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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band.

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Es folgten die Jahre 1812 bis 1814. die Durchzüge der französischen
und russischen Heeresmassen; dennoch war die Bevölkerungszahl der Stadt,
als letztere 181S wieder an Preußen kam, schon auf 16,000 Menschen an¬
gewachsen.

Seit der preußischen Occupation sind nun in fast ununterbrochener Reihen¬
folge Jahre des Friedens und Segens gefolgt, welche Handel und Gewerbe
wieder zu hoher Blüthe entwickelt haben. Die Einwohnerzahl ist auf 50,000
angewachsen, von denen V" Deutsche, V" Juden, der Nest Polen sind. Auf
dem Raume der alten Befestigungswerke um die Altstadt, welche aus doppelten
Mauern', Vertheidigungsthürmen und einem tiefen Graben bestanden, hat sich
über die früheren Vorstädte Kundvrf und Se. Martin hinaus die prächtige
Neustadt angebaut, und endlich hat im Jahre 1828 der Bau jenes Gürtels
gewaltiger Festungswerke begonnen, welcher in einem weiten Kreise nicht blos
die ganze langgedehnte Stadt, sondern noch eine bedeutende Fläche von Gärten,
Wiesen und Ackerland umschließt.

Kehren wir noch einmal in die Altstadt zurück. Sie ist reich an eigenthüm¬
lichen Gebäuden. Da ist zunächst das Rathhaus im Spitzbogenstil des sechs¬
zehnten Jahrhunderts erbaut, mit Steinwerk und Zinnen geziert in einem Ge¬
schmack, der an den moskauer Kreml erinnert, und unter der Vorhalle geschmückt
mit Verwilderten, fast unkenntlichen Fresken, den Bildern polnischer Könige.
Leider wurde im folgenden Jahrhundert ein geschmackloser Thurm auf das
Gebäude gesetzt und dieses auf zwei Seiten durch den Anbau von Häusern
entstellt; immer aber bleibt es noch eine architektonische Rarität, wie wir sie
zuweilen in altpolnischen Städten finden, ein Zeugniß reichen, blühenden Ge-
meindelebcns. Am Markt ferner liegt das Palais des Grafen Dzialinski,
den die Polen als ihren künftigen König bezeichnen, der aber zunächst, in¬
folge der bei ihm vorgenommenen Haussuchung steckbrieflich verfolgt, sich auf
flüchtigem Fuße befindet. Sonst versammelten sich um die Mittagsstunde in
dem Portal Arme und Nothleidende in großer Zahl, wie vor den römischen
Klöstern die Pranzatori, um von dem Ueberfluß der gräflichen Tafel gespeist
zu werden. Vis Z, vis dem Palais ist die Hauptwache, aus welcher der bekannte
Militärschriftsteller Rüstow im Sommer 1848, bevor er durch Vermittlung seiner
Geliebten befreit wurde, gefangen faß. Hinter dem dzialinskischen Palais
steigt der mäßige Hügel hinan, der einst das alte Woywodenschloß trug, von
welchem indeß in den Räumen des heutigen Appellationsgerichts kaum die
Grundmauern erhalten sind, während man in den Gärten einiger der an der
Wilhelmstraße gelegenen Häuser noch Reste der alten Umfassungsmauern
erkennt.

Seitwärts und unfern des alten Markes tritt uns. die Straße sperrend,
die Jesuitenkirche mit ihrer reichen Fayade entgegen und neben ihr das ehe-


Es folgten die Jahre 1812 bis 1814. die Durchzüge der französischen
und russischen Heeresmassen; dennoch war die Bevölkerungszahl der Stadt,
als letztere 181S wieder an Preußen kam, schon auf 16,000 Menschen an¬
gewachsen.

Seit der preußischen Occupation sind nun in fast ununterbrochener Reihen¬
folge Jahre des Friedens und Segens gefolgt, welche Handel und Gewerbe
wieder zu hoher Blüthe entwickelt haben. Die Einwohnerzahl ist auf 50,000
angewachsen, von denen V» Deutsche, V» Juden, der Nest Polen sind. Auf
dem Raume der alten Befestigungswerke um die Altstadt, welche aus doppelten
Mauern', Vertheidigungsthürmen und einem tiefen Graben bestanden, hat sich
über die früheren Vorstädte Kundvrf und Se. Martin hinaus die prächtige
Neustadt angebaut, und endlich hat im Jahre 1828 der Bau jenes Gürtels
gewaltiger Festungswerke begonnen, welcher in einem weiten Kreise nicht blos
die ganze langgedehnte Stadt, sondern noch eine bedeutende Fläche von Gärten,
Wiesen und Ackerland umschließt.

Kehren wir noch einmal in die Altstadt zurück. Sie ist reich an eigenthüm¬
lichen Gebäuden. Da ist zunächst das Rathhaus im Spitzbogenstil des sechs¬
zehnten Jahrhunderts erbaut, mit Steinwerk und Zinnen geziert in einem Ge¬
schmack, der an den moskauer Kreml erinnert, und unter der Vorhalle geschmückt
mit Verwilderten, fast unkenntlichen Fresken, den Bildern polnischer Könige.
Leider wurde im folgenden Jahrhundert ein geschmackloser Thurm auf das
Gebäude gesetzt und dieses auf zwei Seiten durch den Anbau von Häusern
entstellt; immer aber bleibt es noch eine architektonische Rarität, wie wir sie
zuweilen in altpolnischen Städten finden, ein Zeugniß reichen, blühenden Ge-
meindelebcns. Am Markt ferner liegt das Palais des Grafen Dzialinski,
den die Polen als ihren künftigen König bezeichnen, der aber zunächst, in¬
folge der bei ihm vorgenommenen Haussuchung steckbrieflich verfolgt, sich auf
flüchtigem Fuße befindet. Sonst versammelten sich um die Mittagsstunde in
dem Portal Arme und Nothleidende in großer Zahl, wie vor den römischen
Klöstern die Pranzatori, um von dem Ueberfluß der gräflichen Tafel gespeist
zu werden. Vis Z, vis dem Palais ist die Hauptwache, aus welcher der bekannte
Militärschriftsteller Rüstow im Sommer 1848, bevor er durch Vermittlung seiner
Geliebten befreit wurde, gefangen faß. Hinter dem dzialinskischen Palais
steigt der mäßige Hügel hinan, der einst das alte Woywodenschloß trug, von
welchem indeß in den Räumen des heutigen Appellationsgerichts kaum die
Grundmauern erhalten sind, während man in den Gärten einiger der an der
Wilhelmstraße gelegenen Häuser noch Reste der alten Umfassungsmauern
erkennt.

Seitwärts und unfern des alten Markes tritt uns. die Straße sperrend,
die Jesuitenkirche mit ihrer reichen Fayade entgegen und neben ihr das ehe-


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[0264] Es folgten die Jahre 1812 bis 1814. die Durchzüge der französischen und russischen Heeresmassen; dennoch war die Bevölkerungszahl der Stadt, als letztere 181S wieder an Preußen kam, schon auf 16,000 Menschen an¬ gewachsen. Seit der preußischen Occupation sind nun in fast ununterbrochener Reihen¬ folge Jahre des Friedens und Segens gefolgt, welche Handel und Gewerbe wieder zu hoher Blüthe entwickelt haben. Die Einwohnerzahl ist auf 50,000 angewachsen, von denen V» Deutsche, V» Juden, der Nest Polen sind. Auf dem Raume der alten Befestigungswerke um die Altstadt, welche aus doppelten Mauern', Vertheidigungsthürmen und einem tiefen Graben bestanden, hat sich über die früheren Vorstädte Kundvrf und Se. Martin hinaus die prächtige Neustadt angebaut, und endlich hat im Jahre 1828 der Bau jenes Gürtels gewaltiger Festungswerke begonnen, welcher in einem weiten Kreise nicht blos die ganze langgedehnte Stadt, sondern noch eine bedeutende Fläche von Gärten, Wiesen und Ackerland umschließt. Kehren wir noch einmal in die Altstadt zurück. Sie ist reich an eigenthüm¬ lichen Gebäuden. Da ist zunächst das Rathhaus im Spitzbogenstil des sechs¬ zehnten Jahrhunderts erbaut, mit Steinwerk und Zinnen geziert in einem Ge¬ schmack, der an den moskauer Kreml erinnert, und unter der Vorhalle geschmückt mit Verwilderten, fast unkenntlichen Fresken, den Bildern polnischer Könige. Leider wurde im folgenden Jahrhundert ein geschmackloser Thurm auf das Gebäude gesetzt und dieses auf zwei Seiten durch den Anbau von Häusern entstellt; immer aber bleibt es noch eine architektonische Rarität, wie wir sie zuweilen in altpolnischen Städten finden, ein Zeugniß reichen, blühenden Ge- meindelebcns. Am Markt ferner liegt das Palais des Grafen Dzialinski, den die Polen als ihren künftigen König bezeichnen, der aber zunächst, in¬ folge der bei ihm vorgenommenen Haussuchung steckbrieflich verfolgt, sich auf flüchtigem Fuße befindet. Sonst versammelten sich um die Mittagsstunde in dem Portal Arme und Nothleidende in großer Zahl, wie vor den römischen Klöstern die Pranzatori, um von dem Ueberfluß der gräflichen Tafel gespeist zu werden. Vis Z, vis dem Palais ist die Hauptwache, aus welcher der bekannte Militärschriftsteller Rüstow im Sommer 1848, bevor er durch Vermittlung seiner Geliebten befreit wurde, gefangen faß. Hinter dem dzialinskischen Palais steigt der mäßige Hügel hinan, der einst das alte Woywodenschloß trug, von welchem indeß in den Räumen des heutigen Appellationsgerichts kaum die Grundmauern erhalten sind, während man in den Gärten einiger der an der Wilhelmstraße gelegenen Häuser noch Reste der alten Umfassungsmauern erkennt. Seitwärts und unfern des alten Markes tritt uns. die Straße sperrend, die Jesuitenkirche mit ihrer reichen Fayade entgegen und neben ihr das ehe-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115393/264>, abgerufen am 28.07.2024.