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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band.

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keinem andern Kaiser zum persönlichsten Pathos, er hat hier ein individuelleres
Gepräge, als auf jedem anderen Blatt dieser Geschichte. Friedrich und Inno-
cenz sind schließlich persönliche Feinde, welche mit verwegenen Wurfe selbst die
Existenz der beiden Gewalten, deren Vertreter sie sind, auf das Spiel setzen.
Allein auch damit ist der Stoff noch kein im engeren Sinne dramatischer; denn
im Bewußtsein des Zuschauers erweitert sich dieser Kampf, so persönlich er ge¬
führt wird, doch wieder zu einem weltgeschichtlichen, über die Persönlichkeiten
übergreifenden Proceß. Damit der Stoff wirklich dramatisch faßbar werde,
bedarf es eines Gegengewichts, das nur in einer ganz bestimmten tragisch ver¬
laufenden Handlung bestehen kann, welche innerhalb jenes Processes steht, ohne
darin aufzugehen. Immermann, der gleichfalls die Unmöglichkeit einsah, mit dem
bloßen Kampf gegen das Papstthum eine Tragödie auszufüllen, rückte deshalb
in seinem Friedrich dem Zweiten das Verhältniß des Kaisers zu seiner Familie,
den Streit der beiden feindlichen Brüder Enzio und Manfred in die Mitte.
Allein hier fehlt es durchaus an dem inneren Zusammenhang dieser Haupt-
Handlung mit Friedrichs geschichtlichem Kampfe, das Stück wird zur bloßen
Familientragödie. Es wird sich also fragen, ob nicht in der Geschichte der
letzten Jahre Friedrichs ein Punkt sich findet, wo diese hochbegabte, reich ent¬
wickelte Individualität sich in einen psychologischen Conflict versetzt sieht, welcher
zusammenhängt mit jenem weltgeschichtlichen Conflict, aber zugleich in sich selbst
einen tragischen Verlauf nimmt und sich dadurch zum tragischen Kern der
ganzen Handlung eignet. Und dieser Punkt ist vorhanden, es ist das Ver¬
hältniß des Kaisers zu seinem Kanzler Pietro de Vincis. Das Dunkel, in
welchem die Geschichte dieses Verhältniß gelassen hat. kommt dem Dichter nur
zu statten, hier kann er seine Kunst zu motiviren, den Knoten tragisch zu
schürzen, bewähren; hier ist ein psychologisches Problem, das ihn über die
Allgemeinheit des Kaiser-Papststreits hinaushebt. So wird er zugleich im
Stande sein, seinen Stoff weise zu begrenzen, die dramatischen Mittel auf eine
kleinere Handlung zu concentriren, die aber aufgetragen ist auf einen großen
geschichtlichen Hintergrund, welcher gerade um so mächtiger wirken wird, je we¬
niger er in den eigentlichen Mittelpunkt der dramatischen Handlung gerückt ist.

Legen wir diesen Maßstab an, so kann er freilich nur auf das eine der
beiden oben genannten Dramen angewandt werden. Es wäre überhaupt un¬
billig, das aus dem Nachlaß des Freiherrn V. Wcsscnberg herausgegebene
Trauerspiel einer strengen Kritik zu unterwerfen. Ursprünglich gar nicht für
die Oeffentlichkeit bestimmt, will es mehr nur als ein Sclbstbekenntniß des
edlen Kirchenfürsten betrachtet sein, als welches es immerhin seinen Werth be¬
hält. Es ist ohne dramatische Handlung und besteht aus einer Reihe von
Gesprächen, die in der Umgebung des Kaisers gehalten werden, und in denen
wir von den äußeren Ereignissen Kunde erhalten. Noch mehr fehlt eine wirt-


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keinem andern Kaiser zum persönlichsten Pathos, er hat hier ein individuelleres
Gepräge, als auf jedem anderen Blatt dieser Geschichte. Friedrich und Inno-
cenz sind schließlich persönliche Feinde, welche mit verwegenen Wurfe selbst die
Existenz der beiden Gewalten, deren Vertreter sie sind, auf das Spiel setzen.
Allein auch damit ist der Stoff noch kein im engeren Sinne dramatischer; denn
im Bewußtsein des Zuschauers erweitert sich dieser Kampf, so persönlich er ge¬
führt wird, doch wieder zu einem weltgeschichtlichen, über die Persönlichkeiten
übergreifenden Proceß. Damit der Stoff wirklich dramatisch faßbar werde,
bedarf es eines Gegengewichts, das nur in einer ganz bestimmten tragisch ver¬
laufenden Handlung bestehen kann, welche innerhalb jenes Processes steht, ohne
darin aufzugehen. Immermann, der gleichfalls die Unmöglichkeit einsah, mit dem
bloßen Kampf gegen das Papstthum eine Tragödie auszufüllen, rückte deshalb
in seinem Friedrich dem Zweiten das Verhältniß des Kaisers zu seiner Familie,
den Streit der beiden feindlichen Brüder Enzio und Manfred in die Mitte.
Allein hier fehlt es durchaus an dem inneren Zusammenhang dieser Haupt-
Handlung mit Friedrichs geschichtlichem Kampfe, das Stück wird zur bloßen
Familientragödie. Es wird sich also fragen, ob nicht in der Geschichte der
letzten Jahre Friedrichs ein Punkt sich findet, wo diese hochbegabte, reich ent¬
wickelte Individualität sich in einen psychologischen Conflict versetzt sieht, welcher
zusammenhängt mit jenem weltgeschichtlichen Conflict, aber zugleich in sich selbst
einen tragischen Verlauf nimmt und sich dadurch zum tragischen Kern der
ganzen Handlung eignet. Und dieser Punkt ist vorhanden, es ist das Ver¬
hältniß des Kaisers zu seinem Kanzler Pietro de Vincis. Das Dunkel, in
welchem die Geschichte dieses Verhältniß gelassen hat. kommt dem Dichter nur
zu statten, hier kann er seine Kunst zu motiviren, den Knoten tragisch zu
schürzen, bewähren; hier ist ein psychologisches Problem, das ihn über die
Allgemeinheit des Kaiser-Papststreits hinaushebt. So wird er zugleich im
Stande sein, seinen Stoff weise zu begrenzen, die dramatischen Mittel auf eine
kleinere Handlung zu concentriren, die aber aufgetragen ist auf einen großen
geschichtlichen Hintergrund, welcher gerade um so mächtiger wirken wird, je we¬
niger er in den eigentlichen Mittelpunkt der dramatischen Handlung gerückt ist.

Legen wir diesen Maßstab an, so kann er freilich nur auf das eine der
beiden oben genannten Dramen angewandt werden. Es wäre überhaupt un¬
billig, das aus dem Nachlaß des Freiherrn V. Wcsscnberg herausgegebene
Trauerspiel einer strengen Kritik zu unterwerfen. Ursprünglich gar nicht für
die Oeffentlichkeit bestimmt, will es mehr nur als ein Sclbstbekenntniß des
edlen Kirchenfürsten betrachtet sein, als welches es immerhin seinen Werth be¬
hält. Es ist ohne dramatische Handlung und besteht aus einer Reihe von
Gesprächen, die in der Umgebung des Kaisers gehalten werden, und in denen
wir von den äußeren Ereignissen Kunde erhalten. Noch mehr fehlt eine wirt-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115393/381>, abgerufen am 28.07.2024.