Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band.geknüpft und haben heute nur noch historischen Werth. Die deutschen Natur¬ 38."
geknüpft und haben heute nur noch historischen Werth. Die deutschen Natur¬ 38."
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0307" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/115699"/> <p xml:id="ID_844" prev="#ID_843" next="#ID_845"> geknüpft und haben heute nur noch historischen Werth. Die deutschen Natur¬<lb/> philosophen, Oken an der Spitze, trugen eher dazu bei, die lamarckschen Ideen<lb/> zu verdunkeln, als sie zu klären, ja es blieb theilweise unbestimmt, ob sie die<lb/> Transmutationstheorie im factischen oder blos metaphorischen Sinne genommen<lb/> wissen wollten. War schon der durch Linn6 in die Geologie und Botanik<lb/> eingeführte Geist jeder Annahme langsamer Umgestaltung der lebenden Wesen<lb/> ungünstig, so erhielt dieselbe in Cuvier einen zu gewaltigen Gegner; Lamavcks<lb/> und Se. Hilaires Ansichten wurden beseitigt, die Naturphilosophen verschwan¬<lb/> den; die Vertheidiger der Stabilität der organischen Formen behaupteten das<lb/> Feld und behielten es ungestört fast dreißig Jahre lang. Die Hypothese der<lb/> Constanz der Thier, und Pflanzcnspecies vergaß sogar, daß sie eine Hypothese<lb/> war, sie hielt sich für eine Thatsache und wurde zum Dogma. Es ist in der<lb/> That interessant zu sehen, wie ein so dürrer Gedanke, der kein Problem zu er¬<lb/> klären vermochte, ohne auf Wunderglauben und abstruse Folgerungen geleitet<lb/> zu werden, sich so festsetzen konnte. Auf einem Umwege wurde aber unterdessen<lb/> für die Transmutationslehre neuer Boden gewonnen. Die Frage nach der<lb/> Stabilität oder Fortbildungsfähigkeit der Thier- und Pflanzenformen hängt<lb/> nämlich innig zusammen mit den paläontologischen Phänomenen, die ihrerseits<lb/> auf das engste verknüpft sind mit den geologischen Veränderungen. Durch<lb/> Lyells „?nllLix>l68 ok Moln^" wurde die von Cuvier zugleich mit der Con¬<lb/> stanz der Arten vertheidigte Annahme gewaltsamer Umwälzungen auf der Erd¬<lb/> oberfläche beseitigt. An die Stelle phantastischer Katastrophen, ,wo das Meer<lb/> unmotivirt ganze Continente sammt Allem, was darauf lebte, verschlang, wo<lb/> plötzlich ganze Zonen sich mit Eisgürteln umkleideten, in denen alles Leben<lb/> plötzlich erfror, setzte Lyell das ruhige, beständige, nicht minder mächtige Wal¬<lb/> ten der Naturgesetze, wie wir es noch jetzt aller Orten wahrnehmen. Die<lb/> Annahme plötzlicher und radicaler Vernichtung ganzer Floren und Faunen<lb/> mußte der Ansicht weichen, daß bei den langsamen und meist nur localen Aen¬<lb/> derungen der Erdoberfläche einzelne Formen endlich ausstarben, andere neue<lb/> Wohnplätze fanden, noch andere früher nicht existirende auftauchten, sich mehr¬<lb/> ten und verbreiteten. Fiel die plötzliche Vernichtung weg, so wurde auch die<lb/> momentane Erschaffung ganzer Floren und Faunen überflüssig, es kam vielmehr<lb/> darauf an, zu erklären, auf welche Weise das langsame Aussterben älterer For¬<lb/> men, das Auftreten neuer, die Wanderungen der überlebenden in andere Ge¬<lb/> biete zu erklären sei. Statt der dramatischen Effecte sollte eine natürlich sich<lb/> abwickelnde Geschichte der Vorgänge geschaffen werden, in welcher die Ursachen<lb/> und Umstände klar hervortreten mußten. Und so weit es die Geschichte der<lb/> Organismen betraf, drängte sich zugleich die merkwürdige Wahrnehmung her¬<lb/> vor, daß in dem zeitlichen langsamen Wechsel der Thier- und Pflanzenformen<lb/> ein allgemeinesAGesetz waltet. Die nach einander auftretenden Lebensformen,</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> 38."</fw><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0307]
geknüpft und haben heute nur noch historischen Werth. Die deutschen Natur¬
philosophen, Oken an der Spitze, trugen eher dazu bei, die lamarckschen Ideen
zu verdunkeln, als sie zu klären, ja es blieb theilweise unbestimmt, ob sie die
Transmutationstheorie im factischen oder blos metaphorischen Sinne genommen
wissen wollten. War schon der durch Linn6 in die Geologie und Botanik
eingeführte Geist jeder Annahme langsamer Umgestaltung der lebenden Wesen
ungünstig, so erhielt dieselbe in Cuvier einen zu gewaltigen Gegner; Lamavcks
und Se. Hilaires Ansichten wurden beseitigt, die Naturphilosophen verschwan¬
den; die Vertheidiger der Stabilität der organischen Formen behaupteten das
Feld und behielten es ungestört fast dreißig Jahre lang. Die Hypothese der
Constanz der Thier, und Pflanzcnspecies vergaß sogar, daß sie eine Hypothese
war, sie hielt sich für eine Thatsache und wurde zum Dogma. Es ist in der
That interessant zu sehen, wie ein so dürrer Gedanke, der kein Problem zu er¬
klären vermochte, ohne auf Wunderglauben und abstruse Folgerungen geleitet
zu werden, sich so festsetzen konnte. Auf einem Umwege wurde aber unterdessen
für die Transmutationslehre neuer Boden gewonnen. Die Frage nach der
Stabilität oder Fortbildungsfähigkeit der Thier- und Pflanzenformen hängt
nämlich innig zusammen mit den paläontologischen Phänomenen, die ihrerseits
auf das engste verknüpft sind mit den geologischen Veränderungen. Durch
Lyells „?nllLix>l68 ok Moln^" wurde die von Cuvier zugleich mit der Con¬
stanz der Arten vertheidigte Annahme gewaltsamer Umwälzungen auf der Erd¬
oberfläche beseitigt. An die Stelle phantastischer Katastrophen, ,wo das Meer
unmotivirt ganze Continente sammt Allem, was darauf lebte, verschlang, wo
plötzlich ganze Zonen sich mit Eisgürteln umkleideten, in denen alles Leben
plötzlich erfror, setzte Lyell das ruhige, beständige, nicht minder mächtige Wal¬
ten der Naturgesetze, wie wir es noch jetzt aller Orten wahrnehmen. Die
Annahme plötzlicher und radicaler Vernichtung ganzer Floren und Faunen
mußte der Ansicht weichen, daß bei den langsamen und meist nur localen Aen¬
derungen der Erdoberfläche einzelne Formen endlich ausstarben, andere neue
Wohnplätze fanden, noch andere früher nicht existirende auftauchten, sich mehr¬
ten und verbreiteten. Fiel die plötzliche Vernichtung weg, so wurde auch die
momentane Erschaffung ganzer Floren und Faunen überflüssig, es kam vielmehr
darauf an, zu erklären, auf welche Weise das langsame Aussterben älterer For¬
men, das Auftreten neuer, die Wanderungen der überlebenden in andere Ge¬
biete zu erklären sei. Statt der dramatischen Effecte sollte eine natürlich sich
abwickelnde Geschichte der Vorgänge geschaffen werden, in welcher die Ursachen
und Umstände klar hervortreten mußten. Und so weit es die Geschichte der
Organismen betraf, drängte sich zugleich die merkwürdige Wahrnehmung her¬
vor, daß in dem zeitlichen langsamen Wechsel der Thier- und Pflanzenformen
ein allgemeinesAGesetz waltet. Die nach einander auftretenden Lebensformen,
38."
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |