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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band.

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werthvolle Reformen in großem Sinne gewährt, leidet es auf der andern Seite
an dem Uebelstand, daß es einen complicirten Mechanismus schafft, dessen prak¬
tische Brauchbarkeit sehr zweifelhaft wird.

Im Ganzen ist nächst dem Bestreben Oestreich festzustellen und Preußen
auch in Zahl der zu wählenden Volksvertreter herabzudrücken, eine Begünsti¬
gung Bayerns unverkennbar. Dagegen sind den übrigen Mittelstaaten größere
Opfer zugemuthet. als man annahm.

Die Vorlagen Oestreichs sind bis jetzt nur in ihren Grundzügen bekannt
und eine eingehende Beurtheilung zur Zeit unmöglich. Doch ist die Hauptsache
deutlich genug. Die Executive, sehr verstärkt, fällt einem Direktorium von fünf
Stimmen zu, unter dem Vorsitz Oestreichs.

Thatsächlich sind die deutschen Staatsregierungen unter die Oberhoheit
des Direktoriums gestellt, und da das Directorium nur drei feste Mitglieder hat,
Oestreich, Preußen, Bayern, während die zwei übrigen periodisch aus Wahlen
der übrigen Regierungen hervorgehen, so ist der feste Schwerpunkt der Execu¬
tive in die drei Staaten Oestreich, Preußen, Bayern gelegt; da die Entschei¬
dung im Directorium nach Stimmenmehrheit erfolgt, so ruht bei fünf Stimmen
die Entscheidung in allen Fällen, wo Preußen und Oestreich verschiedenes
Interesse haben, auf den beiden Wahlstimmen, die Politik Deutschlands würde
also -- der Form nach -- in der Regel durch diese bestimmt werden. Es ist
leicht zu ermessen, daß solche Organisation in der Praxis verhängnißvoll werden
muß, und daß nicht nur Preußen, sondern das gesammte Deutschland bis zum
Main die Aussicht hat, durch Oestreich und den südlich vom Main gelegenen
Bruchtheil Deutschlands regiert zu werden.

Neben dem Directorium steht als ein eigenthümliches irrationales Mittel¬
glied ein begutachtender Bundesrath, der aus den Bevollmächtigten der siebzehn
Stimmen des.bisherigen engern Ausschusses gebildet, aber dadurch zu einund¬
zwanzig Stimmen verstärkt wird, daß Oestreich und Preußen je drei Stimmen
statt einer erhalten sollen. Die Competenz dieses Bundesrathes ist beschränkt,
er hat mit der Executive nichts zu thun und scheint nur dazu da zu sein, die
Interessen der Regierungen in der Bundesgesetzgebung zu vertreten, bei dieser
soll allerdings sein Gutachten entscheidend werden. Es ist jedoch klar, daß
trotz dieses Zugeständnisses der Bundesrath derselben Bedeutungslosigkeit ver¬
fallen muß, welcher jedes vorzugsweise begutachtendes Kollegium nicht entgeht,
selbst wenn sein Votum bei Gesetzen über literarisches Eigenthum, Heimathsrecht
u, dergl. maßgebend wird.

Nicht annehmbar ferner ist die Volksvertretung am Bunde. Zwar die
Competenz derselben ist nicht gering gefaßt, klar und genau präcisirt, und es
wird sich vom Standpunkt dieses föderalen Projectes wenig dagegen sagen
lassen. Aber Stimmverhältniß und Wahlmodus dieser sogenannten Volksver-


werthvolle Reformen in großem Sinne gewährt, leidet es auf der andern Seite
an dem Uebelstand, daß es einen complicirten Mechanismus schafft, dessen prak¬
tische Brauchbarkeit sehr zweifelhaft wird.

Im Ganzen ist nächst dem Bestreben Oestreich festzustellen und Preußen
auch in Zahl der zu wählenden Volksvertreter herabzudrücken, eine Begünsti¬
gung Bayerns unverkennbar. Dagegen sind den übrigen Mittelstaaten größere
Opfer zugemuthet. als man annahm.

Die Vorlagen Oestreichs sind bis jetzt nur in ihren Grundzügen bekannt
und eine eingehende Beurtheilung zur Zeit unmöglich. Doch ist die Hauptsache
deutlich genug. Die Executive, sehr verstärkt, fällt einem Direktorium von fünf
Stimmen zu, unter dem Vorsitz Oestreichs.

Thatsächlich sind die deutschen Staatsregierungen unter die Oberhoheit
des Direktoriums gestellt, und da das Directorium nur drei feste Mitglieder hat,
Oestreich, Preußen, Bayern, während die zwei übrigen periodisch aus Wahlen
der übrigen Regierungen hervorgehen, so ist der feste Schwerpunkt der Execu¬
tive in die drei Staaten Oestreich, Preußen, Bayern gelegt; da die Entschei¬
dung im Directorium nach Stimmenmehrheit erfolgt, so ruht bei fünf Stimmen
die Entscheidung in allen Fällen, wo Preußen und Oestreich verschiedenes
Interesse haben, auf den beiden Wahlstimmen, die Politik Deutschlands würde
also — der Form nach — in der Regel durch diese bestimmt werden. Es ist
leicht zu ermessen, daß solche Organisation in der Praxis verhängnißvoll werden
muß, und daß nicht nur Preußen, sondern das gesammte Deutschland bis zum
Main die Aussicht hat, durch Oestreich und den südlich vom Main gelegenen
Bruchtheil Deutschlands regiert zu werden.

Neben dem Directorium steht als ein eigenthümliches irrationales Mittel¬
glied ein begutachtender Bundesrath, der aus den Bevollmächtigten der siebzehn
Stimmen des.bisherigen engern Ausschusses gebildet, aber dadurch zu einund¬
zwanzig Stimmen verstärkt wird, daß Oestreich und Preußen je drei Stimmen
statt einer erhalten sollen. Die Competenz dieses Bundesrathes ist beschränkt,
er hat mit der Executive nichts zu thun und scheint nur dazu da zu sein, die
Interessen der Regierungen in der Bundesgesetzgebung zu vertreten, bei dieser
soll allerdings sein Gutachten entscheidend werden. Es ist jedoch klar, daß
trotz dieses Zugeständnisses der Bundesrath derselben Bedeutungslosigkeit ver¬
fallen muß, welcher jedes vorzugsweise begutachtendes Kollegium nicht entgeht,
selbst wenn sein Votum bei Gesetzen über literarisches Eigenthum, Heimathsrecht
u, dergl. maßgebend wird.

Nicht annehmbar ferner ist die Volksvertretung am Bunde. Zwar die
Competenz derselben ist nicht gering gefaßt, klar und genau präcisirt, und es
wird sich vom Standpunkt dieses föderalen Projectes wenig dagegen sagen
lassen. Aber Stimmverhältniß und Wahlmodus dieser sogenannten Volksver-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115393/324>, abgerufen am 22.12.2024.