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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band.

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Die Mittelstaaten, denen ihr besonderer Charakter durch den Rheinbund
aufgedrückt und durch den wiener Kongreß bestätigt ist, repräsentiren in Deutsch¬
land recht eigentlich den Particularismus und das dynastische Selbständigkeits¬
streben, und es läßt sich nicht in Abrede stellen, daß sie im Allgemeinen ihr
P rincip mit großer Klugheit vertreten haben. Sie wurden die Schule der par¬
lamentarischen Bildung in Deutschland; in ihnen erhoben sich die ersten politi¬
schen Tribünen Deutschlands. Freilich war die Erziehungsstätte zu eng, um
einen wahrhaft praktischen Sinn und jenen staatsmännischen Takt in der Nation
zu erzeugen, der das Kennzeichen der politischen Reife und die Bürgschaft der
Politischen Freiheit ist. Dies schmälert indessen nicht im geringsten das Ver¬
dienst der Regierungen, die einsichtsvoll genug waren, in constitutionellen Ein¬
richtungen eine Stütze für ihre Unabhängigkeit und Selbständigkeit zu suchen.
Oestreich, welches den Particularismus unter seinen Schutz genommen hatte,
weil es gehofft hatte, in den Sondcrsouveränctäten die beste Stütze für seinen
Einfluß in Deutschland zu gewinnen, sah diese Entwickelung nicht ohne Be¬
sorgnis;. Blieb auch sein Einfluß in Deutschland überwiegend, so ging er doch
nicht so weit, die Regierungen unbedingt an seine Politik zu fesseln. Mußte
die östreichische Regierung es doch erleben,'daß Preußen, welches in allen rein
politischen Fragen an Oestreich sich anschloß, auf dem handelspolitischen Gebiete,
auf dem Oestreich in keiner Weise mit ihm concurriren konnte, durch Gründung
des Zollvereins einen glänzenden Sieg davontrug! Ein Sieg, der um so folgen¬
reicher war, da der Zollverein in gewissem Sinne ein Vorbild der allmälig sich
entwickelnden Idee des engeren Bundesstaates wurde.

Diese Idee ist, nicht in ihren Anfängen, wohl aber, in ihrer ausgebil¬
deten Gestalt das Resultat der Bewegungen des Jahres 1848. Ihr gegen¬
über war die Erneuerung des Bundes Oestreichs mit dem Particularismus
unvermeidlich. Dieser Bund schien daraus angewiesen zu sein, mit größter
Festigkeit zusammenzuhalten, da er nicht blos gegen ideale Bestrebungen gerich¬
tet war, sondern sich entschließe" mühte, Preußen selbst, welches von der Natio¬
nalpartei zum Vertreter dieser Bestrebungen berufen war und diesem Berufe
sich nicht völlig entziehen konnte, zu bekämpfen. Dennoch trat schon zur Zeit
und in Veranlassung des Krimkrieges eine Lockerung der Intimität ein: die
Mittelstädten schlossen sich der Nußland günstigen Neutralitätspolitik Preußens
an. Es zeigte sich also (und es ist gut, dies nicht zu vergessen), daß die
östreichische Regierung nicht unter allen Umständen in ihrer auswärtigen Politik
auf die Unterstützung ihrer Freunde in Deutschland rechnen konnte! Indessen
steigerte sich die Intimität zwischen Oestreich und dem Particularismus wieder,
als durch den Aufschwung, den mit Eintritt der neuen Aera in Berlin die
nationalen Hoffnungen nahmen, der letztere sich mehr als je in seiner Existenz
bedroht sah. Die Veranlassung zu einem schroffen Gegenübertreten der Par-


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Die Mittelstaaten, denen ihr besonderer Charakter durch den Rheinbund
aufgedrückt und durch den wiener Kongreß bestätigt ist, repräsentiren in Deutsch¬
land recht eigentlich den Particularismus und das dynastische Selbständigkeits¬
streben, und es läßt sich nicht in Abrede stellen, daß sie im Allgemeinen ihr
P rincip mit großer Klugheit vertreten haben. Sie wurden die Schule der par¬
lamentarischen Bildung in Deutschland; in ihnen erhoben sich die ersten politi¬
schen Tribünen Deutschlands. Freilich war die Erziehungsstätte zu eng, um
einen wahrhaft praktischen Sinn und jenen staatsmännischen Takt in der Nation
zu erzeugen, der das Kennzeichen der politischen Reife und die Bürgschaft der
Politischen Freiheit ist. Dies schmälert indessen nicht im geringsten das Ver¬
dienst der Regierungen, die einsichtsvoll genug waren, in constitutionellen Ein¬
richtungen eine Stütze für ihre Unabhängigkeit und Selbständigkeit zu suchen.
Oestreich, welches den Particularismus unter seinen Schutz genommen hatte,
weil es gehofft hatte, in den Sondcrsouveränctäten die beste Stütze für seinen
Einfluß in Deutschland zu gewinnen, sah diese Entwickelung nicht ohne Be¬
sorgnis;. Blieb auch sein Einfluß in Deutschland überwiegend, so ging er doch
nicht so weit, die Regierungen unbedingt an seine Politik zu fesseln. Mußte
die östreichische Regierung es doch erleben,'daß Preußen, welches in allen rein
politischen Fragen an Oestreich sich anschloß, auf dem handelspolitischen Gebiete,
auf dem Oestreich in keiner Weise mit ihm concurriren konnte, durch Gründung
des Zollvereins einen glänzenden Sieg davontrug! Ein Sieg, der um so folgen¬
reicher war, da der Zollverein in gewissem Sinne ein Vorbild der allmälig sich
entwickelnden Idee des engeren Bundesstaates wurde.

Diese Idee ist, nicht in ihren Anfängen, wohl aber, in ihrer ausgebil¬
deten Gestalt das Resultat der Bewegungen des Jahres 1848. Ihr gegen¬
über war die Erneuerung des Bundes Oestreichs mit dem Particularismus
unvermeidlich. Dieser Bund schien daraus angewiesen zu sein, mit größter
Festigkeit zusammenzuhalten, da er nicht blos gegen ideale Bestrebungen gerich¬
tet war, sondern sich entschließe» mühte, Preußen selbst, welches von der Natio¬
nalpartei zum Vertreter dieser Bestrebungen berufen war und diesem Berufe
sich nicht völlig entziehen konnte, zu bekämpfen. Dennoch trat schon zur Zeit
und in Veranlassung des Krimkrieges eine Lockerung der Intimität ein: die
Mittelstädten schlossen sich der Nußland günstigen Neutralitätspolitik Preußens
an. Es zeigte sich also (und es ist gut, dies nicht zu vergessen), daß die
östreichische Regierung nicht unter allen Umständen in ihrer auswärtigen Politik
auf die Unterstützung ihrer Freunde in Deutschland rechnen konnte! Indessen
steigerte sich die Intimität zwischen Oestreich und dem Particularismus wieder,
als durch den Aufschwung, den mit Eintritt der neuen Aera in Berlin die
nationalen Hoffnungen nahmen, der letztere sich mehr als je in seiner Existenz
bedroht sah. Die Veranlassung zu einem schroffen Gegenübertreten der Par-


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[0051] Die Mittelstaaten, denen ihr besonderer Charakter durch den Rheinbund aufgedrückt und durch den wiener Kongreß bestätigt ist, repräsentiren in Deutsch¬ land recht eigentlich den Particularismus und das dynastische Selbständigkeits¬ streben, und es läßt sich nicht in Abrede stellen, daß sie im Allgemeinen ihr P rincip mit großer Klugheit vertreten haben. Sie wurden die Schule der par¬ lamentarischen Bildung in Deutschland; in ihnen erhoben sich die ersten politi¬ schen Tribünen Deutschlands. Freilich war die Erziehungsstätte zu eng, um einen wahrhaft praktischen Sinn und jenen staatsmännischen Takt in der Nation zu erzeugen, der das Kennzeichen der politischen Reife und die Bürgschaft der Politischen Freiheit ist. Dies schmälert indessen nicht im geringsten das Ver¬ dienst der Regierungen, die einsichtsvoll genug waren, in constitutionellen Ein¬ richtungen eine Stütze für ihre Unabhängigkeit und Selbständigkeit zu suchen. Oestreich, welches den Particularismus unter seinen Schutz genommen hatte, weil es gehofft hatte, in den Sondcrsouveränctäten die beste Stütze für seinen Einfluß in Deutschland zu gewinnen, sah diese Entwickelung nicht ohne Be¬ sorgnis;. Blieb auch sein Einfluß in Deutschland überwiegend, so ging er doch nicht so weit, die Regierungen unbedingt an seine Politik zu fesseln. Mußte die östreichische Regierung es doch erleben,'daß Preußen, welches in allen rein politischen Fragen an Oestreich sich anschloß, auf dem handelspolitischen Gebiete, auf dem Oestreich in keiner Weise mit ihm concurriren konnte, durch Gründung des Zollvereins einen glänzenden Sieg davontrug! Ein Sieg, der um so folgen¬ reicher war, da der Zollverein in gewissem Sinne ein Vorbild der allmälig sich entwickelnden Idee des engeren Bundesstaates wurde. Diese Idee ist, nicht in ihren Anfängen, wohl aber, in ihrer ausgebil¬ deten Gestalt das Resultat der Bewegungen des Jahres 1848. Ihr gegen¬ über war die Erneuerung des Bundes Oestreichs mit dem Particularismus unvermeidlich. Dieser Bund schien daraus angewiesen zu sein, mit größter Festigkeit zusammenzuhalten, da er nicht blos gegen ideale Bestrebungen gerich¬ tet war, sondern sich entschließe» mühte, Preußen selbst, welches von der Natio¬ nalpartei zum Vertreter dieser Bestrebungen berufen war und diesem Berufe sich nicht völlig entziehen konnte, zu bekämpfen. Dennoch trat schon zur Zeit und in Veranlassung des Krimkrieges eine Lockerung der Intimität ein: die Mittelstädten schlossen sich der Nußland günstigen Neutralitätspolitik Preußens an. Es zeigte sich also (und es ist gut, dies nicht zu vergessen), daß die östreichische Regierung nicht unter allen Umständen in ihrer auswärtigen Politik auf die Unterstützung ihrer Freunde in Deutschland rechnen konnte! Indessen steigerte sich die Intimität zwischen Oestreich und dem Particularismus wieder, als durch den Aufschwung, den mit Eintritt der neuen Aera in Berlin die nationalen Hoffnungen nahmen, der letztere sich mehr als je in seiner Existenz bedroht sah. Die Veranlassung zu einem schroffen Gegenübertreten der Par- 6*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115393/51>, abgerufen am 28.07.2024.