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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band.

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Kohl, wo die oberirdischen Theile uns wichtig sind, variiren diese auffallend,
die Wurzeln bieten kaum Unterschiede, Würde die Wurzel der Kohlpflanze
irgendwie allgemein gebraucht, so würde man sicherlich in einigen Jahren deut¬
lich verschiedene Varietäten derselben haben; es kommt aber nur auf die accu-
mulirende Wirkung der fortgesetzten Auswahl in bestimmten Richtungen an;
und daß es dem Menschen gelingt, je nach seinen Wünschen nach allen Rich¬
tungen hin neue Formen durch sorgfältige Auswahl zu bilden, zeigt deutlich,
daß die organischen Formen einem beständigen leichten Schwanken ihrer Eigen¬
schaften nach allen Richtungen hin unterliegen, denn der Züchter schafft nicht
die Formen, sondern er erhält nur das ihm Zusagende und verwirft das Un¬
bedeutende. Aber ihren ganzen vollen Werth werden diese Thatsachen erst dann
haben, wenn man für die Entstehung bestimmter Formen alle Uebergänge ta¬
bellarisch verfolgt, der Natur Schritt für Schritt nachgeht. Die Vertheidiger
der Constanz machen freilich auch gegen diese ganze Folgerungsweise einen
Einwand; sie geben das Thatsächliche zu. behaupten aber, alle durch Cultur
erzeugten, noch so verschiedenen Formen seien doch eben nur Varietät"n, deren
Entstehung durch bloße Ausartung bekannt sei, und eben dadurch unterscheiden
sie sich wesentlich von den echten Arten; also könne von jenen für die Ent¬
stehung der Arten nichts gefolgert werden. Und hiermit stoßen wir auf das
schwache Fundament, welches gegenwärtig die Theorie von der Constanz der
Arten stützt; man sagt, Species sind die ursprünglich erschaffenen Formen, die
unter unseren Augen entstehenden Varietäten sind eben deshalb keine Species;
aber wo liegt der Beweis, daß das, was man Species nennt, einmal mo¬
mentan erschaffen wurde? Daß viele Species seit langer Zeit keine bemerk¬
baren Veränderungen zeigen, beweist nur, daß sie vortrefflich adaptirt sind;
dafür zeigen andere Formen einen beständigen Wechsel, und es fehlt an jedem
objectiven Maße dafür, ob man neu entstandene Formen in den Rang von
Species einsetzen darf; der Unterschied von Varietät und Species beruht auf
keinem objectiv festzustellenden Merkmal. Die Consicniz der Form ist gewiß
kein solcher, denn die Varietäten entstehen ja eben durch Abänderung aus den
sogenannten Species. Darwin hebt besonders die Thatsache hervor, daß sehr
viele Formen, welche von Kennern für Species erklärt werden, von anderen
ebenso guten Kennern nur den Werth von Varietäten beigelegt erhalten, und
umgekehrt, während beide auf dem Standpunkt der Hypothese constanter, be¬
sonders erschaffener Arten stehen. Mit all diesen Schwierigkeiten hat die Dar¬
winsche Theorie nichts zu thun; sie kennt keine Species und Varietäten in
jenem Sinne, sondern nur mehr oder minder befestigte und mehr oder minder
verschiedene Formen.

Man hat es als eine besondere Schwierigkeit, welche Darwins Theorie
gegenüberstehe, bezeichnet, daß die Kreuzung der Arten im Allgemeinen schole-


Kohl, wo die oberirdischen Theile uns wichtig sind, variiren diese auffallend,
die Wurzeln bieten kaum Unterschiede, Würde die Wurzel der Kohlpflanze
irgendwie allgemein gebraucht, so würde man sicherlich in einigen Jahren deut¬
lich verschiedene Varietäten derselben haben; es kommt aber nur auf die accu-
mulirende Wirkung der fortgesetzten Auswahl in bestimmten Richtungen an;
und daß es dem Menschen gelingt, je nach seinen Wünschen nach allen Rich¬
tungen hin neue Formen durch sorgfältige Auswahl zu bilden, zeigt deutlich,
daß die organischen Formen einem beständigen leichten Schwanken ihrer Eigen¬
schaften nach allen Richtungen hin unterliegen, denn der Züchter schafft nicht
die Formen, sondern er erhält nur das ihm Zusagende und verwirft das Un¬
bedeutende. Aber ihren ganzen vollen Werth werden diese Thatsachen erst dann
haben, wenn man für die Entstehung bestimmter Formen alle Uebergänge ta¬
bellarisch verfolgt, der Natur Schritt für Schritt nachgeht. Die Vertheidiger
der Constanz machen freilich auch gegen diese ganze Folgerungsweise einen
Einwand; sie geben das Thatsächliche zu. behaupten aber, alle durch Cultur
erzeugten, noch so verschiedenen Formen seien doch eben nur Varietät«n, deren
Entstehung durch bloße Ausartung bekannt sei, und eben dadurch unterscheiden
sie sich wesentlich von den echten Arten; also könne von jenen für die Ent¬
stehung der Arten nichts gefolgert werden. Und hiermit stoßen wir auf das
schwache Fundament, welches gegenwärtig die Theorie von der Constanz der
Arten stützt; man sagt, Species sind die ursprünglich erschaffenen Formen, die
unter unseren Augen entstehenden Varietäten sind eben deshalb keine Species;
aber wo liegt der Beweis, daß das, was man Species nennt, einmal mo¬
mentan erschaffen wurde? Daß viele Species seit langer Zeit keine bemerk¬
baren Veränderungen zeigen, beweist nur, daß sie vortrefflich adaptirt sind;
dafür zeigen andere Formen einen beständigen Wechsel, und es fehlt an jedem
objectiven Maße dafür, ob man neu entstandene Formen in den Rang von
Species einsetzen darf; der Unterschied von Varietät und Species beruht auf
keinem objectiv festzustellenden Merkmal. Die Consicniz der Form ist gewiß
kein solcher, denn die Varietäten entstehen ja eben durch Abänderung aus den
sogenannten Species. Darwin hebt besonders die Thatsache hervor, daß sehr
viele Formen, welche von Kennern für Species erklärt werden, von anderen
ebenso guten Kennern nur den Werth von Varietäten beigelegt erhalten, und
umgekehrt, während beide auf dem Standpunkt der Hypothese constanter, be¬
sonders erschaffener Arten stehen. Mit all diesen Schwierigkeiten hat die Dar¬
winsche Theorie nichts zu thun; sie kennt keine Species und Varietäten in
jenem Sinne, sondern nur mehr oder minder befestigte und mehr oder minder
verschiedene Formen.

Man hat es als eine besondere Schwierigkeit, welche Darwins Theorie
gegenüberstehe, bezeichnet, daß die Kreuzung der Arten im Allgemeinen schole-


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[0358] Kohl, wo die oberirdischen Theile uns wichtig sind, variiren diese auffallend, die Wurzeln bieten kaum Unterschiede, Würde die Wurzel der Kohlpflanze irgendwie allgemein gebraucht, so würde man sicherlich in einigen Jahren deut¬ lich verschiedene Varietäten derselben haben; es kommt aber nur auf die accu- mulirende Wirkung der fortgesetzten Auswahl in bestimmten Richtungen an; und daß es dem Menschen gelingt, je nach seinen Wünschen nach allen Rich¬ tungen hin neue Formen durch sorgfältige Auswahl zu bilden, zeigt deutlich, daß die organischen Formen einem beständigen leichten Schwanken ihrer Eigen¬ schaften nach allen Richtungen hin unterliegen, denn der Züchter schafft nicht die Formen, sondern er erhält nur das ihm Zusagende und verwirft das Un¬ bedeutende. Aber ihren ganzen vollen Werth werden diese Thatsachen erst dann haben, wenn man für die Entstehung bestimmter Formen alle Uebergänge ta¬ bellarisch verfolgt, der Natur Schritt für Schritt nachgeht. Die Vertheidiger der Constanz machen freilich auch gegen diese ganze Folgerungsweise einen Einwand; sie geben das Thatsächliche zu. behaupten aber, alle durch Cultur erzeugten, noch so verschiedenen Formen seien doch eben nur Varietät«n, deren Entstehung durch bloße Ausartung bekannt sei, und eben dadurch unterscheiden sie sich wesentlich von den echten Arten; also könne von jenen für die Ent¬ stehung der Arten nichts gefolgert werden. Und hiermit stoßen wir auf das schwache Fundament, welches gegenwärtig die Theorie von der Constanz der Arten stützt; man sagt, Species sind die ursprünglich erschaffenen Formen, die unter unseren Augen entstehenden Varietäten sind eben deshalb keine Species; aber wo liegt der Beweis, daß das, was man Species nennt, einmal mo¬ mentan erschaffen wurde? Daß viele Species seit langer Zeit keine bemerk¬ baren Veränderungen zeigen, beweist nur, daß sie vortrefflich adaptirt sind; dafür zeigen andere Formen einen beständigen Wechsel, und es fehlt an jedem objectiven Maße dafür, ob man neu entstandene Formen in den Rang von Species einsetzen darf; der Unterschied von Varietät und Species beruht auf keinem objectiv festzustellenden Merkmal. Die Consicniz der Form ist gewiß kein solcher, denn die Varietäten entstehen ja eben durch Abänderung aus den sogenannten Species. Darwin hebt besonders die Thatsache hervor, daß sehr viele Formen, welche von Kennern für Species erklärt werden, von anderen ebenso guten Kennern nur den Werth von Varietäten beigelegt erhalten, und umgekehrt, während beide auf dem Standpunkt der Hypothese constanter, be¬ sonders erschaffener Arten stehen. Mit all diesen Schwierigkeiten hat die Dar¬ winsche Theorie nichts zu thun; sie kennt keine Species und Varietäten in jenem Sinne, sondern nur mehr oder minder befestigte und mehr oder minder verschiedene Formen. Man hat es als eine besondere Schwierigkeit, welche Darwins Theorie gegenüberstehe, bezeichnet, daß die Kreuzung der Arten im Allgemeinen schole-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115393/358>, abgerufen am 28.07.2024.