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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band.

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ten kleinen Muscheln als Amulete vor. noch häufiger aber glatte Stückchen
Alaun. Salz. Fenchelkörner und Storaxharz. Andere treffliche Sicherungsmittel
sind Staub vom Grabe des Propheten. Wasser aus dem heiligen Brunnen
Sensen in der großen Moschee zu Mekka, Stücke von der Brockatdecke der
Kaabah u. s. w. Die Hausthüren wahrt man vor dem "Naßr" durch In¬
schriften wie: "Der vortreffliche Schöpfer ist der Ewige", die Läden durch Ko-
ansprüche, durch das Glaubensbekenntniß: "Es ist kein Gott außer Allah"
oder durch den bloßen Namen Gottes oder des Propheten. Ein für sehr wirk¬
sam gehaltenes Mittel, den. welchen der böse Blick getroffen hat. zu entzaubern,
ist, daß man auf ein Stück Papier ein Auge malt, mit einer Nadel in dasselbe
sticht und dazu sagt: "dies ist das Auge Mohammeds, Alis, Ibrahims" oder
wie sonst der Verdächtige heißt, worauf der Zettel ins Feuer geworfen wird.

Der Versuch, die Verwandtschaft des morgenländischen und des abend¬
ländischen Aberglaubens nachzuweisen, ließe sich mit Nutzen noch weiter ver¬
folgen. Wir würden fast zu allen Formeln germanischer, romanischer und sla¬
vischer Gespensterfurcht. Zauberei u. dergl. hinten weit in der Türkei, in
Afrika und bis tief nach Ostasien hinein entsprechende semitische Formeln fin¬
den. Hat doch der Araber in seiner "Ilm Er Rukkeh" sogar genau denselben
Ausdruck sür die Gesammtheit aller abergläubischen Dogmen und Regeln, wie
wir, wenn wir dieselbe "Rockenphilosophie" nennen. Das Beigebrachte wird in¬
deß für unsern Zweck genügen. Wir sahen, wie der deutsche Bauer mit dem
ägyptischen in seiner Meinung von der geister- und zauberabwehrenden Kraft
des Eisens übereinstimmt, und wie jüdischer Aberglaube diesem Metall schon im
frühen Mittelalter dieselbe Kraft zuschrieb. Wir bemerkten, wie der mohamme¬
danische, Morgenländer in gewissen Ansichten über die Bedeutung der Wochen-^
tage (welche beiläufig lange schon vor der Entstehung des Islam Namen hatten)
sehr ähnlich denkt wie der christliche Abendländer. Wir fanden, daß man der
Zukunftserforschung durch Aufschlagen von heilig gehaltnen Büchern, der Knü¬
pfung von Knoten zu zauberischen Zwecken, der Verwendung von Blut und
Speichel in gleicher Richtung vom Euphrat und Nil bis zur Nordsee hinauf
begegnet.' Wir trafen endlich die Furcht vor dem Beschrieenwerden und der
magischen Gewalt des bösen Blicks, in sehr ähnlicher Weise zu Dogmen und
Gebräuchen ausgeprägt in dem Gebiete, welches das Christenthum sich erobert
hat, wie in dem. welches der Islam beherrscht.

Der Aberglaube ist das Heidenthum, welches als Beiglaube neben den
neuen Religionen hergeht, und wenn wir sahen, daß sehr viele von den Mei¬
nungen und Ceremonien des Heidenthums, welches im Orient neben dem Is¬
lam fortbesteht, mit denen des Heidenthums, welches im Occidettt neben dem
Christenthum sich erhalten hat, im Wesentlichen zusammenfallen, so werden wir
uns bedenken, wenn.man uns sagt, daß unser deutscher Aberglaube vorwiegend


ten kleinen Muscheln als Amulete vor. noch häufiger aber glatte Stückchen
Alaun. Salz. Fenchelkörner und Storaxharz. Andere treffliche Sicherungsmittel
sind Staub vom Grabe des Propheten. Wasser aus dem heiligen Brunnen
Sensen in der großen Moschee zu Mekka, Stücke von der Brockatdecke der
Kaabah u. s. w. Die Hausthüren wahrt man vor dem „Naßr" durch In¬
schriften wie: „Der vortreffliche Schöpfer ist der Ewige", die Läden durch Ko-
ansprüche, durch das Glaubensbekenntniß: „Es ist kein Gott außer Allah"
oder durch den bloßen Namen Gottes oder des Propheten. Ein für sehr wirk¬
sam gehaltenes Mittel, den. welchen der böse Blick getroffen hat. zu entzaubern,
ist, daß man auf ein Stück Papier ein Auge malt, mit einer Nadel in dasselbe
sticht und dazu sagt: „dies ist das Auge Mohammeds, Alis, Ibrahims" oder
wie sonst der Verdächtige heißt, worauf der Zettel ins Feuer geworfen wird.

Der Versuch, die Verwandtschaft des morgenländischen und des abend¬
ländischen Aberglaubens nachzuweisen, ließe sich mit Nutzen noch weiter ver¬
folgen. Wir würden fast zu allen Formeln germanischer, romanischer und sla¬
vischer Gespensterfurcht. Zauberei u. dergl. hinten weit in der Türkei, in
Afrika und bis tief nach Ostasien hinein entsprechende semitische Formeln fin¬
den. Hat doch der Araber in seiner „Ilm Er Rukkeh" sogar genau denselben
Ausdruck sür die Gesammtheit aller abergläubischen Dogmen und Regeln, wie
wir, wenn wir dieselbe „Rockenphilosophie" nennen. Das Beigebrachte wird in¬
deß für unsern Zweck genügen. Wir sahen, wie der deutsche Bauer mit dem
ägyptischen in seiner Meinung von der geister- und zauberabwehrenden Kraft
des Eisens übereinstimmt, und wie jüdischer Aberglaube diesem Metall schon im
frühen Mittelalter dieselbe Kraft zuschrieb. Wir bemerkten, wie der mohamme¬
danische, Morgenländer in gewissen Ansichten über die Bedeutung der Wochen-^
tage (welche beiläufig lange schon vor der Entstehung des Islam Namen hatten)
sehr ähnlich denkt wie der christliche Abendländer. Wir fanden, daß man der
Zukunftserforschung durch Aufschlagen von heilig gehaltnen Büchern, der Knü¬
pfung von Knoten zu zauberischen Zwecken, der Verwendung von Blut und
Speichel in gleicher Richtung vom Euphrat und Nil bis zur Nordsee hinauf
begegnet.' Wir trafen endlich die Furcht vor dem Beschrieenwerden und der
magischen Gewalt des bösen Blicks, in sehr ähnlicher Weise zu Dogmen und
Gebräuchen ausgeprägt in dem Gebiete, welches das Christenthum sich erobert
hat, wie in dem. welches der Islam beherrscht.

Der Aberglaube ist das Heidenthum, welches als Beiglaube neben den
neuen Religionen hergeht, und wenn wir sahen, daß sehr viele von den Mei¬
nungen und Ceremonien des Heidenthums, welches im Orient neben dem Is¬
lam fortbesteht, mit denen des Heidenthums, welches im Occidettt neben dem
Christenthum sich erhalten hat, im Wesentlichen zusammenfallen, so werden wir
uns bedenken, wenn.man uns sagt, daß unser deutscher Aberglaube vorwiegend


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115393/446>, abgerufen am 01.09.2024.