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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band.

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trauter Umgang der Soldaten mit der übrigen Bevölkerung, wenn die Sache
eine derartige Ausdehnung erreicht, zu tadeln.

Bei dem langsamen Avancement, welches zu jener Zeit stattfand, und da
man die Offiziere bei ihrer Beförderung nur in besonderen Fälle" zu einer an¬
dern Truppe versetzte, fand nicht nur äußerst selten ein Wechsel der Befehls¬
haber statt, sondern es geschah auch, daß selbst Stabsoffiziere seit ihrem (An¬
tritte als Cadeten in demselben Körper verblieben waren und sich niemals über
einen Tagmarsch von ihrem Garnisonsorte entfernt hatten. Damit aber war
der Eingang neuer Ideen und Ansichten fast zur Unmöglichkeit geworden und
das Sprichwort "Wie die Alten gesungen, zwitschern die Jungen" machte sich
auch hier geltend. Es war für den Nachfolger so bequem, in die Fußtapfen
seines Vorgängers zu treten und was dieser gethan hatte, auch zu thun! Wa¬
ren nun der Geist und Ausbildung einer Truppe unter dem früheren Befehls¬
haber gut gewesen, so ging die Sache auch unter dem neuen Befehlhaber gut,
hatte aber das Entgegengesetzte stattgefunden, so konnte nur selten eine Ver¬
änderung in dem leitenden Personale eine durchgreifende Verbesserung zur Folge
haben.

Die Auswahl der Mannschaft für die Linientruppen wurde zwar ohne
besondere Begünstigung der übrigen Waffengattungen getroffen, ja es war ein
der Linie günstiger Umstand, daß der Vorstand und die meisten Glieder der
Rekrutirungscommissionen der Infanterie angehörten und die Offiziere der an¬
dern Truppengattungen nur eine berathende Stimme hatten, doch bekam im
Allgemeinen die Infanterie eben nur diejenigen Rekruten, welche sich durch
ihre körperlichen Eigenschaften nicht besonders auszeichneten, blieb aber auch
von den Mindertauglichen befreit, indem diese zu dem Fuhrwesen, oder wenn
sie eines Handwerkes kundig waren, zu der Monturcommission und den
Arbeitstruppen der Artillerie abgestellt wurden. Besonders kräftige Leute wur¬
den der schweren Cavallerie zugewiesen und die Kleinsten mit besonderer Vor¬
liebe zu den Jägern geschickt. Daher fehlte es nicht an großen Leuten bei der
Infanterie, und selten kam ein Oberst bei der Completirung seiner Grenadiere
in Verlegenheit.

Mit der moralischen und geistigen Befähigung der Jnfanterierekruten sah
es dagegen desto schlimmer aus.

Die sogenannten ex okkeio Abgestellten wurden ohne Ausnahme der In¬
fanterie zugewiesen. Wenn eine Gemeinde sich eines lästigen Subjectes, eines
Raufers, Unruhstifters, Wilddiebes oder Vagabunden entledigen wollte, wurde
derselbe zwangsweise assentirt. Das Gleiche geschah von Seite der Polizei¬
behörden mit allen als paßlos Aufgegriffenen, mit Solchen, welche von ihren
Eltern oder Vormündern als incorrigibel in eine Besserungsanstalt gesteckt wor¬
den waren, und endlich mit allen Rekrutirungsflüchtlingen und proscribirten


trauter Umgang der Soldaten mit der übrigen Bevölkerung, wenn die Sache
eine derartige Ausdehnung erreicht, zu tadeln.

Bei dem langsamen Avancement, welches zu jener Zeit stattfand, und da
man die Offiziere bei ihrer Beförderung nur in besonderen Fälle» zu einer an¬
dern Truppe versetzte, fand nicht nur äußerst selten ein Wechsel der Befehls¬
haber statt, sondern es geschah auch, daß selbst Stabsoffiziere seit ihrem (An¬
tritte als Cadeten in demselben Körper verblieben waren und sich niemals über
einen Tagmarsch von ihrem Garnisonsorte entfernt hatten. Damit aber war
der Eingang neuer Ideen und Ansichten fast zur Unmöglichkeit geworden und
das Sprichwort „Wie die Alten gesungen, zwitschern die Jungen" machte sich
auch hier geltend. Es war für den Nachfolger so bequem, in die Fußtapfen
seines Vorgängers zu treten und was dieser gethan hatte, auch zu thun! Wa¬
ren nun der Geist und Ausbildung einer Truppe unter dem früheren Befehls¬
haber gut gewesen, so ging die Sache auch unter dem neuen Befehlhaber gut,
hatte aber das Entgegengesetzte stattgefunden, so konnte nur selten eine Ver¬
änderung in dem leitenden Personale eine durchgreifende Verbesserung zur Folge
haben.

Die Auswahl der Mannschaft für die Linientruppen wurde zwar ohne
besondere Begünstigung der übrigen Waffengattungen getroffen, ja es war ein
der Linie günstiger Umstand, daß der Vorstand und die meisten Glieder der
Rekrutirungscommissionen der Infanterie angehörten und die Offiziere der an¬
dern Truppengattungen nur eine berathende Stimme hatten, doch bekam im
Allgemeinen die Infanterie eben nur diejenigen Rekruten, welche sich durch
ihre körperlichen Eigenschaften nicht besonders auszeichneten, blieb aber auch
von den Mindertauglichen befreit, indem diese zu dem Fuhrwesen, oder wenn
sie eines Handwerkes kundig waren, zu der Monturcommission und den
Arbeitstruppen der Artillerie abgestellt wurden. Besonders kräftige Leute wur¬
den der schweren Cavallerie zugewiesen und die Kleinsten mit besonderer Vor¬
liebe zu den Jägern geschickt. Daher fehlte es nicht an großen Leuten bei der
Infanterie, und selten kam ein Oberst bei der Completirung seiner Grenadiere
in Verlegenheit.

Mit der moralischen und geistigen Befähigung der Jnfanterierekruten sah
es dagegen desto schlimmer aus.

Die sogenannten ex okkeio Abgestellten wurden ohne Ausnahme der In¬
fanterie zugewiesen. Wenn eine Gemeinde sich eines lästigen Subjectes, eines
Raufers, Unruhstifters, Wilddiebes oder Vagabunden entledigen wollte, wurde
derselbe zwangsweise assentirt. Das Gleiche geschah von Seite der Polizei¬
behörden mit allen als paßlos Aufgegriffenen, mit Solchen, welche von ihren
Eltern oder Vormündern als incorrigibel in eine Besserungsanstalt gesteckt wor¬
den waren, und endlich mit allen Rekrutirungsflüchtlingen und proscribirten


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[0348] trauter Umgang der Soldaten mit der übrigen Bevölkerung, wenn die Sache eine derartige Ausdehnung erreicht, zu tadeln. Bei dem langsamen Avancement, welches zu jener Zeit stattfand, und da man die Offiziere bei ihrer Beförderung nur in besonderen Fälle» zu einer an¬ dern Truppe versetzte, fand nicht nur äußerst selten ein Wechsel der Befehls¬ haber statt, sondern es geschah auch, daß selbst Stabsoffiziere seit ihrem (An¬ tritte als Cadeten in demselben Körper verblieben waren und sich niemals über einen Tagmarsch von ihrem Garnisonsorte entfernt hatten. Damit aber war der Eingang neuer Ideen und Ansichten fast zur Unmöglichkeit geworden und das Sprichwort „Wie die Alten gesungen, zwitschern die Jungen" machte sich auch hier geltend. Es war für den Nachfolger so bequem, in die Fußtapfen seines Vorgängers zu treten und was dieser gethan hatte, auch zu thun! Wa¬ ren nun der Geist und Ausbildung einer Truppe unter dem früheren Befehls¬ haber gut gewesen, so ging die Sache auch unter dem neuen Befehlhaber gut, hatte aber das Entgegengesetzte stattgefunden, so konnte nur selten eine Ver¬ änderung in dem leitenden Personale eine durchgreifende Verbesserung zur Folge haben. Die Auswahl der Mannschaft für die Linientruppen wurde zwar ohne besondere Begünstigung der übrigen Waffengattungen getroffen, ja es war ein der Linie günstiger Umstand, daß der Vorstand und die meisten Glieder der Rekrutirungscommissionen der Infanterie angehörten und die Offiziere der an¬ dern Truppengattungen nur eine berathende Stimme hatten, doch bekam im Allgemeinen die Infanterie eben nur diejenigen Rekruten, welche sich durch ihre körperlichen Eigenschaften nicht besonders auszeichneten, blieb aber auch von den Mindertauglichen befreit, indem diese zu dem Fuhrwesen, oder wenn sie eines Handwerkes kundig waren, zu der Monturcommission und den Arbeitstruppen der Artillerie abgestellt wurden. Besonders kräftige Leute wur¬ den der schweren Cavallerie zugewiesen und die Kleinsten mit besonderer Vor¬ liebe zu den Jägern geschickt. Daher fehlte es nicht an großen Leuten bei der Infanterie, und selten kam ein Oberst bei der Completirung seiner Grenadiere in Verlegenheit. Mit der moralischen und geistigen Befähigung der Jnfanterierekruten sah es dagegen desto schlimmer aus. Die sogenannten ex okkeio Abgestellten wurden ohne Ausnahme der In¬ fanterie zugewiesen. Wenn eine Gemeinde sich eines lästigen Subjectes, eines Raufers, Unruhstifters, Wilddiebes oder Vagabunden entledigen wollte, wurde derselbe zwangsweise assentirt. Das Gleiche geschah von Seite der Polizei¬ behörden mit allen als paßlos Aufgegriffenen, mit Solchen, welche von ihren Eltern oder Vormündern als incorrigibel in eine Besserungsanstalt gesteckt wor¬ den waren, und endlich mit allen Rekrutirungsflüchtlingen und proscribirten

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115393/348>, abgerufen am 28.07.2024.