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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band.

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Merkwürdig ist ferner, daß das Knotenknüpfen im orientalischen wie
im deutschen Aberglauben fast ganz dieselbe Rolle spielt. Bekannt ist bei uns
allenthalben der Zauber des sogenannten Nestelknüpfens, und siehe da, dieselbe
Bosheit gegen Neuverheirathetc wird auch im Morgenlande geübt. In Bag¬
dad behauptet man, einen Bräutigam bannen oder binden zu können, indem
man während der Traurede des Geistlichen Knoten in einen Faden bindet und
diesen dann verbrennt. Bekannt ist sodann, daß unter unsern Abergläubischen
geknüpfte Knoten auch eine heilsame Wirkung üben können. In Mittel- und
Norddeutschland hängt man Knoten von Strohseilen an die Obstbäume, um
sie vor den "Almen" (Elben) zu schützen. Um Warzen zu vertreiben, macht
man in einen Faden so viele Knoten, als man Warzen hat, und vergräbt dann
denselben unter der Dachtraufe. Hühneraugen schafft man weg, indem man
einen gefundenen Strickknotcn darauf drückt. Behexten Kühen wird geholfen,
indem man die Kette, an welcher das kranke Thier im Stalle steht, über den
Halswirbeln desselben in einen doppelten Knoten Schürze und dann unter Nen¬
nung der drei heiligen Namen an beiden Enden der Kette zieht; löst sich dabei
der Knoten, so wird das Vieh gesund. Ganz ähnlich in Kairo. Wenn dort
ein Kind nicht zu rechter Zeit laufen lernt, so bindet die Mutter seine Füße
mit einem Stück Palmenbast, welches drei Knoten hat, zusammen, trägt es
während des Freitagsgebets vor eine Moschee und bittet den Ersten, Zweiten
und Dritten, der die betende Versammlung verläßt, je einen Knoten zu lösen,
worauf sie in der festen Ueberzeugung nach Hause geht, daß ihr Kind nun bald
aus die Beine kommen wird.

Dann ist an die Uebereinstimmung zu erinnern, welche in Betreff der Be¬
deutung des Speichels zwischen morgenländischen und abendländischen Aber¬
glauben herrscht. Man spuckt bei uns in das Viehfutter, damit es den Thieren
gedeihe, in die erste Milch, die man den Kälbern gibt, auf das erste Geldstück,
welches man an einem Tage einnimmt, weil das viel Geld ins Haus bringt.
Wenn man etwas findet, so spuckt man darauf, um den etwa daran haftenden
Zauber unschädlich zu machen. Wenn das Herdfeuer heftig knistert und knallt
und dadurch nahen Zank anzeigt, so spuckt man hinein, um den Zank von sich
abzuwenden. Ist man über jemand erschrocken, so muß man ausspucken, weil
man sonst krank werden kann. Sehr ähnlich im Orient. Wird in Bagdad
jemand von einer Schlange gebissen, so sagt er: "Im Namen Gottes des Gnä¬
diger und Barmherzigen, Heil über Noah in Ewigkeit"*) und spuckt dann
dreimal auf die Wunde. Auch der obenerwähnte Gebrauch der Somali, Freu-



") Eine Sage der Mohammedaner erzählt: Als Nocch die Arche gebaut hatte und Thiere
aller Art darin aufnahm, kam auch die Schlange und bat um ein Asyl darin. Er gestattete
eS ihr aber erst, als sie versprach, daß ihr Biß demjenigen nichts schaden sollte, welcher, nach¬
dem er von ihr verwundet worden, den Namen Noahs anrieft.

Merkwürdig ist ferner, daß das Knotenknüpfen im orientalischen wie
im deutschen Aberglauben fast ganz dieselbe Rolle spielt. Bekannt ist bei uns
allenthalben der Zauber des sogenannten Nestelknüpfens, und siehe da, dieselbe
Bosheit gegen Neuverheirathetc wird auch im Morgenlande geübt. In Bag¬
dad behauptet man, einen Bräutigam bannen oder binden zu können, indem
man während der Traurede des Geistlichen Knoten in einen Faden bindet und
diesen dann verbrennt. Bekannt ist sodann, daß unter unsern Abergläubischen
geknüpfte Knoten auch eine heilsame Wirkung üben können. In Mittel- und
Norddeutschland hängt man Knoten von Strohseilen an die Obstbäume, um
sie vor den „Almen" (Elben) zu schützen. Um Warzen zu vertreiben, macht
man in einen Faden so viele Knoten, als man Warzen hat, und vergräbt dann
denselben unter der Dachtraufe. Hühneraugen schafft man weg, indem man
einen gefundenen Strickknotcn darauf drückt. Behexten Kühen wird geholfen,
indem man die Kette, an welcher das kranke Thier im Stalle steht, über den
Halswirbeln desselben in einen doppelten Knoten Schürze und dann unter Nen¬
nung der drei heiligen Namen an beiden Enden der Kette zieht; löst sich dabei
der Knoten, so wird das Vieh gesund. Ganz ähnlich in Kairo. Wenn dort
ein Kind nicht zu rechter Zeit laufen lernt, so bindet die Mutter seine Füße
mit einem Stück Palmenbast, welches drei Knoten hat, zusammen, trägt es
während des Freitagsgebets vor eine Moschee und bittet den Ersten, Zweiten
und Dritten, der die betende Versammlung verläßt, je einen Knoten zu lösen,
worauf sie in der festen Ueberzeugung nach Hause geht, daß ihr Kind nun bald
aus die Beine kommen wird.

Dann ist an die Uebereinstimmung zu erinnern, welche in Betreff der Be¬
deutung des Speichels zwischen morgenländischen und abendländischen Aber¬
glauben herrscht. Man spuckt bei uns in das Viehfutter, damit es den Thieren
gedeihe, in die erste Milch, die man den Kälbern gibt, auf das erste Geldstück,
welches man an einem Tage einnimmt, weil das viel Geld ins Haus bringt.
Wenn man etwas findet, so spuckt man darauf, um den etwa daran haftenden
Zauber unschädlich zu machen. Wenn das Herdfeuer heftig knistert und knallt
und dadurch nahen Zank anzeigt, so spuckt man hinein, um den Zank von sich
abzuwenden. Ist man über jemand erschrocken, so muß man ausspucken, weil
man sonst krank werden kann. Sehr ähnlich im Orient. Wird in Bagdad
jemand von einer Schlange gebissen, so sagt er: „Im Namen Gottes des Gnä¬
diger und Barmherzigen, Heil über Noah in Ewigkeit"*) und spuckt dann
dreimal auf die Wunde. Auch der obenerwähnte Gebrauch der Somali, Freu-



") Eine Sage der Mohammedaner erzählt: Als Nocch die Arche gebaut hatte und Thiere
aller Art darin aufnahm, kam auch die Schlange und bat um ein Asyl darin. Er gestattete
eS ihr aber erst, als sie versprach, daß ihr Biß demjenigen nichts schaden sollte, welcher, nach¬
dem er von ihr verwundet worden, den Namen Noahs anrieft.
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[0441] Merkwürdig ist ferner, daß das Knotenknüpfen im orientalischen wie im deutschen Aberglauben fast ganz dieselbe Rolle spielt. Bekannt ist bei uns allenthalben der Zauber des sogenannten Nestelknüpfens, und siehe da, dieselbe Bosheit gegen Neuverheirathetc wird auch im Morgenlande geübt. In Bag¬ dad behauptet man, einen Bräutigam bannen oder binden zu können, indem man während der Traurede des Geistlichen Knoten in einen Faden bindet und diesen dann verbrennt. Bekannt ist sodann, daß unter unsern Abergläubischen geknüpfte Knoten auch eine heilsame Wirkung üben können. In Mittel- und Norddeutschland hängt man Knoten von Strohseilen an die Obstbäume, um sie vor den „Almen" (Elben) zu schützen. Um Warzen zu vertreiben, macht man in einen Faden so viele Knoten, als man Warzen hat, und vergräbt dann denselben unter der Dachtraufe. Hühneraugen schafft man weg, indem man einen gefundenen Strickknotcn darauf drückt. Behexten Kühen wird geholfen, indem man die Kette, an welcher das kranke Thier im Stalle steht, über den Halswirbeln desselben in einen doppelten Knoten Schürze und dann unter Nen¬ nung der drei heiligen Namen an beiden Enden der Kette zieht; löst sich dabei der Knoten, so wird das Vieh gesund. Ganz ähnlich in Kairo. Wenn dort ein Kind nicht zu rechter Zeit laufen lernt, so bindet die Mutter seine Füße mit einem Stück Palmenbast, welches drei Knoten hat, zusammen, trägt es während des Freitagsgebets vor eine Moschee und bittet den Ersten, Zweiten und Dritten, der die betende Versammlung verläßt, je einen Knoten zu lösen, worauf sie in der festen Ueberzeugung nach Hause geht, daß ihr Kind nun bald aus die Beine kommen wird. Dann ist an die Uebereinstimmung zu erinnern, welche in Betreff der Be¬ deutung des Speichels zwischen morgenländischen und abendländischen Aber¬ glauben herrscht. Man spuckt bei uns in das Viehfutter, damit es den Thieren gedeihe, in die erste Milch, die man den Kälbern gibt, auf das erste Geldstück, welches man an einem Tage einnimmt, weil das viel Geld ins Haus bringt. Wenn man etwas findet, so spuckt man darauf, um den etwa daran haftenden Zauber unschädlich zu machen. Wenn das Herdfeuer heftig knistert und knallt und dadurch nahen Zank anzeigt, so spuckt man hinein, um den Zank von sich abzuwenden. Ist man über jemand erschrocken, so muß man ausspucken, weil man sonst krank werden kann. Sehr ähnlich im Orient. Wird in Bagdad jemand von einer Schlange gebissen, so sagt er: „Im Namen Gottes des Gnä¬ diger und Barmherzigen, Heil über Noah in Ewigkeit"*) und spuckt dann dreimal auf die Wunde. Auch der obenerwähnte Gebrauch der Somali, Freu- ") Eine Sage der Mohammedaner erzählt: Als Nocch die Arche gebaut hatte und Thiere aller Art darin aufnahm, kam auch die Schlange und bat um ein Asyl darin. Er gestattete eS ihr aber erst, als sie versprach, daß ihr Biß demjenigen nichts schaden sollte, welcher, nach¬ dem er von ihr verwundet worden, den Namen Noahs anrieft.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115393/441>, abgerufen am 22.12.2024.