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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band.

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lands nicht so gefährdet, als jetzt, alle höchsten Interessen der Nation sind in
einer Krisis, welche dem Einzelnen wohl die heitere Laune verscheuchen und
trübe Auffassungen der Zukunft rechtfertigen können.

Ist es Leichtsinn, ist es Theilnahmlosigkeit und Verblendung, ist es ein
Taumel, welcher den Deutschen bei so düster bewölktem Himmel alle Empfin¬
dung einer sonnigen Festfreude gibt?

Freilich, wer näher zusieht, wird hinter jedem Feste, dem Hochrufen, Sin¬
gen und Toasten einen einheitlichen Zug und sehr ernsten Hintergrund finden,
und er wird in-der Haltung des Lottes, in seinen zahlreichen, schwer auf¬
zuzählenden Vereinigungen einen idealen Inhalt finden, der ebenso ungewöhn¬
lich ist, als die Lage der Nation, dessen Einfluß auf die nächste politische Zu¬
kunft des Staates man allerdings leicht überschätzen kann, dessen Bedeutung
für Bildung des Volkscharakters aber gar nicht hoch genug angeschlagen wer¬
den kann.

Es ist ein unschuldiges, jugendliches Selbstgefühl, es ist der erste fröh¬
liche Drang aus dem Privatleben herauszugehen, welcher hunderttausend Ein¬
zelne ergriffen hat. Und von diesem Gesichtspunkt ist jedes Fest ein Fortschritt,
welchen die Deutschen machen, bei jedem werden zahlreiche Einzelne über die
beschränkten Anschauungen ihres kleinen Kreises erhoben, mit Ideen erfüllt,
mit ihren Führern in nähere Verbindung gebracht. Denn was die moderne
Geselligkeit der deutschen Feste auszeichnet, ist zuletzt gerade die schöne unüber¬
treffliche Mischung von Heiterkeit und Ernst, welche unserer Art zum Vorzug
gereicht. Das innige Hingeben an die ethische Bedeutung des Festes, Takt
und kluges Maaß, welche dabei zur Erscheinung kommen. Jede Versammlung
von zehntausend Schützen, von zwanzigtausend Turnern ist nicht nur eine sieg¬
reiche Schlacht gegen die Tradition des alten Polizeistaats, der Machtlos solchem
Zusammenfluß zugereister Landsleute gegenübersteht, es ist zu gleicher Zeit die
Einführung höherer Staatsbildungen in das Volksleben, des Selbstregimentes,
der Gewöhnung des Einzelnen an ein großes Zusammenwirken und der Zucht
dafür. Und in diesem Sinne sagt die Behauptung nicht zu viel, daß die
Deutschen gegenwärtig dabei sind, sich in der gehobenen Stimmung ihrer Feste,
unter Gesang und Hochrufen ihren Staat zu gründen.

Allerdings ist es mit Hurrahruf und Festrede noch nicht gethan; und es
wird zuweilen den heiter Bewegten bereits vorgehalten, daß gar nichts erreicht
sei, wenn man seine nationalen Gefühle im Festrausch ausklingen lasse, um
dann in der Heimath im alten Schlendrian fortzuleben. Aber es hat mit dem
Zuviel des fröhlichen Schwärmens auch keine Gefahr.

Schon jetzt ist vorauszusehen, daß die größten dieser Feste sehr bald eine
Umformung und Beschränkung erfahren müssen, noch leg'en sie den Städten, in
denen sie begangen werden, unverhältnißmäßige Opfer auf, man wird zunächst


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lands nicht so gefährdet, als jetzt, alle höchsten Interessen der Nation sind in
einer Krisis, welche dem Einzelnen wohl die heitere Laune verscheuchen und
trübe Auffassungen der Zukunft rechtfertigen können.

Ist es Leichtsinn, ist es Theilnahmlosigkeit und Verblendung, ist es ein
Taumel, welcher den Deutschen bei so düster bewölktem Himmel alle Empfin¬
dung einer sonnigen Festfreude gibt?

Freilich, wer näher zusieht, wird hinter jedem Feste, dem Hochrufen, Sin¬
gen und Toasten einen einheitlichen Zug und sehr ernsten Hintergrund finden,
und er wird in-der Haltung des Lottes, in seinen zahlreichen, schwer auf¬
zuzählenden Vereinigungen einen idealen Inhalt finden, der ebenso ungewöhn¬
lich ist, als die Lage der Nation, dessen Einfluß auf die nächste politische Zu¬
kunft des Staates man allerdings leicht überschätzen kann, dessen Bedeutung
für Bildung des Volkscharakters aber gar nicht hoch genug angeschlagen wer¬
den kann.

Es ist ein unschuldiges, jugendliches Selbstgefühl, es ist der erste fröh¬
liche Drang aus dem Privatleben herauszugehen, welcher hunderttausend Ein¬
zelne ergriffen hat. Und von diesem Gesichtspunkt ist jedes Fest ein Fortschritt,
welchen die Deutschen machen, bei jedem werden zahlreiche Einzelne über die
beschränkten Anschauungen ihres kleinen Kreises erhoben, mit Ideen erfüllt,
mit ihren Führern in nähere Verbindung gebracht. Denn was die moderne
Geselligkeit der deutschen Feste auszeichnet, ist zuletzt gerade die schöne unüber¬
treffliche Mischung von Heiterkeit und Ernst, welche unserer Art zum Vorzug
gereicht. Das innige Hingeben an die ethische Bedeutung des Festes, Takt
und kluges Maaß, welche dabei zur Erscheinung kommen. Jede Versammlung
von zehntausend Schützen, von zwanzigtausend Turnern ist nicht nur eine sieg¬
reiche Schlacht gegen die Tradition des alten Polizeistaats, der Machtlos solchem
Zusammenfluß zugereister Landsleute gegenübersteht, es ist zu gleicher Zeit die
Einführung höherer Staatsbildungen in das Volksleben, des Selbstregimentes,
der Gewöhnung des Einzelnen an ein großes Zusammenwirken und der Zucht
dafür. Und in diesem Sinne sagt die Behauptung nicht zu viel, daß die
Deutschen gegenwärtig dabei sind, sich in der gehobenen Stimmung ihrer Feste,
unter Gesang und Hochrufen ihren Staat zu gründen.

Allerdings ist es mit Hurrahruf und Festrede noch nicht gethan; und es
wird zuweilen den heiter Bewegten bereits vorgehalten, daß gar nichts erreicht
sei, wenn man seine nationalen Gefühle im Festrausch ausklingen lasse, um
dann in der Heimath im alten Schlendrian fortzuleben. Aber es hat mit dem
Zuviel des fröhlichen Schwärmens auch keine Gefahr.

Schon jetzt ist vorauszusehen, daß die größten dieser Feste sehr bald eine
Umformung und Beschränkung erfahren müssen, noch leg'en sie den Städten, in
denen sie begangen werden, unverhältnißmäßige Opfer auf, man wird zunächst


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[0243] lands nicht so gefährdet, als jetzt, alle höchsten Interessen der Nation sind in einer Krisis, welche dem Einzelnen wohl die heitere Laune verscheuchen und trübe Auffassungen der Zukunft rechtfertigen können. Ist es Leichtsinn, ist es Theilnahmlosigkeit und Verblendung, ist es ein Taumel, welcher den Deutschen bei so düster bewölktem Himmel alle Empfin¬ dung einer sonnigen Festfreude gibt? Freilich, wer näher zusieht, wird hinter jedem Feste, dem Hochrufen, Sin¬ gen und Toasten einen einheitlichen Zug und sehr ernsten Hintergrund finden, und er wird in-der Haltung des Lottes, in seinen zahlreichen, schwer auf¬ zuzählenden Vereinigungen einen idealen Inhalt finden, der ebenso ungewöhn¬ lich ist, als die Lage der Nation, dessen Einfluß auf die nächste politische Zu¬ kunft des Staates man allerdings leicht überschätzen kann, dessen Bedeutung für Bildung des Volkscharakters aber gar nicht hoch genug angeschlagen wer¬ den kann. Es ist ein unschuldiges, jugendliches Selbstgefühl, es ist der erste fröh¬ liche Drang aus dem Privatleben herauszugehen, welcher hunderttausend Ein¬ zelne ergriffen hat. Und von diesem Gesichtspunkt ist jedes Fest ein Fortschritt, welchen die Deutschen machen, bei jedem werden zahlreiche Einzelne über die beschränkten Anschauungen ihres kleinen Kreises erhoben, mit Ideen erfüllt, mit ihren Führern in nähere Verbindung gebracht. Denn was die moderne Geselligkeit der deutschen Feste auszeichnet, ist zuletzt gerade die schöne unüber¬ treffliche Mischung von Heiterkeit und Ernst, welche unserer Art zum Vorzug gereicht. Das innige Hingeben an die ethische Bedeutung des Festes, Takt und kluges Maaß, welche dabei zur Erscheinung kommen. Jede Versammlung von zehntausend Schützen, von zwanzigtausend Turnern ist nicht nur eine sieg¬ reiche Schlacht gegen die Tradition des alten Polizeistaats, der Machtlos solchem Zusammenfluß zugereister Landsleute gegenübersteht, es ist zu gleicher Zeit die Einführung höherer Staatsbildungen in das Volksleben, des Selbstregimentes, der Gewöhnung des Einzelnen an ein großes Zusammenwirken und der Zucht dafür. Und in diesem Sinne sagt die Behauptung nicht zu viel, daß die Deutschen gegenwärtig dabei sind, sich in der gehobenen Stimmung ihrer Feste, unter Gesang und Hochrufen ihren Staat zu gründen. Allerdings ist es mit Hurrahruf und Festrede noch nicht gethan; und es wird zuweilen den heiter Bewegten bereits vorgehalten, daß gar nichts erreicht sei, wenn man seine nationalen Gefühle im Festrausch ausklingen lasse, um dann in der Heimath im alten Schlendrian fortzuleben. Aber es hat mit dem Zuviel des fröhlichen Schwärmens auch keine Gefahr. Schon jetzt ist vorauszusehen, daß die größten dieser Feste sehr bald eine Umformung und Beschränkung erfahren müssen, noch leg'en sie den Städten, in denen sie begangen werden, unverhältnißmäßige Opfer auf, man wird zunächst 30"

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115393/243>, abgerufen am 28.07.2024.