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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band.

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Dienstag ist ein Glückstag für den Aegypter, der sich an ihm gern zur Ader
läßt, und ebenso für den deutschen Landmann, der ihn gern zum Eintritt in
die Ehe oder in ein Dienstverhältniß wählt. Die Mittwoch ist in Deutschland
ein Tag ohne Segen, weshalb man an ihr nicht zu säen pflegt, in Aegypten
und Syrien ist sie gleichgiltig. Der Donnerstag gilt in Deutschland für be¬
sonders unheilvoll, aber wohl erst seit Einführung des Christenthums, welches
ihn als den Tag Donars verdunkelte, und nicht überall; denn an ihm feiert
man in der hessischen Bergstraße vorzugsweise gern Hochzeiten. Unter den Mo¬
hammedanern heißt er "el mubarak", der Gesegnete. Wenn diesen der Freitag
als ein sehr glücklicher Tag erscheint, so wird dies gewöhnlich damit erklärt,
daß er der Sabbath der Moslemin ist, man wird aber ebensowohl und vielleicht
richtiger sagen können, daß er zum Sabbath gewählt wurde, weil er von Alters
her besonderer Ehre genoß. Im Abendland ist er erst durch das Christenthum
zum Unglückstag geworden; denn wo im Aberglauben heidnische Ueberlieferung
vorwiegt, eignet er sich vor Allem zu Hochzeiten, jedes an ihm begonnene Un¬
ternehmen gelingt, besonders jede sympathetische Kur; am Freitag muß man
sich die Nägel beschneiden, weil dies Glück bringt, und ebenso die Haare, da
sie dann gut wachsen. Sonnabend endlich ist im Orient wie im Occident der
unglücklichste aller Wochentage. An ihm darf in Schlesien wie in Syrien, in
Mecklenburg wie in Acgypten keine Reise und kein Dienstverhältniß angetreten,
kein Proceß angefangen werden, kein altgläubiger Bauer in Ostpreußen wird
sich an ihm einen neuen Rock kaufen, kein Kairener oder Bagdader an ihm sich
den Kops rasiren oder die Nägel verschneiden lassen.

Ein in Deutschland sehr verbreiteter Aberglaube ist ferner die Zutunfts-
erforschung durch Aufschlagen von Büchern, deren zufällig getroffene
Stelle dann als Wahrsagung gilt. Man sticht mit einem Messer oder einer
Stecknadel in den Schnitt einer Bibel oder eines Gesangbuchs, indem man
entweder auf eine bestimmte zweifelhafte Frage Antwort wünscht oder ganz all¬
gemein über seine Zukunft aufgeklärt sein will. Trifft man im Gesangbuch aus
ein Sterbelied, so bedeutet das einen nahe bevorstehenden Todesfall, zeigt sich
ein Tauflied, so wird man bald taufen lassen oder Gevatter stehen. Nicht we¬
nige von unsern Frommen sehen die Bibel geradezu als Wahrsagebuch an.
Jede zufällig mit dem hineingeschobenen Finger berührte Stelle muß Prophe¬
tendienste thun, mag die Deutung auch noch so abenteuerlich sein. Nichts darf
unternommen werden, keine Reise, kein neues Geschäft, keine Verbindung, ohne daß
die Bibel oder, um im Jargon der Leute zu bleiben, "der Herr" gefragt wird.

Die Moslemin am Nil und Euphrat aber halten es ganz ebenso, nur ist
ihr Verfahren -- vermuthlich weil sie mehr Zeit haben und der Orient über¬
haupt Umständlichkeiten liebt - etwas complicirter. Um in zweifelhaften Fäl¬
len zu einem Entschluß zu gelangen, "machen sie eine Jsticharcch". Sie nehmen


Dienstag ist ein Glückstag für den Aegypter, der sich an ihm gern zur Ader
läßt, und ebenso für den deutschen Landmann, der ihn gern zum Eintritt in
die Ehe oder in ein Dienstverhältniß wählt. Die Mittwoch ist in Deutschland
ein Tag ohne Segen, weshalb man an ihr nicht zu säen pflegt, in Aegypten
und Syrien ist sie gleichgiltig. Der Donnerstag gilt in Deutschland für be¬
sonders unheilvoll, aber wohl erst seit Einführung des Christenthums, welches
ihn als den Tag Donars verdunkelte, und nicht überall; denn an ihm feiert
man in der hessischen Bergstraße vorzugsweise gern Hochzeiten. Unter den Mo¬
hammedanern heißt er „el mubarak", der Gesegnete. Wenn diesen der Freitag
als ein sehr glücklicher Tag erscheint, so wird dies gewöhnlich damit erklärt,
daß er der Sabbath der Moslemin ist, man wird aber ebensowohl und vielleicht
richtiger sagen können, daß er zum Sabbath gewählt wurde, weil er von Alters
her besonderer Ehre genoß. Im Abendland ist er erst durch das Christenthum
zum Unglückstag geworden; denn wo im Aberglauben heidnische Ueberlieferung
vorwiegt, eignet er sich vor Allem zu Hochzeiten, jedes an ihm begonnene Un¬
ternehmen gelingt, besonders jede sympathetische Kur; am Freitag muß man
sich die Nägel beschneiden, weil dies Glück bringt, und ebenso die Haare, da
sie dann gut wachsen. Sonnabend endlich ist im Orient wie im Occident der
unglücklichste aller Wochentage. An ihm darf in Schlesien wie in Syrien, in
Mecklenburg wie in Acgypten keine Reise und kein Dienstverhältniß angetreten,
kein Proceß angefangen werden, kein altgläubiger Bauer in Ostpreußen wird
sich an ihm einen neuen Rock kaufen, kein Kairener oder Bagdader an ihm sich
den Kops rasiren oder die Nägel verschneiden lassen.

Ein in Deutschland sehr verbreiteter Aberglaube ist ferner die Zutunfts-
erforschung durch Aufschlagen von Büchern, deren zufällig getroffene
Stelle dann als Wahrsagung gilt. Man sticht mit einem Messer oder einer
Stecknadel in den Schnitt einer Bibel oder eines Gesangbuchs, indem man
entweder auf eine bestimmte zweifelhafte Frage Antwort wünscht oder ganz all¬
gemein über seine Zukunft aufgeklärt sein will. Trifft man im Gesangbuch aus
ein Sterbelied, so bedeutet das einen nahe bevorstehenden Todesfall, zeigt sich
ein Tauflied, so wird man bald taufen lassen oder Gevatter stehen. Nicht we¬
nige von unsern Frommen sehen die Bibel geradezu als Wahrsagebuch an.
Jede zufällig mit dem hineingeschobenen Finger berührte Stelle muß Prophe¬
tendienste thun, mag die Deutung auch noch so abenteuerlich sein. Nichts darf
unternommen werden, keine Reise, kein neues Geschäft, keine Verbindung, ohne daß
die Bibel oder, um im Jargon der Leute zu bleiben, „der Herr" gefragt wird.

Die Moslemin am Nil und Euphrat aber halten es ganz ebenso, nur ist
ihr Verfahren — vermuthlich weil sie mehr Zeit haben und der Orient über¬
haupt Umständlichkeiten liebt - etwas complicirter. Um in zweifelhaften Fäl¬
len zu einem Entschluß zu gelangen, „machen sie eine Jsticharcch". Sie nehmen


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[0439] Dienstag ist ein Glückstag für den Aegypter, der sich an ihm gern zur Ader läßt, und ebenso für den deutschen Landmann, der ihn gern zum Eintritt in die Ehe oder in ein Dienstverhältniß wählt. Die Mittwoch ist in Deutschland ein Tag ohne Segen, weshalb man an ihr nicht zu säen pflegt, in Aegypten und Syrien ist sie gleichgiltig. Der Donnerstag gilt in Deutschland für be¬ sonders unheilvoll, aber wohl erst seit Einführung des Christenthums, welches ihn als den Tag Donars verdunkelte, und nicht überall; denn an ihm feiert man in der hessischen Bergstraße vorzugsweise gern Hochzeiten. Unter den Mo¬ hammedanern heißt er „el mubarak", der Gesegnete. Wenn diesen der Freitag als ein sehr glücklicher Tag erscheint, so wird dies gewöhnlich damit erklärt, daß er der Sabbath der Moslemin ist, man wird aber ebensowohl und vielleicht richtiger sagen können, daß er zum Sabbath gewählt wurde, weil er von Alters her besonderer Ehre genoß. Im Abendland ist er erst durch das Christenthum zum Unglückstag geworden; denn wo im Aberglauben heidnische Ueberlieferung vorwiegt, eignet er sich vor Allem zu Hochzeiten, jedes an ihm begonnene Un¬ ternehmen gelingt, besonders jede sympathetische Kur; am Freitag muß man sich die Nägel beschneiden, weil dies Glück bringt, und ebenso die Haare, da sie dann gut wachsen. Sonnabend endlich ist im Orient wie im Occident der unglücklichste aller Wochentage. An ihm darf in Schlesien wie in Syrien, in Mecklenburg wie in Acgypten keine Reise und kein Dienstverhältniß angetreten, kein Proceß angefangen werden, kein altgläubiger Bauer in Ostpreußen wird sich an ihm einen neuen Rock kaufen, kein Kairener oder Bagdader an ihm sich den Kops rasiren oder die Nägel verschneiden lassen. Ein in Deutschland sehr verbreiteter Aberglaube ist ferner die Zutunfts- erforschung durch Aufschlagen von Büchern, deren zufällig getroffene Stelle dann als Wahrsagung gilt. Man sticht mit einem Messer oder einer Stecknadel in den Schnitt einer Bibel oder eines Gesangbuchs, indem man entweder auf eine bestimmte zweifelhafte Frage Antwort wünscht oder ganz all¬ gemein über seine Zukunft aufgeklärt sein will. Trifft man im Gesangbuch aus ein Sterbelied, so bedeutet das einen nahe bevorstehenden Todesfall, zeigt sich ein Tauflied, so wird man bald taufen lassen oder Gevatter stehen. Nicht we¬ nige von unsern Frommen sehen die Bibel geradezu als Wahrsagebuch an. Jede zufällig mit dem hineingeschobenen Finger berührte Stelle muß Prophe¬ tendienste thun, mag die Deutung auch noch so abenteuerlich sein. Nichts darf unternommen werden, keine Reise, kein neues Geschäft, keine Verbindung, ohne daß die Bibel oder, um im Jargon der Leute zu bleiben, „der Herr" gefragt wird. Die Moslemin am Nil und Euphrat aber halten es ganz ebenso, nur ist ihr Verfahren — vermuthlich weil sie mehr Zeit haben und der Orient über¬ haupt Umständlichkeiten liebt - etwas complicirter. Um in zweifelhaften Fäl¬ len zu einem Entschluß zu gelangen, „machen sie eine Jsticharcch". Sie nehmen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115393/439>, abgerufen am 28.07.2024.