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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band.

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So viel läßt sich berichten und nachschreiben; was man aber sehen und
hören muß und doch nicht darstellen kann, das ist die Bewegung der Gemüther.
Es bildet sich sofort ein Mythus, und jeder fügt, ohne irgendwie lügen zu wol¬
len, der Dichtung einen neuen Zug hinzu. Da waren es denn zwei große
Jnsurgentenhaufen gewesen; der erste war vollständig armirt, zum Theil be¬
ritten; man hatte ihn auf preußischer Seite gesehen, aber aus guten Gründen
den Nüssen überlassen, die ihn denn auch sofort nach dem Grenzübergang bis
auf den letzten Mann vernichtet hatten. Die andre Partie hatten die Preußen
übernommen; sie hatten in den Kornfeldern gelauert, geschossen und einen
Geistlichen getödtet. Der ärgste Tartar ist der Gendarme, dem sein Amtskleid
die Ohren der leichtgläubigen Menge öffnet; und "der Gendarme erzählte, daß
dreißig Insurgenten geblieben seien, deren Leichen von den Russen über die
Grenze geschafft worden wären." Die Zahldcr Gefangenen wuchs in der Ent¬
fernung von zwei bis drei Meilen von Miloslaw auf vierhundert Mann, wel¬
chen vierzig Wagen abgenommen sein sollten. Der gewöhnliche Deutsche glaubt
solche Dinge, weil er sie wünscht, weil er es müde ist. ohne jeden anderen
Grund als den, welchen seine Sprache und sein Bekenntniß abgeben, der
Gegenstand immer wiederholter Beschimpfungen, Drohungen u. s. w. zu sein.
Der Pole hegt wider keinen Bericht Zweifel, welcher "den Preußen" einer
Härte anklagt. So vergingen uns zweimal vierundzwanzig Stunden, ehe wir
die Gewißheit hatten. Der Zuzug ist allerdings erheblich gewesen, und die
größere Vorhut hat auch die Grenze unbehindert Passirt. Die Anderen wurden
von einer im Korn verborgenen Patrouille bemerkt. Da sie deren Signalschüsse
für einen Angriff hielten, so eröffneten sie ein Feuer. Doch fand kein langer
Kampf statt. Einem Soldaten ist eine Achselklappe abgeschossen und die Schul¬
ter leicht gestreift worden; von den Polen sind, wie man versichert, drei ge¬
fallen, einige verwundet. 120 Gewehre, meist belgische, 2 Centner Pulver,
1 Wagen mit Stiefeln, einer mit Schinken sind erbeutet. Eine nicht unbedeu¬
tende Anzahl Gefangener werden täglich von den Russen herübergebracht. Da
die bisherige Milde diesen Leuten gegenüber schlecht angebracht ist, so sollen sie
fortan gerichtlich bestraft werden. Vielleicht bewahrt sie die Strenge der ein¬
heimischen Behörde Vor der Grausamkeit der fremden und vor trüberen
Geschick.

Außer der miloslawer Affaire, die sich zwischen den Dörfern Splawie und
Czesle zutrug, habe ich heute nichts Wichtiges zu melden. Höchstens könnte ich
noch einer Polin rühmend erwähnen. Die Gräfin v. Czapska hat vor Jahren
tin Grundstück auf der berliner Straße hier gekauft, weil ihr der Lärm der
darin befindlichen Kegelbahn die Gemüthsruhe störte. Jetzt rollt die Kugel wie¬
der lustig auf und ab, und vor dem Garten lesen Sie die deutschen und pol¬
nischen Worte: tonar^stvo samknisw, Geschlossener Gesellschaftsgarten. Die


So viel läßt sich berichten und nachschreiben; was man aber sehen und
hören muß und doch nicht darstellen kann, das ist die Bewegung der Gemüther.
Es bildet sich sofort ein Mythus, und jeder fügt, ohne irgendwie lügen zu wol¬
len, der Dichtung einen neuen Zug hinzu. Da waren es denn zwei große
Jnsurgentenhaufen gewesen; der erste war vollständig armirt, zum Theil be¬
ritten; man hatte ihn auf preußischer Seite gesehen, aber aus guten Gründen
den Nüssen überlassen, die ihn denn auch sofort nach dem Grenzübergang bis
auf den letzten Mann vernichtet hatten. Die andre Partie hatten die Preußen
übernommen; sie hatten in den Kornfeldern gelauert, geschossen und einen
Geistlichen getödtet. Der ärgste Tartar ist der Gendarme, dem sein Amtskleid
die Ohren der leichtgläubigen Menge öffnet; und „der Gendarme erzählte, daß
dreißig Insurgenten geblieben seien, deren Leichen von den Russen über die
Grenze geschafft worden wären." Die Zahldcr Gefangenen wuchs in der Ent¬
fernung von zwei bis drei Meilen von Miloslaw auf vierhundert Mann, wel¬
chen vierzig Wagen abgenommen sein sollten. Der gewöhnliche Deutsche glaubt
solche Dinge, weil er sie wünscht, weil er es müde ist. ohne jeden anderen
Grund als den, welchen seine Sprache und sein Bekenntniß abgeben, der
Gegenstand immer wiederholter Beschimpfungen, Drohungen u. s. w. zu sein.
Der Pole hegt wider keinen Bericht Zweifel, welcher „den Preußen" einer
Härte anklagt. So vergingen uns zweimal vierundzwanzig Stunden, ehe wir
die Gewißheit hatten. Der Zuzug ist allerdings erheblich gewesen, und die
größere Vorhut hat auch die Grenze unbehindert Passirt. Die Anderen wurden
von einer im Korn verborgenen Patrouille bemerkt. Da sie deren Signalschüsse
für einen Angriff hielten, so eröffneten sie ein Feuer. Doch fand kein langer
Kampf statt. Einem Soldaten ist eine Achselklappe abgeschossen und die Schul¬
ter leicht gestreift worden; von den Polen sind, wie man versichert, drei ge¬
fallen, einige verwundet. 120 Gewehre, meist belgische, 2 Centner Pulver,
1 Wagen mit Stiefeln, einer mit Schinken sind erbeutet. Eine nicht unbedeu¬
tende Anzahl Gefangener werden täglich von den Russen herübergebracht. Da
die bisherige Milde diesen Leuten gegenüber schlecht angebracht ist, so sollen sie
fortan gerichtlich bestraft werden. Vielleicht bewahrt sie die Strenge der ein¬
heimischen Behörde Vor der Grausamkeit der fremden und vor trüberen
Geschick.

Außer der miloslawer Affaire, die sich zwischen den Dörfern Splawie und
Czesle zutrug, habe ich heute nichts Wichtiges zu melden. Höchstens könnte ich
noch einer Polin rühmend erwähnen. Die Gräfin v. Czapska hat vor Jahren
tin Grundstück auf der berliner Straße hier gekauft, weil ihr der Lärm der
darin befindlichen Kegelbahn die Gemüthsruhe störte. Jetzt rollt die Kugel wie¬
der lustig auf und ab, und vor dem Garten lesen Sie die deutschen und pol¬
nischen Worte: tonar^stvo samknisw, Geschlossener Gesellschaftsgarten. Die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115393/158>, abgerufen am 22.12.2024.