Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band.zen Aufgabe eine so umfangreiche, daß man, ohne Lamarcks Verdienste zu ver¬ Die Organismen vererben ihre Eigenschaften auf ihre Nachkommen mit zen Aufgabe eine so umfangreiche, daß man, ohne Lamarcks Verdienste zu ver¬ Die Organismen vererben ihre Eigenschaften auf ihre Nachkommen mit <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0309" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/115701"/> <p xml:id="ID_846" prev="#ID_845"> zen Aufgabe eine so umfangreiche, daß man, ohne Lamarcks Verdienste zu ver¬<lb/> kennen, Darwins Lehre dennoch als eine völlig neue, ihm durchaus eigene an¬<lb/> erkennen muß. Wir müssen es uns hier versagen, seiner Beweisführung an<lb/> einzelnen Beispielen zu folgen, wir verzichten darauf, die Fülle und Lebendigkeit,<lb/> welche seinem Buche so hohe Reize verleiht, auch nur anzudeuten. Es genüge<lb/> eine kurze Darstellung seiner Grundsähe im Zusammenhang, wobei wir jedoch<lb/> der Ordnung seines Buches nicht folgen, da es nicht die Aufgabe dieser Zeilen<lb/> sein kann, irgend eine feste Ueberzeugung zu begründen, sondern nur die lei¬<lb/> tenden Gedanken einfach aufzuweisen.</p><lb/> <p xml:id="ID_847" next="#ID_848"> Die Organismen vererben ihre Eigenschaften auf ihre Nachkommen mit<lb/> einem äußerst hohen Grade von Vollständigkeit. So streng^aber auch die ver¬<lb/> erbende Kraft ist, so ist sie dennoch keine absolute, wie es nach der Hypo¬<lb/> these der Konstanz der Arten der Fall sein müßte. Die Nachkommen sind,<lb/> wenn auch in sehr geringen Graden von ihren Vorfahren und ihren Ge¬<lb/> schwistern verschieden. Eine überwältigend große Summe von Eigenschaften<lb/> wird von den Eltern geerbt, aber das hindert nicht, daß kleine Abweichungen<lb/> der Organisation und Instinkte in den Nachkommen auftreten. Jeder Organis¬<lb/> mus wird aufgefaßt als ein Ganzes, dessen Theile gewissermaßen im labilen<lb/> Gleichgewicht schwanken. Auf diese meist unmerklichen Abweichungen, weiche<lb/> nicht geläugnet werden können, baut Darwin sein System. Die kleinsten ein¬<lb/> mal entstandenen Abänderungen können in den Nachkommen sich steigern oder<lb/> auch wieder verschwinden, je nachdem sie für die Existenz des betreffenden Thie¬<lb/> res oder der Pflanze nützlich oder schädlich sind. Es entstehen keineswegs nur<lb/> etwa solche Varietäten, welche besser ausgerüstet sind als die Vorfahren, son¬<lb/> dern das Variiren geht nach allen Richtungen, allein die Umstände, d. h. nach<lb/> Darwin der Kampf um das Dasein entscheidet, ob diese oder jene Varietät<lb/> sich erhält und noch weiter ausbildet. Hierin macht sich die strengste Kausali¬<lb/> tät geltend. Eine Vorausberechnung, ob die Nachkommen mit ihren Ab¬<lb/> weichungen dem Kampf ums Dasein gewachsen sein werden, findet nicht statt,<lb/> was nicht bestandfähig ist. geht nothwendig unter, was sich den veränderten<lb/> Umständen nicht durch eigene Aenderung schmiegt, muß brechen. Darwins<lb/> Lehre ist ganz durchdrungen von dem Gedanken des beständigen endlosen Kam¬<lb/> pfes, den die Pflanzen und Thiere zu bestehen haben, und wo der Sieg nur<lb/> durch Vererbung nützlicher Eigenschaften errungen wird. In diesem Kampf<lb/> muß jeder noch so geringe Vortheil, jeder noch so geringe Vorzug für das<lb/> Fortbestehen der Nachkommen endlich verhängnißvoll werden. Indem Alles, was<lb/> dem Kampf ums Dasein nicht gewachsen ist, untergeht. Alles was ihn besteht,<lb/> nur darum sich erhält, weil es dem Andrang der Elemente und Feinde adap-<lb/> tirt ist, findet somit eine unbewußte „natürliche Auswahl" statt, und zugleich<lb/> ist damit einfach erklärt, warum die Adaptation im Allgemeinen zwar eine</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0309]
zen Aufgabe eine so umfangreiche, daß man, ohne Lamarcks Verdienste zu ver¬
kennen, Darwins Lehre dennoch als eine völlig neue, ihm durchaus eigene an¬
erkennen muß. Wir müssen es uns hier versagen, seiner Beweisführung an
einzelnen Beispielen zu folgen, wir verzichten darauf, die Fülle und Lebendigkeit,
welche seinem Buche so hohe Reize verleiht, auch nur anzudeuten. Es genüge
eine kurze Darstellung seiner Grundsähe im Zusammenhang, wobei wir jedoch
der Ordnung seines Buches nicht folgen, da es nicht die Aufgabe dieser Zeilen
sein kann, irgend eine feste Ueberzeugung zu begründen, sondern nur die lei¬
tenden Gedanken einfach aufzuweisen.
Die Organismen vererben ihre Eigenschaften auf ihre Nachkommen mit
einem äußerst hohen Grade von Vollständigkeit. So streng^aber auch die ver¬
erbende Kraft ist, so ist sie dennoch keine absolute, wie es nach der Hypo¬
these der Konstanz der Arten der Fall sein müßte. Die Nachkommen sind,
wenn auch in sehr geringen Graden von ihren Vorfahren und ihren Ge¬
schwistern verschieden. Eine überwältigend große Summe von Eigenschaften
wird von den Eltern geerbt, aber das hindert nicht, daß kleine Abweichungen
der Organisation und Instinkte in den Nachkommen auftreten. Jeder Organis¬
mus wird aufgefaßt als ein Ganzes, dessen Theile gewissermaßen im labilen
Gleichgewicht schwanken. Auf diese meist unmerklichen Abweichungen, weiche
nicht geläugnet werden können, baut Darwin sein System. Die kleinsten ein¬
mal entstandenen Abänderungen können in den Nachkommen sich steigern oder
auch wieder verschwinden, je nachdem sie für die Existenz des betreffenden Thie¬
res oder der Pflanze nützlich oder schädlich sind. Es entstehen keineswegs nur
etwa solche Varietäten, welche besser ausgerüstet sind als die Vorfahren, son¬
dern das Variiren geht nach allen Richtungen, allein die Umstände, d. h. nach
Darwin der Kampf um das Dasein entscheidet, ob diese oder jene Varietät
sich erhält und noch weiter ausbildet. Hierin macht sich die strengste Kausali¬
tät geltend. Eine Vorausberechnung, ob die Nachkommen mit ihren Ab¬
weichungen dem Kampf ums Dasein gewachsen sein werden, findet nicht statt,
was nicht bestandfähig ist. geht nothwendig unter, was sich den veränderten
Umständen nicht durch eigene Aenderung schmiegt, muß brechen. Darwins
Lehre ist ganz durchdrungen von dem Gedanken des beständigen endlosen Kam¬
pfes, den die Pflanzen und Thiere zu bestehen haben, und wo der Sieg nur
durch Vererbung nützlicher Eigenschaften errungen wird. In diesem Kampf
muß jeder noch so geringe Vortheil, jeder noch so geringe Vorzug für das
Fortbestehen der Nachkommen endlich verhängnißvoll werden. Indem Alles, was
dem Kampf ums Dasein nicht gewachsen ist, untergeht. Alles was ihn besteht,
nur darum sich erhält, weil es dem Andrang der Elemente und Feinde adap-
tirt ist, findet somit eine unbewußte „natürliche Auswahl" statt, und zugleich
ist damit einfach erklärt, warum die Adaptation im Allgemeinen zwar eine
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