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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band.

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warf: "Bei mir muß das Alles einmal von Silber sein" und die Mutter ruhig
erwiederte: "Wenn Du's kannst, mir soll es recht sein," so wurde ihm in spcr-
terer Zeit diese frühe Auffassung von Menschengröße zuweilen vorgehalten, als
seine Ansicht über die sociale Bedeutung silberner Theekessel eine auffallend an¬
dere geworden war.

Der Knabe besuchte das Gymnasium zu Coburg; während der Sommer¬
ferien trieb er's gern auf dem Lande, auf dem Gute der Eltern, in der Wirth¬
schaft, in Wald und Wiese des schönen fränkischen Hügellandes; er hatte Freude
an der Jagd, erlangte früh gute Uebung darin und kräftigte seinen Körper
durch solche Anstrengungen.

Im Jahre 1805 bezog der achtzehnjährige Jüngling die Universität, eine
zarte Gestalt, fast unter Mittelgroße, ein schmales feines Antlitz, schwarzes
Haar und braune schöne ausdrucksvolle Augen. In Würzburg und Erlangen,
zuletzt in Jena studirte er Medicin. Er selbst würdigte später wohl die Be¬
deutung, welche gerade dieses Studium für die sittlichen und politischen An¬
schauungen des Mannes hatte. Zu seinem muthigen Herzen und dem lustigen
Selbstvertrauen, womit er in das Leben griff, gab ihm die verantwortliche
Thätigkeit des Arztes feste Haltung und Geduld. An dem Krankenlager derer,
die ihm vertrauten, lernte er sich selbst beherrschen, und er lernte mit den ge¬
gebenen Factoren des Lebens rechnen. Der prüfende Blick, mit welchem ,er
alles Werdende objectiv zu beobachten wußte, die tiefe Ueberzeugung von dem
gesetzmäßigen Verlauf aller Lebenserscheinungen und die unerschütterliche Ruhe,
mit welcher sein lebhafter Geist diesen gesetzmäßigen Verlauf zu erwarten ver¬
stand, in Ergebung wie in Hoffnung; Alles das verdankte er nicht zum klein¬
sten Theil dem Beruf, den er als Jüngling erwählt hatte. Wenn er später
das Leben eines werdenden Staates aus tödlichen Gefahren retten half, kalt¬
blütig und im entscheidenden Momente von kühnsten Entschluß; oder wenn er
lehrend und rathend die Seelen der Königskinder, mit denen ihn sein Schick¬
sal in Verbindung gebracht hatte, innerhalb ihrer Anlage und den Bedingungen
ihres Lebens zu leiten wußte: immer blieb ihm etwas von der inneren Frei¬
heit, der scharfen Beobachtung und dem überlegenen Urtheil eines menschen¬
freundlichen Arztes.

Nicht weniger einflußreich für sein späteres Leben wurde die neue starke
Strömung, in welcher der wissenschaftliche Geist der Deutschen seit F. A. Wolf,
den Romantikern und den Anfängen der deutschen Alterthumswissenschaft zu
fluthen begann. Der Jüngling war aus einer Familie heraufgewachsen, in
welche die deutsche Aufklärung der Periode von Lessing und Reimarus ihre hel¬
len Strahlen geworfen hatte. Seine Studienzeit -- namentlich seit er in das'
bewegte Leben von Jena getreten war -- gab ihm starke Eindrücke einer neuen
Ausfassung des geschichtlichen Lebens. Fremde Culturzustände als eigenthüm-


warf: „Bei mir muß das Alles einmal von Silber sein" und die Mutter ruhig
erwiederte: „Wenn Du's kannst, mir soll es recht sein," so wurde ihm in spcr-
terer Zeit diese frühe Auffassung von Menschengröße zuweilen vorgehalten, als
seine Ansicht über die sociale Bedeutung silberner Theekessel eine auffallend an¬
dere geworden war.

Der Knabe besuchte das Gymnasium zu Coburg; während der Sommer¬
ferien trieb er's gern auf dem Lande, auf dem Gute der Eltern, in der Wirth¬
schaft, in Wald und Wiese des schönen fränkischen Hügellandes; er hatte Freude
an der Jagd, erlangte früh gute Uebung darin und kräftigte seinen Körper
durch solche Anstrengungen.

Im Jahre 1805 bezog der achtzehnjährige Jüngling die Universität, eine
zarte Gestalt, fast unter Mittelgroße, ein schmales feines Antlitz, schwarzes
Haar und braune schöne ausdrucksvolle Augen. In Würzburg und Erlangen,
zuletzt in Jena studirte er Medicin. Er selbst würdigte später wohl die Be¬
deutung, welche gerade dieses Studium für die sittlichen und politischen An¬
schauungen des Mannes hatte. Zu seinem muthigen Herzen und dem lustigen
Selbstvertrauen, womit er in das Leben griff, gab ihm die verantwortliche
Thätigkeit des Arztes feste Haltung und Geduld. An dem Krankenlager derer,
die ihm vertrauten, lernte er sich selbst beherrschen, und er lernte mit den ge¬
gebenen Factoren des Lebens rechnen. Der prüfende Blick, mit welchem ,er
alles Werdende objectiv zu beobachten wußte, die tiefe Ueberzeugung von dem
gesetzmäßigen Verlauf aller Lebenserscheinungen und die unerschütterliche Ruhe,
mit welcher sein lebhafter Geist diesen gesetzmäßigen Verlauf zu erwarten ver¬
stand, in Ergebung wie in Hoffnung; Alles das verdankte er nicht zum klein¬
sten Theil dem Beruf, den er als Jüngling erwählt hatte. Wenn er später
das Leben eines werdenden Staates aus tödlichen Gefahren retten half, kalt¬
blütig und im entscheidenden Momente von kühnsten Entschluß; oder wenn er
lehrend und rathend die Seelen der Königskinder, mit denen ihn sein Schick¬
sal in Verbindung gebracht hatte, innerhalb ihrer Anlage und den Bedingungen
ihres Lebens zu leiten wußte: immer blieb ihm etwas von der inneren Frei¬
heit, der scharfen Beobachtung und dem überlegenen Urtheil eines menschen¬
freundlichen Arztes.

Nicht weniger einflußreich für sein späteres Leben wurde die neue starke
Strömung, in welcher der wissenschaftliche Geist der Deutschen seit F. A. Wolf,
den Romantikern und den Anfängen der deutschen Alterthumswissenschaft zu
fluthen begann. Der Jüngling war aus einer Familie heraufgewachsen, in
welche die deutsche Aufklärung der Periode von Lessing und Reimarus ihre hel¬
len Strahlen geworfen hatte. Seine Studienzeit — namentlich seit er in das'
bewegte Leben von Jena getreten war — gab ihm starke Eindrücke einer neuen
Ausfassung des geschichtlichen Lebens. Fremde Culturzustände als eigenthüm-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115393/170>, abgerufen am 22.12.2024.