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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band.

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Wie richtig er geurtheilt, zeigt der spätere Verlauf der preußischen Gesetz¬
gebung.

Im Februar 1811 ging Hippel, damals Landschaftsdirector mit andern
ritterschaftlichen Vertretern der Provinz Westpreußen zu der Versammlung der
Stände ab, welche vom Staatskanzler nach Berlin berufen worden war, um
über die neue Steuerverfassung gehört zu werden. Hier war- er rastlos bemüht,
Hardenberg über die wahren Bedürfnisse des Landes aufzuklären. Er schloß
sich dabei keiner bestimmten Parteirichtung an, hielt sich vielmehr von'den
Aristokraten wie von den Liberalen gleich fern oder näherte sich ihnen nur, um zu
vermitteln. Lebhaft bekämpfte er die Agrargesetzgebung und den Verkauf der
Domänen und Kirchengüter; nachdem diese Gesetze aber am 14. September
publicirt worden, hielt er es für Pflicht, sie gegen die widerstrebende Partei
in Schutz zu nehmen. Zu derselben Zeit überreichte er dem König einen poli¬
tischen Katechismus, in dem er die Pflichten eines guten Bürgers in Fragen
und Antworten zusammengefaßt hatte, und nach welchem er die Schulkinder ent¬
weder beim Verlassen der Schule oder nach der Einsegnung auf feierliche Weise
examinirt haben wollte -- ein Gedanke, welcher vom König öffentlich belobt
wurde. Auch jetzt noch, nach Ertheilung der Verfassung, erscheint ein Bürger¬
katechismus für die Schule, der freilich anders lauten müßte, als jener hippelsche,
nicht überflüssig, sondern ganz den Bedürfnissen des gegenwärtigen Geschlechts
angemessen, das sich erst noch völlig in neue Staatsformen einleben soll, wie
das damalige in die von Stein und Hardenberg hervorgerufenen Reformen.

In Berlin legte Hippel durch mündlichen und schriftlichen Gedankenaus¬
tausch den Grund zu jenem Freundschaftsbündniß mit Gneisenau und Scharn-
horst, das später durch seine Theilnahme an der Landwehrvrdnung sich zu
schöner Wirksamkeit entfaltete. Zugleich erneuerte er hier seine freundschaftlichen
Beziehungen zu Stägemann und erwarb sich in dem Kriegsrath Scharnweber
einen neuen Freund. Eine von Letzterem im Auftrag Hardenbergs an ihn ge¬
richtete Anfrage, ob er geneigt sei, wieder in den Staatsdienst zu treten, be¬
antwortete er zunächst ausweichend, doch ließ er sich später von dem Minister
gewinnen, und am 10. December 1811 erfolgte seine Anstellung als vortragen¬
der Rath bei Hardenberg.

Seine Motive für die Annahme der Stelle waren nach einem Briefe an
den Kammerherrn v. Rosenberg folgende: Es scheint ihm vor Allem "dringend
nothwendig, in der Nähe des Staatskanzlers ein Gegengewicht von Ruhe zu
befestigen gegen den stets brausenden, übersiedenden Scharnweber," "der sich in
seiner Fieberhitze oft in den Mitteln guter Zwecke vergreift." Dann aber war
Preußen unter den Staatsmännern in der Umgebung Hardenbergs ungenügend
vertreten. "Keiner der hiesigen höhern Staatsbeamten kennt Preußen genug.
Sack und v. Schuckmann sind mit Vorurtheilen dagegen und mit Vorurtheilen


Wie richtig er geurtheilt, zeigt der spätere Verlauf der preußischen Gesetz¬
gebung.

Im Februar 1811 ging Hippel, damals Landschaftsdirector mit andern
ritterschaftlichen Vertretern der Provinz Westpreußen zu der Versammlung der
Stände ab, welche vom Staatskanzler nach Berlin berufen worden war, um
über die neue Steuerverfassung gehört zu werden. Hier war- er rastlos bemüht,
Hardenberg über die wahren Bedürfnisse des Landes aufzuklären. Er schloß
sich dabei keiner bestimmten Parteirichtung an, hielt sich vielmehr von'den
Aristokraten wie von den Liberalen gleich fern oder näherte sich ihnen nur, um zu
vermitteln. Lebhaft bekämpfte er die Agrargesetzgebung und den Verkauf der
Domänen und Kirchengüter; nachdem diese Gesetze aber am 14. September
publicirt worden, hielt er es für Pflicht, sie gegen die widerstrebende Partei
in Schutz zu nehmen. Zu derselben Zeit überreichte er dem König einen poli¬
tischen Katechismus, in dem er die Pflichten eines guten Bürgers in Fragen
und Antworten zusammengefaßt hatte, und nach welchem er die Schulkinder ent¬
weder beim Verlassen der Schule oder nach der Einsegnung auf feierliche Weise
examinirt haben wollte — ein Gedanke, welcher vom König öffentlich belobt
wurde. Auch jetzt noch, nach Ertheilung der Verfassung, erscheint ein Bürger¬
katechismus für die Schule, der freilich anders lauten müßte, als jener hippelsche,
nicht überflüssig, sondern ganz den Bedürfnissen des gegenwärtigen Geschlechts
angemessen, das sich erst noch völlig in neue Staatsformen einleben soll, wie
das damalige in die von Stein und Hardenberg hervorgerufenen Reformen.

In Berlin legte Hippel durch mündlichen und schriftlichen Gedankenaus¬
tausch den Grund zu jenem Freundschaftsbündniß mit Gneisenau und Scharn-
horst, das später durch seine Theilnahme an der Landwehrvrdnung sich zu
schöner Wirksamkeit entfaltete. Zugleich erneuerte er hier seine freundschaftlichen
Beziehungen zu Stägemann und erwarb sich in dem Kriegsrath Scharnweber
einen neuen Freund. Eine von Letzterem im Auftrag Hardenbergs an ihn ge¬
richtete Anfrage, ob er geneigt sei, wieder in den Staatsdienst zu treten, be¬
antwortete er zunächst ausweichend, doch ließ er sich später von dem Minister
gewinnen, und am 10. December 1811 erfolgte seine Anstellung als vortragen¬
der Rath bei Hardenberg.

Seine Motive für die Annahme der Stelle waren nach einem Briefe an
den Kammerherrn v. Rosenberg folgende: Es scheint ihm vor Allem „dringend
nothwendig, in der Nähe des Staatskanzlers ein Gegengewicht von Ruhe zu
befestigen gegen den stets brausenden, übersiedenden Scharnweber," „der sich in
seiner Fieberhitze oft in den Mitteln guter Zwecke vergreift." Dann aber war
Preußen unter den Staatsmännern in der Umgebung Hardenbergs ungenügend
vertreten. „Keiner der hiesigen höhern Staatsbeamten kennt Preußen genug.
Sack und v. Schuckmann sind mit Vorurtheilen dagegen und mit Vorurtheilen


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[0496] Wie richtig er geurtheilt, zeigt der spätere Verlauf der preußischen Gesetz¬ gebung. Im Februar 1811 ging Hippel, damals Landschaftsdirector mit andern ritterschaftlichen Vertretern der Provinz Westpreußen zu der Versammlung der Stände ab, welche vom Staatskanzler nach Berlin berufen worden war, um über die neue Steuerverfassung gehört zu werden. Hier war- er rastlos bemüht, Hardenberg über die wahren Bedürfnisse des Landes aufzuklären. Er schloß sich dabei keiner bestimmten Parteirichtung an, hielt sich vielmehr von'den Aristokraten wie von den Liberalen gleich fern oder näherte sich ihnen nur, um zu vermitteln. Lebhaft bekämpfte er die Agrargesetzgebung und den Verkauf der Domänen und Kirchengüter; nachdem diese Gesetze aber am 14. September publicirt worden, hielt er es für Pflicht, sie gegen die widerstrebende Partei in Schutz zu nehmen. Zu derselben Zeit überreichte er dem König einen poli¬ tischen Katechismus, in dem er die Pflichten eines guten Bürgers in Fragen und Antworten zusammengefaßt hatte, und nach welchem er die Schulkinder ent¬ weder beim Verlassen der Schule oder nach der Einsegnung auf feierliche Weise examinirt haben wollte — ein Gedanke, welcher vom König öffentlich belobt wurde. Auch jetzt noch, nach Ertheilung der Verfassung, erscheint ein Bürger¬ katechismus für die Schule, der freilich anders lauten müßte, als jener hippelsche, nicht überflüssig, sondern ganz den Bedürfnissen des gegenwärtigen Geschlechts angemessen, das sich erst noch völlig in neue Staatsformen einleben soll, wie das damalige in die von Stein und Hardenberg hervorgerufenen Reformen. In Berlin legte Hippel durch mündlichen und schriftlichen Gedankenaus¬ tausch den Grund zu jenem Freundschaftsbündniß mit Gneisenau und Scharn- horst, das später durch seine Theilnahme an der Landwehrvrdnung sich zu schöner Wirksamkeit entfaltete. Zugleich erneuerte er hier seine freundschaftlichen Beziehungen zu Stägemann und erwarb sich in dem Kriegsrath Scharnweber einen neuen Freund. Eine von Letzterem im Auftrag Hardenbergs an ihn ge¬ richtete Anfrage, ob er geneigt sei, wieder in den Staatsdienst zu treten, be¬ antwortete er zunächst ausweichend, doch ließ er sich später von dem Minister gewinnen, und am 10. December 1811 erfolgte seine Anstellung als vortragen¬ der Rath bei Hardenberg. Seine Motive für die Annahme der Stelle waren nach einem Briefe an den Kammerherrn v. Rosenberg folgende: Es scheint ihm vor Allem „dringend nothwendig, in der Nähe des Staatskanzlers ein Gegengewicht von Ruhe zu befestigen gegen den stets brausenden, übersiedenden Scharnweber," „der sich in seiner Fieberhitze oft in den Mitteln guter Zwecke vergreift." Dann aber war Preußen unter den Staatsmännern in der Umgebung Hardenbergs ungenügend vertreten. „Keiner der hiesigen höhern Staatsbeamten kennt Preußen genug. Sack und v. Schuckmann sind mit Vorurtheilen dagegen und mit Vorurtheilen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115393/496>, abgerufen am 28.07.2024.