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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band.

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Böhmen auf sich geladen haben, indem sie diesen Helden verdarben. Seine
große Idee der Durchbildung Böhmens mittels ^des Fermentes der deutschen
Bürgerkraft ist zwar nicht mit ihm untergegangen, aber sie mußte zunächst durch
eine schlimme Zeit hindurch gefristet werden. Ein Glück, daß die letzten Pre-
misliden die Absicht ihres großen Ahnen wenigstens als einen Gegenstand der
Pietät achteten, so wenig sie auch darnach angethan waren, sie würdig zu ver¬
vollkommnen. Denn unter Wenzel dem Zweiten und Dritten sehen wir, unter¬
stützt von der Ermattung, die über Böhmen gekommen war, den hohen Adel
auf die große Tragödie der Jüngstvergangenheit das übermüthigste Satyrspiel
feiern.

In der vorausgehenden Zeit aber hatte sich die Anschauung festgesetzt, daß
die Adelswürde ihren Maßstab in dem Bestand des Grundbesitzes der Familien
habe. Der außerordentlich häufige Besitzwechsel beim liegenden Eigenthum,
welchen die otokarische Zeit zur Folge hatte, stellte sich besonders in der Riva¬
lität der Ritterschaft (der Vladyken) mit dem altfürstlichen Adel (den Banner¬
herren. Slachatuici) dar. ein Umstand, dessen gefährliche Seite das Königthum
zwar nicht gleich, aber dann in um so klugerer Weise zu seinem Vortheile zu
wenden verstand. Denn als nach der liederlichen Regierung des ersten Luxem¬
burgers Johann der nüchterne Karl das Reich antrat, wurden diese Zustände
mit richtigem Takte dergestalt rechtlich sixirt, daß die Formen des deutschen
Lehnsystems auf sie paßten. Damit war eine neue Grundlage für die Stellung
des Königthums in Böhmen gewonnen; eine präcise Wechselseitigkeit von
Pflichten und Rechten zwischen Fürst und Adel, stark und geräuschlos gehand¬
habt von dem verschlagenen Karl. Namentlich die durch die feste Form der
Heerfolge erneute Sicherung der königlichen Macht sah er als einen Gewinn
an. der für die Gefahren des Aequivalentes nach der andern Seite, der Aus¬
bildung nämlich des Patrimonialrechtswesens reichlich entschädigen sollte. Diese
verhängnißvolle Zuversicht, die im Laufe der späteren Jahrhunderte schrecklich
Lügen gestraft worden ist. war damals zu entschuldigen, wo das junge Bür-
gerthum infolge des Zusammentreffens glücklicher Umstände, zu denen vor Allem
die durch deutschen Fleiß zu ungeahntem Maße gesteigerte Ausgiebigkeit des
Bergbaues gehört, in höchster materieller Blüthe stand. Denn indem es einer¬
seits durch die erfolgreiche Behauptung der Reichsstandschaft, des königlichen
Geschenks Premisl Otokars. sich als starker politischer Factor äußerte, andrer¬
seits aber vermöge der Ausbreitung des Grundbesitzes seinen engen Zusammen¬
hang mit den bäuerlichen Interessen zeigte, schien hinlängliche Sicherheit dafür
vorhanden, daß in ihm ein dauernder und kräftiger Widerhalt gegen die Berknech-
tung des niederen Volkes gewonnen sei. Alle die tiefgreifenden Umgestaltungen
und die allen anderen Fürsten hochgefährlichen praktischen Revisionen, wie sie
Karl insbesondere mit den Krondomänen vornahm, haben sich ruhig vollzogen


Böhmen auf sich geladen haben, indem sie diesen Helden verdarben. Seine
große Idee der Durchbildung Böhmens mittels ^des Fermentes der deutschen
Bürgerkraft ist zwar nicht mit ihm untergegangen, aber sie mußte zunächst durch
eine schlimme Zeit hindurch gefristet werden. Ein Glück, daß die letzten Pre-
misliden die Absicht ihres großen Ahnen wenigstens als einen Gegenstand der
Pietät achteten, so wenig sie auch darnach angethan waren, sie würdig zu ver¬
vollkommnen. Denn unter Wenzel dem Zweiten und Dritten sehen wir, unter¬
stützt von der Ermattung, die über Böhmen gekommen war, den hohen Adel
auf die große Tragödie der Jüngstvergangenheit das übermüthigste Satyrspiel
feiern.

In der vorausgehenden Zeit aber hatte sich die Anschauung festgesetzt, daß
die Adelswürde ihren Maßstab in dem Bestand des Grundbesitzes der Familien
habe. Der außerordentlich häufige Besitzwechsel beim liegenden Eigenthum,
welchen die otokarische Zeit zur Folge hatte, stellte sich besonders in der Riva¬
lität der Ritterschaft (der Vladyken) mit dem altfürstlichen Adel (den Banner¬
herren. Slachatuici) dar. ein Umstand, dessen gefährliche Seite das Königthum
zwar nicht gleich, aber dann in um so klugerer Weise zu seinem Vortheile zu
wenden verstand. Denn als nach der liederlichen Regierung des ersten Luxem¬
burgers Johann der nüchterne Karl das Reich antrat, wurden diese Zustände
mit richtigem Takte dergestalt rechtlich sixirt, daß die Formen des deutschen
Lehnsystems auf sie paßten. Damit war eine neue Grundlage für die Stellung
des Königthums in Böhmen gewonnen; eine präcise Wechselseitigkeit von
Pflichten und Rechten zwischen Fürst und Adel, stark und geräuschlos gehand¬
habt von dem verschlagenen Karl. Namentlich die durch die feste Form der
Heerfolge erneute Sicherung der königlichen Macht sah er als einen Gewinn
an. der für die Gefahren des Aequivalentes nach der andern Seite, der Aus¬
bildung nämlich des Patrimonialrechtswesens reichlich entschädigen sollte. Diese
verhängnißvolle Zuversicht, die im Laufe der späteren Jahrhunderte schrecklich
Lügen gestraft worden ist. war damals zu entschuldigen, wo das junge Bür-
gerthum infolge des Zusammentreffens glücklicher Umstände, zu denen vor Allem
die durch deutschen Fleiß zu ungeahntem Maße gesteigerte Ausgiebigkeit des
Bergbaues gehört, in höchster materieller Blüthe stand. Denn indem es einer¬
seits durch die erfolgreiche Behauptung der Reichsstandschaft, des königlichen
Geschenks Premisl Otokars. sich als starker politischer Factor äußerte, andrer¬
seits aber vermöge der Ausbreitung des Grundbesitzes seinen engen Zusammen¬
hang mit den bäuerlichen Interessen zeigte, schien hinlängliche Sicherheit dafür
vorhanden, daß in ihm ein dauernder und kräftiger Widerhalt gegen die Berknech-
tung des niederen Volkes gewonnen sei. Alle die tiefgreifenden Umgestaltungen
und die allen anderen Fürsten hochgefährlichen praktischen Revisionen, wie sie
Karl insbesondere mit den Krondomänen vornahm, haben sich ruhig vollzogen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115393/191>, abgerufen am 28.07.2024.