Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Excellenz in Tausenden von Exemplaren an den Tafeln vertheilt wurde, den pikan¬
ten Gegensatz zwischen der bisherigen politischen Haltung des Ministers und dem
Geiste hervor, der das Fest geschaffen. Vollkommen der Wahrheit gemäß wurde
darin behauptet, daß Sachsen unter dem Ministerium Beust (freilich nicht allein
durch dessen, sondern zur andern Hälfte durch des Volkes Schuld) politisch tiefer
herabgekommen ist, als Kurhessen unter Hassenpflug, daß es keine Volksvertre¬
tung, sondern nur eine Ständeversammlung besitzt, die nach Principien, welche
in allen civilistrten Ländern, Mecklenburg etwa ausgenommen, längst gerichtet
sind, zusammengesetzt ist, und in deren zweiter Kammer der große und kleine
Bauer den Ausschlag gibt. Was von dem freien Worte zu halten, welches die
ministerielle Festrede in Sachsen gesichert sah, wollen wir dahingestellt sein lassen.
Es mag jetzt nicht übel damit bestellt sein, wo Dame Saxonia sich mit dem
bismartschen Preußen vergleichen und schön finden kann, die Praxis ist über¬
haupt immer von leidlicher Milde gewesen, das Preßgesetz aber steht ungefähr
Auf gleicher Höhe wie das Wahlgesetz. Stellen wir endlich die Politik des Herrn
v. Beust in der deutschen Frage neben den Gedanken der Einheit Deutschlands,
wie er in unsern großen Festen gefeiert und gepflegt wird, so genügt es, den
Namen des Ministers zu nennen, um jeden Ernsthaften mit kühlem stummem
Achselzucken vor dem Eingehen auf irgendwelche Pläne desselben zurücktreten
zu lassen.

Montag früh sammelten sich die verschiedenen Kreise und Vereine der Turner
zum großen Festzug durch die Stadt nach dem an der zeitzer Chaussee gelegenen
Fcsiplatz. Geraume Zeit verging, ehe die Massen sich geordnet hatten, obwohl alle
Einrichtungen mit der Genauigkeit von Theilen einer Maschine in einander
griffen und jede Weisung prompt wie von langgeübten Truppen ausgeführt
wurde. Inzwischen füllten sich die Fenster der Stadt, die zahlreichen Erker oder
Altane allenthalben mit Zuschauern, vorzüglich mit Damen im besten Putz.
Aus dem Balkon am Thurm des Rathhauses nahm der Magistrat Platz, an
der Spitze der Bürgermeister, der eine weithin sichtbare schwarzrothgoldne
Schärpe trug.

Der Zug des Turnerheeres -- es war stärker als bis vor wenig Jahren
die gesammte königlich sächsische Armee auf Kriegsfuß --- sollte durch die
Hauptstraßen der Stadt im Zickzack gehen. Gegen ein Uhr Mittags verkün¬
deten Trompeten sein Herannahen von der Hainstraße nach dem Markte hin.
Ein schwarzer Volksschwarm voran, dann eine Rotte grauer Jacken, um sieben
Mann breit durch die Zuschaucrmasse Bahn zu brechen, dann zwölf berittene
Trompeter in Turneranzug, kam es, von donnernden Lebehochs empfangen,
raschen Schrittes um die Ecke. Hurrah und abermals Hurrcch! Tausende von
weißen Taschentüchern wehen, die Damen werfen Blumen und grüne Zweige,
die Sonne gießt ihr hellstes Licht über die Scene aus. Fahnenschwenker Wind


Excellenz in Tausenden von Exemplaren an den Tafeln vertheilt wurde, den pikan¬
ten Gegensatz zwischen der bisherigen politischen Haltung des Ministers und dem
Geiste hervor, der das Fest geschaffen. Vollkommen der Wahrheit gemäß wurde
darin behauptet, daß Sachsen unter dem Ministerium Beust (freilich nicht allein
durch dessen, sondern zur andern Hälfte durch des Volkes Schuld) politisch tiefer
herabgekommen ist, als Kurhessen unter Hassenpflug, daß es keine Volksvertre¬
tung, sondern nur eine Ständeversammlung besitzt, die nach Principien, welche
in allen civilistrten Ländern, Mecklenburg etwa ausgenommen, längst gerichtet
sind, zusammengesetzt ist, und in deren zweiter Kammer der große und kleine
Bauer den Ausschlag gibt. Was von dem freien Worte zu halten, welches die
ministerielle Festrede in Sachsen gesichert sah, wollen wir dahingestellt sein lassen.
Es mag jetzt nicht übel damit bestellt sein, wo Dame Saxonia sich mit dem
bismartschen Preußen vergleichen und schön finden kann, die Praxis ist über¬
haupt immer von leidlicher Milde gewesen, das Preßgesetz aber steht ungefähr
Auf gleicher Höhe wie das Wahlgesetz. Stellen wir endlich die Politik des Herrn
v. Beust in der deutschen Frage neben den Gedanken der Einheit Deutschlands,
wie er in unsern großen Festen gefeiert und gepflegt wird, so genügt es, den
Namen des Ministers zu nennen, um jeden Ernsthaften mit kühlem stummem
Achselzucken vor dem Eingehen auf irgendwelche Pläne desselben zurücktreten
zu lassen.

Montag früh sammelten sich die verschiedenen Kreise und Vereine der Turner
zum großen Festzug durch die Stadt nach dem an der zeitzer Chaussee gelegenen
Fcsiplatz. Geraume Zeit verging, ehe die Massen sich geordnet hatten, obwohl alle
Einrichtungen mit der Genauigkeit von Theilen einer Maschine in einander
griffen und jede Weisung prompt wie von langgeübten Truppen ausgeführt
wurde. Inzwischen füllten sich die Fenster der Stadt, die zahlreichen Erker oder
Altane allenthalben mit Zuschauern, vorzüglich mit Damen im besten Putz.
Aus dem Balkon am Thurm des Rathhauses nahm der Magistrat Platz, an
der Spitze der Bürgermeister, der eine weithin sichtbare schwarzrothgoldne
Schärpe trug.

Der Zug des Turnerheeres — es war stärker als bis vor wenig Jahren
die gesammte königlich sächsische Armee auf Kriegsfuß —- sollte durch die
Hauptstraßen der Stadt im Zickzack gehen. Gegen ein Uhr Mittags verkün¬
deten Trompeten sein Herannahen von der Hainstraße nach dem Markte hin.
Ein schwarzer Volksschwarm voran, dann eine Rotte grauer Jacken, um sieben
Mann breit durch die Zuschaucrmasse Bahn zu brechen, dann zwölf berittene
Trompeter in Turneranzug, kam es, von donnernden Lebehochs empfangen,
raschen Schrittes um die Ecke. Hurrah und abermals Hurrcch! Tausende von
weißen Taschentüchern wehen, die Damen werfen Blumen und grüne Zweige,
die Sonne gießt ihr hellstes Licht über die Scene aus. Fahnenschwenker Wind


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0219" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/115609"/>
            <p xml:id="ID_584" prev="#ID_583"> Excellenz in Tausenden von Exemplaren an den Tafeln vertheilt wurde, den pikan¬<lb/>
ten Gegensatz zwischen der bisherigen politischen Haltung des Ministers und dem<lb/>
Geiste hervor, der das Fest geschaffen. Vollkommen der Wahrheit gemäß wurde<lb/>
darin behauptet, daß Sachsen unter dem Ministerium Beust (freilich nicht allein<lb/>
durch dessen, sondern zur andern Hälfte durch des Volkes Schuld) politisch tiefer<lb/>
herabgekommen ist, als Kurhessen unter Hassenpflug, daß es keine Volksvertre¬<lb/>
tung, sondern nur eine Ständeversammlung besitzt, die nach Principien, welche<lb/>
in allen civilistrten Ländern, Mecklenburg etwa ausgenommen, längst gerichtet<lb/>
sind, zusammengesetzt ist, und in deren zweiter Kammer der große und kleine<lb/>
Bauer den Ausschlag gibt. Was von dem freien Worte zu halten, welches die<lb/>
ministerielle Festrede in Sachsen gesichert sah, wollen wir dahingestellt sein lassen.<lb/>
Es mag jetzt nicht übel damit bestellt sein, wo Dame Saxonia sich mit dem<lb/>
bismartschen Preußen vergleichen und schön finden kann, die Praxis ist über¬<lb/>
haupt immer von leidlicher Milde gewesen, das Preßgesetz aber steht ungefähr<lb/>
Auf gleicher Höhe wie das Wahlgesetz. Stellen wir endlich die Politik des Herrn<lb/>
v. Beust in der deutschen Frage neben den Gedanken der Einheit Deutschlands,<lb/>
wie er in unsern großen Festen gefeiert und gepflegt wird, so genügt es, den<lb/>
Namen des Ministers zu nennen, um jeden Ernsthaften mit kühlem stummem<lb/>
Achselzucken vor dem Eingehen auf irgendwelche Pläne desselben zurücktreten<lb/>
zu lassen.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_585"> Montag früh sammelten sich die verschiedenen Kreise und Vereine der Turner<lb/>
zum großen Festzug durch die Stadt nach dem an der zeitzer Chaussee gelegenen<lb/>
Fcsiplatz. Geraume Zeit verging, ehe die Massen sich geordnet hatten, obwohl alle<lb/>
Einrichtungen mit der Genauigkeit von Theilen einer Maschine in einander<lb/>
griffen und jede Weisung prompt wie von langgeübten Truppen ausgeführt<lb/>
wurde. Inzwischen füllten sich die Fenster der Stadt, die zahlreichen Erker oder<lb/>
Altane allenthalben mit Zuschauern, vorzüglich mit Damen im besten Putz.<lb/>
Aus dem Balkon am Thurm des Rathhauses nahm der Magistrat Platz, an<lb/>
der Spitze der Bürgermeister, der eine weithin sichtbare schwarzrothgoldne<lb/>
Schärpe trug.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_586" next="#ID_587"> Der Zug des Turnerheeres &#x2014; es war stärker als bis vor wenig Jahren<lb/>
die gesammte königlich sächsische Armee auf Kriegsfuß &#x2014;- sollte durch die<lb/>
Hauptstraßen der Stadt im Zickzack gehen. Gegen ein Uhr Mittags verkün¬<lb/>
deten Trompeten sein Herannahen von der Hainstraße nach dem Markte hin.<lb/>
Ein schwarzer Volksschwarm voran, dann eine Rotte grauer Jacken, um sieben<lb/>
Mann breit durch die Zuschaucrmasse Bahn zu brechen, dann zwölf berittene<lb/>
Trompeter in Turneranzug, kam es, von donnernden Lebehochs empfangen,<lb/>
raschen Schrittes um die Ecke. Hurrah und abermals Hurrcch! Tausende von<lb/>
weißen Taschentüchern wehen, die Damen werfen Blumen und grüne Zweige,<lb/>
die Sonne gießt ihr hellstes Licht über die Scene aus. Fahnenschwenker Wind</p><lb/>
            <fw type="sig" place="bottom"/><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0219] Excellenz in Tausenden von Exemplaren an den Tafeln vertheilt wurde, den pikan¬ ten Gegensatz zwischen der bisherigen politischen Haltung des Ministers und dem Geiste hervor, der das Fest geschaffen. Vollkommen der Wahrheit gemäß wurde darin behauptet, daß Sachsen unter dem Ministerium Beust (freilich nicht allein durch dessen, sondern zur andern Hälfte durch des Volkes Schuld) politisch tiefer herabgekommen ist, als Kurhessen unter Hassenpflug, daß es keine Volksvertre¬ tung, sondern nur eine Ständeversammlung besitzt, die nach Principien, welche in allen civilistrten Ländern, Mecklenburg etwa ausgenommen, längst gerichtet sind, zusammengesetzt ist, und in deren zweiter Kammer der große und kleine Bauer den Ausschlag gibt. Was von dem freien Worte zu halten, welches die ministerielle Festrede in Sachsen gesichert sah, wollen wir dahingestellt sein lassen. Es mag jetzt nicht übel damit bestellt sein, wo Dame Saxonia sich mit dem bismartschen Preußen vergleichen und schön finden kann, die Praxis ist über¬ haupt immer von leidlicher Milde gewesen, das Preßgesetz aber steht ungefähr Auf gleicher Höhe wie das Wahlgesetz. Stellen wir endlich die Politik des Herrn v. Beust in der deutschen Frage neben den Gedanken der Einheit Deutschlands, wie er in unsern großen Festen gefeiert und gepflegt wird, so genügt es, den Namen des Ministers zu nennen, um jeden Ernsthaften mit kühlem stummem Achselzucken vor dem Eingehen auf irgendwelche Pläne desselben zurücktreten zu lassen. Montag früh sammelten sich die verschiedenen Kreise und Vereine der Turner zum großen Festzug durch die Stadt nach dem an der zeitzer Chaussee gelegenen Fcsiplatz. Geraume Zeit verging, ehe die Massen sich geordnet hatten, obwohl alle Einrichtungen mit der Genauigkeit von Theilen einer Maschine in einander griffen und jede Weisung prompt wie von langgeübten Truppen ausgeführt wurde. Inzwischen füllten sich die Fenster der Stadt, die zahlreichen Erker oder Altane allenthalben mit Zuschauern, vorzüglich mit Damen im besten Putz. Aus dem Balkon am Thurm des Rathhauses nahm der Magistrat Platz, an der Spitze der Bürgermeister, der eine weithin sichtbare schwarzrothgoldne Schärpe trug. Der Zug des Turnerheeres — es war stärker als bis vor wenig Jahren die gesammte königlich sächsische Armee auf Kriegsfuß —- sollte durch die Hauptstraßen der Stadt im Zickzack gehen. Gegen ein Uhr Mittags verkün¬ deten Trompeten sein Herannahen von der Hainstraße nach dem Markte hin. Ein schwarzer Volksschwarm voran, dann eine Rotte grauer Jacken, um sieben Mann breit durch die Zuschaucrmasse Bahn zu brechen, dann zwölf berittene Trompeter in Turneranzug, kam es, von donnernden Lebehochs empfangen, raschen Schrittes um die Ecke. Hurrah und abermals Hurrcch! Tausende von weißen Taschentüchern wehen, die Damen werfen Blumen und grüne Zweige, die Sonne gießt ihr hellstes Licht über die Scene aus. Fahnenschwenker Wind

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115393
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115393/219
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115393/219>, abgerufen am 28.07.2024.