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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band.

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Palme selbst find' ich das Ringen um die Siegespalme!", Worte, die wohl einem
suchenden Denker anstehen, aber nicht eines Kaisers überquellendem Thaten¬
drang, und die höchstens ein Dritter, der das Facit von Friedrichs Leben zieht,
sagen konnte. Sein Charakter ist überhaupt zu licht, zu durchsichtig gehalten,
es fehlt das aller Genialität eigenthümliche Dämonische, welches dann auch
mit seiner späteren Heftigkeit besser versöhnen würde. Er spiegelt sich gleichsam
in seinem eigenen Bewußtsein, während das Bild eines wahren dramatischen
Charakters erst im Gemüth des Zuschauers aufdämmern und zu voller Klarheit
sich herausstellen soll. Denn es ist die höchste Kunst des Dichters, das Publi-
cum in die Illusion zu versetzen, als ob es selbst den Charakter des Helden
aus seinen Reden und Handlungen sich zusammensuchte und ahnend gestaltete.
Für dieses Ahnen des Zuschauers aber ist kein Raum mehr, wenn der Held
das, was er ist, gerade heraus von der Bühne verkündigt.

Was dann die übrigen Personen und die Nebenhandlungen betrifft, so
fehlt es dem Dichter offenbar an erfinderischen Reichthum, ein wirklich in¬
dividuelles Leben über das Ganze auszubreiten. Hierin ist Immermanns
Friedrich der Zweite weit überlegen, während er an tragischen Gehalt weit
zurücksteht. Was Fischer um die Haupthelden herum gruppirt hat, geht kaum
über die herkömmlichen Figuren solcher Stücke hinaus. Am unbefriedigendsten
sind gleich die nächsten Angehörigen des Kaisers, Bianca, Enzio, Manfred und
dessen Braut Heliodora. Sie reden die Sprache einer Gefühlsrhetorik, die
ganz undramatisch ist. Hier zeigt sich ganz besonders die einseitig subjective
Natur des Lyrikers, die den naiven Ton der Liebe nicht zu finden weiß. Auch
im Saul sind die Liebesscenen, an sich nicht ohne poetische Schönheit, doch
vom dramatischen Gesichtspunkt aus das Schwächste. Die Anlage der Hand¬
lung ist wiederum weit geschickter als die Individualisirung der Personen.
Denn die Episode der Liebe von Friedrichs Sohn mit Pietros Tochter fügt
sich ganz natürlich in die Haupthandlung ein, und von da an, wo auch auf
diese Liebe der düstre Reflex von dem immer schneidenderen Zwiespalt der Väter
zurückfällt, bekommt sie selbst etwas mehr dramatische Haltung. Aber im
Ganzen machen diese Episoden einen dürftigen und zugleich anspruchsvollen
Eindruck.

Der Vertreter der päpstlichen Ansprüche, der Legat Capoccio, war im We¬
sentlichen gegeben. Daß ihn der Dichter nicht als Diplomaten und Heuchler
auffaßte, sondern mit cynisch offener Unverschämtheit ausstattete, darüber ist
nicht zu rechten. Ihm steht dann Bojolus als der verschmitzte, heimtückische
Mönch, der teuflische Jntnguant zur Seite. Pandols von Fasanella repräsentirt
die italienische Aristokratie, indem er aus Haß gegen den Fremden, der überdies
"die Großen des Reichs herabsetzt zum gemeinen Bürger," der Verschwörung
gegen Friedrich beitritt und als Verräther endet. Unter den Leuten des Kai-


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Palme selbst find' ich das Ringen um die Siegespalme!", Worte, die wohl einem
suchenden Denker anstehen, aber nicht eines Kaisers überquellendem Thaten¬
drang, und die höchstens ein Dritter, der das Facit von Friedrichs Leben zieht,
sagen konnte. Sein Charakter ist überhaupt zu licht, zu durchsichtig gehalten,
es fehlt das aller Genialität eigenthümliche Dämonische, welches dann auch
mit seiner späteren Heftigkeit besser versöhnen würde. Er spiegelt sich gleichsam
in seinem eigenen Bewußtsein, während das Bild eines wahren dramatischen
Charakters erst im Gemüth des Zuschauers aufdämmern und zu voller Klarheit
sich herausstellen soll. Denn es ist die höchste Kunst des Dichters, das Publi-
cum in die Illusion zu versetzen, als ob es selbst den Charakter des Helden
aus seinen Reden und Handlungen sich zusammensuchte und ahnend gestaltete.
Für dieses Ahnen des Zuschauers aber ist kein Raum mehr, wenn der Held
das, was er ist, gerade heraus von der Bühne verkündigt.

Was dann die übrigen Personen und die Nebenhandlungen betrifft, so
fehlt es dem Dichter offenbar an erfinderischen Reichthum, ein wirklich in¬
dividuelles Leben über das Ganze auszubreiten. Hierin ist Immermanns
Friedrich der Zweite weit überlegen, während er an tragischen Gehalt weit
zurücksteht. Was Fischer um die Haupthelden herum gruppirt hat, geht kaum
über die herkömmlichen Figuren solcher Stücke hinaus. Am unbefriedigendsten
sind gleich die nächsten Angehörigen des Kaisers, Bianca, Enzio, Manfred und
dessen Braut Heliodora. Sie reden die Sprache einer Gefühlsrhetorik, die
ganz undramatisch ist. Hier zeigt sich ganz besonders die einseitig subjective
Natur des Lyrikers, die den naiven Ton der Liebe nicht zu finden weiß. Auch
im Saul sind die Liebesscenen, an sich nicht ohne poetische Schönheit, doch
vom dramatischen Gesichtspunkt aus das Schwächste. Die Anlage der Hand¬
lung ist wiederum weit geschickter als die Individualisirung der Personen.
Denn die Episode der Liebe von Friedrichs Sohn mit Pietros Tochter fügt
sich ganz natürlich in die Haupthandlung ein, und von da an, wo auch auf
diese Liebe der düstre Reflex von dem immer schneidenderen Zwiespalt der Väter
zurückfällt, bekommt sie selbst etwas mehr dramatische Haltung. Aber im
Ganzen machen diese Episoden einen dürftigen und zugleich anspruchsvollen
Eindruck.

Der Vertreter der päpstlichen Ansprüche, der Legat Capoccio, war im We¬
sentlichen gegeben. Daß ihn der Dichter nicht als Diplomaten und Heuchler
auffaßte, sondern mit cynisch offener Unverschämtheit ausstattete, darüber ist
nicht zu rechten. Ihm steht dann Bojolus als der verschmitzte, heimtückische
Mönch, der teuflische Jntnguant zur Seite. Pandols von Fasanella repräsentirt
die italienische Aristokratie, indem er aus Haß gegen den Fremden, der überdies
„die Großen des Reichs herabsetzt zum gemeinen Bürger," der Verschwörung
gegen Friedrich beitritt und als Verräther endet. Unter den Leuten des Kai-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115393/389>, abgerufen am 01.09.2024.