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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band.

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und Pflanzenformen, wie sie durch die paläontologischen Forschungen dargethan
ist. Jeder Vortheil, den eine Pflanze, ein Thier über seine Mitbewerber er¬
ringt . wird diesen verderblich, nur wenn auch sie besser ausgerüstete Varietäten
erzeugen, wird es ihnen gelingen, ihre Descendenten gegen die Angriffe des be¬
reits vervollkommneten Gegners zu schützen. Die gegenseitige Steigerung des
Schiffspanzers und der ihn zerstörenden Kanone, wie wir sie in den letzten Jahren
erlebten, ist zwar ein zu einfaches aber deutliches Bild dessen, was continuirlich
im Leben der Organismen vorgeht. Ueberhaupt wäre es leicht, den Kampf
um das Dasein in seinen verschiedensten Bethätigungen im Menschengeschlecht
nachzuweisen und ihn als die nächste Ursache alles Fortschrittes zu erkennen.

Die beständige, wenn auch geringe Abweichung der Nachkommen von den
Vorfahren ist gewissermaßen das Rohmaterial, aus welchem der Kampf um
das Dasein dasjenige auswählt und formt, was im Drang der Ereignisse Be¬
stand haben kann. Unzählige Varietäten können nach und nach im Kampf
unterliegen, bis es einer gelingt, sich zu erhalten, in ihren Nachkommen be¬
stimmte Eigenschaften noch höher auszubilden, endlich eine Organisation an¬
zunehmen, welche in einer lange Reihe von Generationen sich bewährt. Im
Verhältniß zu den unzähligen Varietäten, welche sogleich oder nach kurzer Zeit
verschwinden, wird die Anzahl der in hohem Grade bestandsfähigen Formen
eine verhältnißmäßig geringere sein. Solche Formen werden sich auch durch
ihre Organisation als besonders charakteristische dem Auge darstellen müssen;
diese befestigten Formen sind es. welche die Systematiker bisher als Species
von den Varietäten unterschieden, und von denen sie willkürlich annahmen, daß
sie unmittelbar erschaffen seien, während die Varietäten nur eng begrenzte
Abweichungen von diesen erschaffenen, sonst aber unveränderlichen Formen
wären.

Die Entstehung einer neuen, charakteristischen, bestandssähigen Form (Spe¬
cies) ist also das Resultat eines lang anhaltenden Entwickelungsprocesscs, der
mit den klimatischen Verhältnissen, dem Zusammenleben mit anderen Organis¬
men, zahlreichen sogenannten Zufällen eng verknüpft, von ihnen mit bewirkt
worden ist. Es ist daher äußerst unwahrscheinlich, daß dieselbe Form öfters
als einmal ursprünglich entstehen werde. Einmal entstanden, werden die Nach¬
kommen aber sich mehren und verbreiten; von dem Orte aus, wo das erste Indivi¬
duum einer Form sich bildete, wird eine Wanderung nach allen Richtungen hin
erfolgen. Daraus erklärt sich dann die in der Pflanzengeographie bekannte
Thatsache, daß die Verbreitungsbezirke der Thiere und Pflanzen sich an be¬
stimmte Mittelpunkte anlehnen, von denen aus die betreffende Form sich ver¬
breitet, indem sie gegen die Grenzen ihres Gebietes hin immer seltener wird;
nur selten bewohnt irgend eine organische Form alle Gegenden der Erde, wo
sie gedeihen kann; die Verbreitungsgrenzen fallen nicht mit den klimatischen


und Pflanzenformen, wie sie durch die paläontologischen Forschungen dargethan
ist. Jeder Vortheil, den eine Pflanze, ein Thier über seine Mitbewerber er¬
ringt . wird diesen verderblich, nur wenn auch sie besser ausgerüstete Varietäten
erzeugen, wird es ihnen gelingen, ihre Descendenten gegen die Angriffe des be¬
reits vervollkommneten Gegners zu schützen. Die gegenseitige Steigerung des
Schiffspanzers und der ihn zerstörenden Kanone, wie wir sie in den letzten Jahren
erlebten, ist zwar ein zu einfaches aber deutliches Bild dessen, was continuirlich
im Leben der Organismen vorgeht. Ueberhaupt wäre es leicht, den Kampf
um das Dasein in seinen verschiedensten Bethätigungen im Menschengeschlecht
nachzuweisen und ihn als die nächste Ursache alles Fortschrittes zu erkennen.

Die beständige, wenn auch geringe Abweichung der Nachkommen von den
Vorfahren ist gewissermaßen das Rohmaterial, aus welchem der Kampf um
das Dasein dasjenige auswählt und formt, was im Drang der Ereignisse Be¬
stand haben kann. Unzählige Varietäten können nach und nach im Kampf
unterliegen, bis es einer gelingt, sich zu erhalten, in ihren Nachkommen be¬
stimmte Eigenschaften noch höher auszubilden, endlich eine Organisation an¬
zunehmen, welche in einer lange Reihe von Generationen sich bewährt. Im
Verhältniß zu den unzähligen Varietäten, welche sogleich oder nach kurzer Zeit
verschwinden, wird die Anzahl der in hohem Grade bestandsfähigen Formen
eine verhältnißmäßig geringere sein. Solche Formen werden sich auch durch
ihre Organisation als besonders charakteristische dem Auge darstellen müssen;
diese befestigten Formen sind es. welche die Systematiker bisher als Species
von den Varietäten unterschieden, und von denen sie willkürlich annahmen, daß
sie unmittelbar erschaffen seien, während die Varietäten nur eng begrenzte
Abweichungen von diesen erschaffenen, sonst aber unveränderlichen Formen
wären.

Die Entstehung einer neuen, charakteristischen, bestandssähigen Form (Spe¬
cies) ist also das Resultat eines lang anhaltenden Entwickelungsprocesscs, der
mit den klimatischen Verhältnissen, dem Zusammenleben mit anderen Organis¬
men, zahlreichen sogenannten Zufällen eng verknüpft, von ihnen mit bewirkt
worden ist. Es ist daher äußerst unwahrscheinlich, daß dieselbe Form öfters
als einmal ursprünglich entstehen werde. Einmal entstanden, werden die Nach¬
kommen aber sich mehren und verbreiten; von dem Orte aus, wo das erste Indivi¬
duum einer Form sich bildete, wird eine Wanderung nach allen Richtungen hin
erfolgen. Daraus erklärt sich dann die in der Pflanzengeographie bekannte
Thatsache, daß die Verbreitungsbezirke der Thiere und Pflanzen sich an be¬
stimmte Mittelpunkte anlehnen, von denen aus die betreffende Form sich ver¬
breitet, indem sie gegen die Grenzen ihres Gebietes hin immer seltener wird;
nur selten bewohnt irgend eine organische Form alle Gegenden der Erde, wo
sie gedeihen kann; die Verbreitungsgrenzen fallen nicht mit den klimatischen


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[0312] und Pflanzenformen, wie sie durch die paläontologischen Forschungen dargethan ist. Jeder Vortheil, den eine Pflanze, ein Thier über seine Mitbewerber er¬ ringt . wird diesen verderblich, nur wenn auch sie besser ausgerüstete Varietäten erzeugen, wird es ihnen gelingen, ihre Descendenten gegen die Angriffe des be¬ reits vervollkommneten Gegners zu schützen. Die gegenseitige Steigerung des Schiffspanzers und der ihn zerstörenden Kanone, wie wir sie in den letzten Jahren erlebten, ist zwar ein zu einfaches aber deutliches Bild dessen, was continuirlich im Leben der Organismen vorgeht. Ueberhaupt wäre es leicht, den Kampf um das Dasein in seinen verschiedensten Bethätigungen im Menschengeschlecht nachzuweisen und ihn als die nächste Ursache alles Fortschrittes zu erkennen. Die beständige, wenn auch geringe Abweichung der Nachkommen von den Vorfahren ist gewissermaßen das Rohmaterial, aus welchem der Kampf um das Dasein dasjenige auswählt und formt, was im Drang der Ereignisse Be¬ stand haben kann. Unzählige Varietäten können nach und nach im Kampf unterliegen, bis es einer gelingt, sich zu erhalten, in ihren Nachkommen be¬ stimmte Eigenschaften noch höher auszubilden, endlich eine Organisation an¬ zunehmen, welche in einer lange Reihe von Generationen sich bewährt. Im Verhältniß zu den unzähligen Varietäten, welche sogleich oder nach kurzer Zeit verschwinden, wird die Anzahl der in hohem Grade bestandsfähigen Formen eine verhältnißmäßig geringere sein. Solche Formen werden sich auch durch ihre Organisation als besonders charakteristische dem Auge darstellen müssen; diese befestigten Formen sind es. welche die Systematiker bisher als Species von den Varietäten unterschieden, und von denen sie willkürlich annahmen, daß sie unmittelbar erschaffen seien, während die Varietäten nur eng begrenzte Abweichungen von diesen erschaffenen, sonst aber unveränderlichen Formen wären. Die Entstehung einer neuen, charakteristischen, bestandssähigen Form (Spe¬ cies) ist also das Resultat eines lang anhaltenden Entwickelungsprocesscs, der mit den klimatischen Verhältnissen, dem Zusammenleben mit anderen Organis¬ men, zahlreichen sogenannten Zufällen eng verknüpft, von ihnen mit bewirkt worden ist. Es ist daher äußerst unwahrscheinlich, daß dieselbe Form öfters als einmal ursprünglich entstehen werde. Einmal entstanden, werden die Nach¬ kommen aber sich mehren und verbreiten; von dem Orte aus, wo das erste Indivi¬ duum einer Form sich bildete, wird eine Wanderung nach allen Richtungen hin erfolgen. Daraus erklärt sich dann die in der Pflanzengeographie bekannte Thatsache, daß die Verbreitungsbezirke der Thiere und Pflanzen sich an be¬ stimmte Mittelpunkte anlehnen, von denen aus die betreffende Form sich ver¬ breitet, indem sie gegen die Grenzen ihres Gebietes hin immer seltener wird; nur selten bewohnt irgend eine organische Form alle Gegenden der Erde, wo sie gedeihen kann; die Verbreitungsgrenzen fallen nicht mit den klimatischen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115393/312>, abgerufen am 28.07.2024.