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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band.

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worden waren, eifrig gewarnt wurde, überwog dennoch die Gläubigkeit und
zwar in einem Sinne und um eines Umstandes willen, der allerdings darnach
angethan war, die Geister zu verwirren. Von vorn herein nämlich wurde die
Frage nicht als eine wissenschaftliche Controverse angesehn, sondern mit ver¬
blendender Leidenschaft discutirt. Jene Lie-der -- seien sie nun echt als den ge¬
schilderten Begebenheiten nahezu gleichzeitige oder etwas spätere Nachklänge,
oder seien sie gefälscht -- athmen einen Haß gegen die Deutschen, welcher, in
dem damaligen Böhmen einen zu entschiedenen Rückhalt fand, als daß man
sich nicht jedes alten Documcntes desselben mit Nachdruck hätte freuen und
gern bedienen sollen. Niemand wird bei ruhiger Betrachtung läugnen, daß
zum mindesten viele dieser königinhofer Gesänge in sprachlicher und geschicht¬
licher Rücksicht, sowie in Ansehung des Tones und der Stimmung, in welcher
sie abgefaßt find, sehr ernstliche Bedenken erwecken; aber gleichzeitig muß zu¬
gestanden werden, daß die Beweisführung derjenigen, welche bisher darum ge¬
stritten haben, nicht zureichend erscheint, die Frage völlig abzuschließen. Zu
ihrem sichern Schaden ist sie neuerdings wieder in die Tagespresse hinein¬
gezogen worden, eine Arena, in welcher erfahrungsmäßig gerade die falschen
Kategorien des Streites die Oberhand haben. Wie die Frage infolge dessen
und selbst nach den neuesten Erörterungen zwischen Büdingcr und Palacky noch
liegt, scheint ihr zunächst allein durch die unerbittliche.linguistische Kritik bei¬
zukommen. Denn nur sie hat die Mittel in Händen, die Sache in exacter
Objectivität anzugreifen und für alle anderweiten Kriterien die eonäitio sino
<Mg, non festzustellen. Seltsam genug für den Unbefangenen, aber wohl be¬
greiflich ist für den, welcher in der Geschichte dieses Streites bewandert ist, daß
die Parteien nicht längst auf eine Autorität in dieser Richtung provocirt haben,
wie sie in dem Slavisten Miklosich vorhanden ist, der unsres Wissens sich bis
jetzt noch nicht endgiltig und officiell darüber hat vernehmen lassen. So lange
dies nicht geschieht, läßt sich den Gegnern gerade bei diesem Gegenstande nur
jenes Wort von den feindlichen Brüdern zurufen, daß "dieses Haders Ursprung
hinaufsteigt in unverständiger Kindheit frühe Zeit, und daß sein Alter es ist,
was ihn entwaffnen sollte." Kein Mensch, der einigen Sinn hat für den
Werth alter vaterländischer Sprachdenkmäler wird es den Böhmen verargen,
daß sie mit möglichster Zähigkeit an ihnen festhalten; aber sie müßten den Streit
schon um deswillen ohne Erhitzung führen, -- weil -- wenn die vermeinte
Fälschung sich erweist -- sie selber ja von dem Fälscher am ärgsten genarrt sind,
der ihnen dadurch einen historischen Anhalt für einen sittlichen Irrthum in die
Hände geschmuggelt hätte, mit welchem die Zukunft ihres Volkes nach unsrer
Meinung auf das engste zusammenhängt. (Schluß in nächster Ur.)




Verantwortlicher Redacteur: Dr. Moritz Busch.
Verlag von F. L, Her bist. -- Druck vo" C. E. Elbert in Leipzig.

worden waren, eifrig gewarnt wurde, überwog dennoch die Gläubigkeit und
zwar in einem Sinne und um eines Umstandes willen, der allerdings darnach
angethan war, die Geister zu verwirren. Von vorn herein nämlich wurde die
Frage nicht als eine wissenschaftliche Controverse angesehn, sondern mit ver¬
blendender Leidenschaft discutirt. Jene Lie-der — seien sie nun echt als den ge¬
schilderten Begebenheiten nahezu gleichzeitige oder etwas spätere Nachklänge,
oder seien sie gefälscht — athmen einen Haß gegen die Deutschen, welcher, in
dem damaligen Böhmen einen zu entschiedenen Rückhalt fand, als daß man
sich nicht jedes alten Documcntes desselben mit Nachdruck hätte freuen und
gern bedienen sollen. Niemand wird bei ruhiger Betrachtung läugnen, daß
zum mindesten viele dieser königinhofer Gesänge in sprachlicher und geschicht¬
licher Rücksicht, sowie in Ansehung des Tones und der Stimmung, in welcher
sie abgefaßt find, sehr ernstliche Bedenken erwecken; aber gleichzeitig muß zu¬
gestanden werden, daß die Beweisführung derjenigen, welche bisher darum ge¬
stritten haben, nicht zureichend erscheint, die Frage völlig abzuschließen. Zu
ihrem sichern Schaden ist sie neuerdings wieder in die Tagespresse hinein¬
gezogen worden, eine Arena, in welcher erfahrungsmäßig gerade die falschen
Kategorien des Streites die Oberhand haben. Wie die Frage infolge dessen
und selbst nach den neuesten Erörterungen zwischen Büdingcr und Palacky noch
liegt, scheint ihr zunächst allein durch die unerbittliche.linguistische Kritik bei¬
zukommen. Denn nur sie hat die Mittel in Händen, die Sache in exacter
Objectivität anzugreifen und für alle anderweiten Kriterien die eonäitio sino
<Mg, non festzustellen. Seltsam genug für den Unbefangenen, aber wohl be¬
greiflich ist für den, welcher in der Geschichte dieses Streites bewandert ist, daß
die Parteien nicht längst auf eine Autorität in dieser Richtung provocirt haben,
wie sie in dem Slavisten Miklosich vorhanden ist, der unsres Wissens sich bis
jetzt noch nicht endgiltig und officiell darüber hat vernehmen lassen. So lange
dies nicht geschieht, läßt sich den Gegnern gerade bei diesem Gegenstande nur
jenes Wort von den feindlichen Brüdern zurufen, daß „dieses Haders Ursprung
hinaufsteigt in unverständiger Kindheit frühe Zeit, und daß sein Alter es ist,
was ihn entwaffnen sollte." Kein Mensch, der einigen Sinn hat für den
Werth alter vaterländischer Sprachdenkmäler wird es den Böhmen verargen,
daß sie mit möglichster Zähigkeit an ihnen festhalten; aber sie müßten den Streit
schon um deswillen ohne Erhitzung führen, — weil — wenn die vermeinte
Fälschung sich erweist — sie selber ja von dem Fälscher am ärgsten genarrt sind,
der ihnen dadurch einen historischen Anhalt für einen sittlichen Irrthum in die
Hände geschmuggelt hätte, mit welchem die Zukunft ihres Volkes nach unsrer
Meinung auf das engste zusammenhängt. (Schluß in nächster Ur.)




Verantwortlicher Redacteur: Dr. Moritz Busch.
Verlag von F. L, Her bist. — Druck vo» C. E. Elbert in Leipzig.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115393/168>, abgerufen am 28.07.2024.