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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band.

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gegenwärtig noch evangelisch nennen, gehen die meisten durch gemischte Ehen mit
katholischer Kindererziehung denselben Weg. In Klein-Polen besah das helvetische
Bekenntniß um das ebengenannte Jahr 122, in Groß-Polen 80 Kirchen, wahrend
Lithauen deren in der Mitte des siebzehnten Jahrhunderts 93 zahlte. Jetzt ist
die reformirte Kirche in den russischen Antheilen des ehemaligen Polen auf etwa
fünfthalbtausend Seelen mit 6, in den preußischen auf nicht ganz fünftausend
Seelen mit 5 Kirchen (Laswitz, Lissa, Posen, Orzeszkwo und Waschte) reducirt,
Lithauen aber hatte im Jahr 1718 nur noch 61 Kirchen dieser Confession.

Ungleich stärker ist das Lutherthum geblieben, indem im russischen Po¬
len neben nicht ganz vier Millionen Katholiken 267,887, in der preußischen
Provinz Posen neben ungefähr 915,000 Katholiken etwa 473.000 Lutheraner
wohnen. Doch kommen die Lutherischen in den Theilen des ehemaligen eigent¬
lichen Polen für unsern Zweck nur wenig in Betracht, da dieselben mit Ausnahme
von circa 12,000 Seelen in der Südspitze der Provinz Posen und einiger Dörfer
im Norden dieser Provinz und in Westpreußen fast ausschließlich der eingewan¬
derten deutschen Bevölkerung angehören. Dagegen hat sich evangelisches Be¬
kenntniß und Leben in ausgedehnterem Umfang unter den Polen erhalten, welche
schon frühe von dem alten Polenreich abgetrennt wurden und so von dessen
Verfall unberührt blieben, d. h. unter den polnischen Bewohnern Ostpreußens
und Schlesiens.

Die Zahl der protestantischen Polen in der Provinz Preußen be¬
trägt in runder Summe 250,000. Dieselben wohnen in einem zusammen¬
hängenden Strich von der Gegend von Marienwerder bis nach Goidapp. Fast
ausschließlich gehören sie dem alten Ordensgebiete an. In geordneten kirchlichen
Verhältnissen lebend, auf 100 Kirchspiele mit 134 polnischredenden Geistlichen
vertheilt und mit Schulen ihrer Sprache wohlversehen, werden sie von unserm
Schriftchen als besonders gottesfürchtige und kirchlich gesinnte, sowie als
schlichte, mit Ausdauer ihren Pflichten nachlebende Leute gerühmt.

Die polnisch redenden Protestanten Schlesiens zählen circa 70,000 Seelen,
von denen die große Mehrzahl, über 60.000, in dem längs der posenschen
und russischen Grenze über Medzibor, Wartenberg, Namslau, Kreuzburg und
Pitschen sich hinziehenden Landstriche, bis an die Oder bei Brieg und Ohlau
wohnt; während eine andere Hauptmasse von etwa 6000 in der Gegend von
Pleß und Loslau, längst der östreichisch-schlesischen Grenze ihren Sitz hat, der
Nest aber in dem übrigen Ober-Schlesien zerstreut wohnt. Van diesen schlesi-
schen Polen hat der erste Haupttheil das Glück gehabt, nicht allein schon im
sechzehnten Jahrhundert unter eingeborenen Fürsten die Reformation zu em¬
pfangen, sondern auch von der gewaltthätigen Gegenreformation verschont zu
bleiben, durch welche in den kaiserlichen Erbfürstenthümern Schlesiens das
evangelische Kirchenwesen in den Jahren 1629 und 1653 so hart beschädigt


gegenwärtig noch evangelisch nennen, gehen die meisten durch gemischte Ehen mit
katholischer Kindererziehung denselben Weg. In Klein-Polen besah das helvetische
Bekenntniß um das ebengenannte Jahr 122, in Groß-Polen 80 Kirchen, wahrend
Lithauen deren in der Mitte des siebzehnten Jahrhunderts 93 zahlte. Jetzt ist
die reformirte Kirche in den russischen Antheilen des ehemaligen Polen auf etwa
fünfthalbtausend Seelen mit 6, in den preußischen auf nicht ganz fünftausend
Seelen mit 5 Kirchen (Laswitz, Lissa, Posen, Orzeszkwo und Waschte) reducirt,
Lithauen aber hatte im Jahr 1718 nur noch 61 Kirchen dieser Confession.

Ungleich stärker ist das Lutherthum geblieben, indem im russischen Po¬
len neben nicht ganz vier Millionen Katholiken 267,887, in der preußischen
Provinz Posen neben ungefähr 915,000 Katholiken etwa 473.000 Lutheraner
wohnen. Doch kommen die Lutherischen in den Theilen des ehemaligen eigent¬
lichen Polen für unsern Zweck nur wenig in Betracht, da dieselben mit Ausnahme
von circa 12,000 Seelen in der Südspitze der Provinz Posen und einiger Dörfer
im Norden dieser Provinz und in Westpreußen fast ausschließlich der eingewan¬
derten deutschen Bevölkerung angehören. Dagegen hat sich evangelisches Be¬
kenntniß und Leben in ausgedehnterem Umfang unter den Polen erhalten, welche
schon frühe von dem alten Polenreich abgetrennt wurden und so von dessen
Verfall unberührt blieben, d. h. unter den polnischen Bewohnern Ostpreußens
und Schlesiens.

Die Zahl der protestantischen Polen in der Provinz Preußen be¬
trägt in runder Summe 250,000. Dieselben wohnen in einem zusammen¬
hängenden Strich von der Gegend von Marienwerder bis nach Goidapp. Fast
ausschließlich gehören sie dem alten Ordensgebiete an. In geordneten kirchlichen
Verhältnissen lebend, auf 100 Kirchspiele mit 134 polnischredenden Geistlichen
vertheilt und mit Schulen ihrer Sprache wohlversehen, werden sie von unserm
Schriftchen als besonders gottesfürchtige und kirchlich gesinnte, sowie als
schlichte, mit Ausdauer ihren Pflichten nachlebende Leute gerühmt.

Die polnisch redenden Protestanten Schlesiens zählen circa 70,000 Seelen,
von denen die große Mehrzahl, über 60.000, in dem längs der posenschen
und russischen Grenze über Medzibor, Wartenberg, Namslau, Kreuzburg und
Pitschen sich hinziehenden Landstriche, bis an die Oder bei Brieg und Ohlau
wohnt; während eine andere Hauptmasse von etwa 6000 in der Gegend von
Pleß und Loslau, längst der östreichisch-schlesischen Grenze ihren Sitz hat, der
Nest aber in dem übrigen Ober-Schlesien zerstreut wohnt. Van diesen schlesi-
schen Polen hat der erste Haupttheil das Glück gehabt, nicht allein schon im
sechzehnten Jahrhundert unter eingeborenen Fürsten die Reformation zu em¬
pfangen, sondern auch von der gewaltthätigen Gegenreformation verschont zu
bleiben, durch welche in den kaiserlichen Erbfürstenthümern Schlesiens das
evangelische Kirchenwesen in den Jahren 1629 und 1653 so hart beschädigt


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115393/462>, abgerufen am 28.07.2024.