertheile des deutschen Gebietes beherrscht,
ja eine verschiedene Auffassung solcher Ncgierungswohithaten zu Tage kommen sollte,
so würde gerade die Fraction, welche bereit wäre, auf Grundlage eines Parlaments
den Regierungen freundlich entgegenzukommen, diejenige sein, welche vom Standpunkt
Oestreichs und eines conservativen Regiments am meisten zu fürchten wäre. Denn
ihre geheime Absicht würde jein, in dem Parlament einen festen Boden zu finden,
auf welchem sie ihre Hebel einsetzt, um alles Widerstrebende vom deutschen Boden
wegzuschleudern. Nach der Auffassung dieser Fraction der nationalen Partei würde
ein durch Oestreich zusammcnberufenes deutsches Parlament der Ausgangspunkt für
eine neue größere Bewegung sei», welche die bereits begonnene Thätigkeit schneller
förderte. Wenn einer solchen Auffassung energischer Politiker innerhalb der natio¬
nalen Partei eine andere gegenübersteht, welche die Wiederholung des Kampfes
von 1348 fürchtet, und nur auf sicherer und genügender Grundlage den Neubau
Deutschlands errichtet wünscht, so besteht der Unterschied zwischen beiden Ansichten
durchaus in keiner Differenz über das letzte Ziel, sondorn nur über die Mittel und Wege.
Und. die östreichische Regierung hat bei ihren Plänen, wie liberal ihr selbst dieselben
erscheinen mögen, im besten Fall auf eine kühle Anerkennung, durchaus nicht auf die
herzliche Beistimmung der nationalen zu rechnen. Dazu ist Deutschland, wen» man die
wahre Bezeichnung der Sachlage nicht mißverstehen will, bereits zu weit revolutionirt.
Es ist nicht unsre Aufgabe, zu untersuchen, ob es im Interesse Oestreichs liegt,
durch Abgeordnete, welche aus den deutschen Provinzen des Kaiserstaats vom Volke
selbst gewählt werden, seine eigenen Provinzen mit unserm Parteileben in parla¬
mentarische Verbindung zu bringen. Die Herren v. Rcchbcrg und v. Schmerling
wissen besser als wir, ob das neue Oestreich seiner Abgeordneten, die nicht aus der
Majorität des Reichstags entsandt werden, auf die Dauer so sicher ist, wie mit
wenigen Ausnahmen im Jahre 1848 der Fall war, so sicher, daß diese nicht durch
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |