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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band.

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richtung einer katholischen Universität als unabweisliches Bedürfniß gegenüber
dem Unglauben und vorgeschrittenen Heidenthum unsres Jahrhunderts, und
nach dem Scharfblicke unserer Brandes und Andlaw eignete sich zu dieser Mis¬
sion Niemand besser als die Jesuiten. Als glücklicher Anfang war ihnen durch
die Gunst des ehemaligen Unterrichtsministcrs Leo Thun schon gestattet, eine
eigene theologische Lehranstalt in Innsbruck zu errichten, bisher bestand aber
außer dieser an der dortigen Hochschule blos die philosophische und juridische
Facultät. Durch die Hinzufügung der medicinischen, statt deren nur Chirurgie
gelehrt wurde, gewann sie nicht nur die oft mittellosen Schüler der Heilkunde,
dem Lande selbst mußte, wie der Jesuit P. Johann Wenig, der als diesjäh¬
riger Rector magnificus die Universität im Landtage vertrat, einschmeichelnd
bemerkte, "der Besitz einer vollständigen Hochschule zur Ehre und Auszeichnung
gereichen," selbst "ein kräftiges Aufblühen der ganzen Universität stand daraus
zu erwarten," denn "das wissenschaftliche Streben war hier niemals so rege
als in den Tagen ihrer Vollständigkeit." Die Jesuiten rechneten also darauf,
sie zum Mittelpunkte ihres segensvollen Wirkens für Deutschland zu machen,
und sprachen, um besser durchzudringen, auch die Befürchtung aus, Tirol
möchte bei längerer UnVollständigkeit der Lehranstalt selbe ganz verlieren. "Es
könnte," so lautete die Insinuation, "leicht geschehen, daß die hohe Regierung
in die Lage käme, das opferwillige Anerbieten einer anderen Stadt, z, B. Salz¬
burgs, berücksichtigen zu müssen." Man sollte sich die Augen verschließen, um
nicht einzusehen, daß dies beim gegenwärtigen Ersparungssystem und der "n
Reichsrath gegen die Ultramontanen vorwaltenden Stimmung außer den Gren¬
zen aller Wahrscheinlichkeit lag. Daneben ließ der Mangel an Schülern, deren
es für die Medicin und Chirurgie in Tirol jährlich nur 24--27 gab, so wie
die bei der geringen Anzahl von Kranken und Krankheitsformen voraussichtlich
ungenügende Klinik kein Gedeihen einer Facultät der Heilkunde erwarten.
Allein der Jesuit drang durch, und wenn ihm selbst die Zustimmung einiger
Liberalen nicht fehlte, so lag dies wohl in der Besorgniß des Verlustes der Uni¬
versität und der angeregten Hoffnung auf italienische Borträge einzelner Fächer,
womit man die wenigen Wälschtiroler loderte. So viel dürfte doch feststehen,
daß die innsbrucker Hochschule nie gedeihen wird, so lange an ihr Jesuiten
lehren, es wäre denn im Sinne jener "blühendsten" an den Gestaden des
Nils*), die ja auch noch zu den Traditionen des Mittelalters hält.

Wenn bei diesen Verhandlungen das eigentliche Ziel derjenigen, die sich
berufen fühlen, für das wahre Glück Tirols zu sorgen, nicht berührt, ja nicht
einmal der Name des Erbfeinds, dem man keinen Zoll breit Erde gönnen
wollte, genannt wurde, so lag der Grund wohl in der Ueberzeugung, daß es blos



') El Azhar in Kairo.

richtung einer katholischen Universität als unabweisliches Bedürfniß gegenüber
dem Unglauben und vorgeschrittenen Heidenthum unsres Jahrhunderts, und
nach dem Scharfblicke unserer Brandes und Andlaw eignete sich zu dieser Mis¬
sion Niemand besser als die Jesuiten. Als glücklicher Anfang war ihnen durch
die Gunst des ehemaligen Unterrichtsministcrs Leo Thun schon gestattet, eine
eigene theologische Lehranstalt in Innsbruck zu errichten, bisher bestand aber
außer dieser an der dortigen Hochschule blos die philosophische und juridische
Facultät. Durch die Hinzufügung der medicinischen, statt deren nur Chirurgie
gelehrt wurde, gewann sie nicht nur die oft mittellosen Schüler der Heilkunde,
dem Lande selbst mußte, wie der Jesuit P. Johann Wenig, der als diesjäh¬
riger Rector magnificus die Universität im Landtage vertrat, einschmeichelnd
bemerkte, „der Besitz einer vollständigen Hochschule zur Ehre und Auszeichnung
gereichen," selbst „ein kräftiges Aufblühen der ganzen Universität stand daraus
zu erwarten," denn „das wissenschaftliche Streben war hier niemals so rege
als in den Tagen ihrer Vollständigkeit." Die Jesuiten rechneten also darauf,
sie zum Mittelpunkte ihres segensvollen Wirkens für Deutschland zu machen,
und sprachen, um besser durchzudringen, auch die Befürchtung aus, Tirol
möchte bei längerer UnVollständigkeit der Lehranstalt selbe ganz verlieren. „Es
könnte," so lautete die Insinuation, „leicht geschehen, daß die hohe Regierung
in die Lage käme, das opferwillige Anerbieten einer anderen Stadt, z, B. Salz¬
burgs, berücksichtigen zu müssen." Man sollte sich die Augen verschließen, um
nicht einzusehen, daß dies beim gegenwärtigen Ersparungssystem und der »n
Reichsrath gegen die Ultramontanen vorwaltenden Stimmung außer den Gren¬
zen aller Wahrscheinlichkeit lag. Daneben ließ der Mangel an Schülern, deren
es für die Medicin und Chirurgie in Tirol jährlich nur 24—27 gab, so wie
die bei der geringen Anzahl von Kranken und Krankheitsformen voraussichtlich
ungenügende Klinik kein Gedeihen einer Facultät der Heilkunde erwarten.
Allein der Jesuit drang durch, und wenn ihm selbst die Zustimmung einiger
Liberalen nicht fehlte, so lag dies wohl in der Besorgniß des Verlustes der Uni¬
versität und der angeregten Hoffnung auf italienische Borträge einzelner Fächer,
womit man die wenigen Wälschtiroler loderte. So viel dürfte doch feststehen,
daß die innsbrucker Hochschule nie gedeihen wird, so lange an ihr Jesuiten
lehren, es wäre denn im Sinne jener „blühendsten" an den Gestaden des
Nils*), die ja auch noch zu den Traditionen des Mittelalters hält.

Wenn bei diesen Verhandlungen das eigentliche Ziel derjenigen, die sich
berufen fühlen, für das wahre Glück Tirols zu sorgen, nicht berührt, ja nicht
einmal der Name des Erbfeinds, dem man keinen Zoll breit Erde gönnen
wollte, genannt wurde, so lag der Grund wohl in der Ueberzeugung, daß es blos



') El Azhar in Kairo.
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[0293] richtung einer katholischen Universität als unabweisliches Bedürfniß gegenüber dem Unglauben und vorgeschrittenen Heidenthum unsres Jahrhunderts, und nach dem Scharfblicke unserer Brandes und Andlaw eignete sich zu dieser Mis¬ sion Niemand besser als die Jesuiten. Als glücklicher Anfang war ihnen durch die Gunst des ehemaligen Unterrichtsministcrs Leo Thun schon gestattet, eine eigene theologische Lehranstalt in Innsbruck zu errichten, bisher bestand aber außer dieser an der dortigen Hochschule blos die philosophische und juridische Facultät. Durch die Hinzufügung der medicinischen, statt deren nur Chirurgie gelehrt wurde, gewann sie nicht nur die oft mittellosen Schüler der Heilkunde, dem Lande selbst mußte, wie der Jesuit P. Johann Wenig, der als diesjäh¬ riger Rector magnificus die Universität im Landtage vertrat, einschmeichelnd bemerkte, „der Besitz einer vollständigen Hochschule zur Ehre und Auszeichnung gereichen," selbst „ein kräftiges Aufblühen der ganzen Universität stand daraus zu erwarten," denn „das wissenschaftliche Streben war hier niemals so rege als in den Tagen ihrer Vollständigkeit." Die Jesuiten rechneten also darauf, sie zum Mittelpunkte ihres segensvollen Wirkens für Deutschland zu machen, und sprachen, um besser durchzudringen, auch die Befürchtung aus, Tirol möchte bei längerer UnVollständigkeit der Lehranstalt selbe ganz verlieren. „Es könnte," so lautete die Insinuation, „leicht geschehen, daß die hohe Regierung in die Lage käme, das opferwillige Anerbieten einer anderen Stadt, z, B. Salz¬ burgs, berücksichtigen zu müssen." Man sollte sich die Augen verschließen, um nicht einzusehen, daß dies beim gegenwärtigen Ersparungssystem und der »n Reichsrath gegen die Ultramontanen vorwaltenden Stimmung außer den Gren¬ zen aller Wahrscheinlichkeit lag. Daneben ließ der Mangel an Schülern, deren es für die Medicin und Chirurgie in Tirol jährlich nur 24—27 gab, so wie die bei der geringen Anzahl von Kranken und Krankheitsformen voraussichtlich ungenügende Klinik kein Gedeihen einer Facultät der Heilkunde erwarten. Allein der Jesuit drang durch, und wenn ihm selbst die Zustimmung einiger Liberalen nicht fehlte, so lag dies wohl in der Besorgniß des Verlustes der Uni¬ versität und der angeregten Hoffnung auf italienische Borträge einzelner Fächer, womit man die wenigen Wälschtiroler loderte. So viel dürfte doch feststehen, daß die innsbrucker Hochschule nie gedeihen wird, so lange an ihr Jesuiten lehren, es wäre denn im Sinne jener „blühendsten" an den Gestaden des Nils*), die ja auch noch zu den Traditionen des Mittelalters hält. Wenn bei diesen Verhandlungen das eigentliche Ziel derjenigen, die sich berufen fühlen, für das wahre Glück Tirols zu sorgen, nicht berührt, ja nicht einmal der Name des Erbfeinds, dem man keinen Zoll breit Erde gönnen wollte, genannt wurde, so lag der Grund wohl in der Ueberzeugung, daß es blos ') El Azhar in Kairo.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115393/293>, abgerufen am 22.12.2024.