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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band.

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daß vielmehr die Bestrebungen der französischen Nation mit einer achtungs¬
werthen Entschiedenheit der Verbesserung der inneren Zustände zugewandt sind
(Wie bedeutsam diese Bestrebungen sind, hat der Kaiser selbst durch seine neue¬
sten Maßregeln gezeigt, die wieder einen glänzenden Beweis geben von dem
feinen Takte, mit dem er jede Strömung im Volksleben in ihren ersten An¬
sängen erkennt, und scheinbar ihr nachgebend, sie zu lenken weiß). Dennoch ist
die öffentliche Meinung allzu polenfreundlich, um dem Kaiser einen raschen und
augenfälligen Wechsel in seiner polnischen Politik zu gestatten. Wie aber, wenn
die russische Antwort auf die Noten der drei Mächte, die, soweit wir sie kennen,
unzweifelhaft Gelegenheit zu einem Verschleppen der Angelegenheit, zu erneuten
Verhandlungen bietet, von Frankreich benutzt würde, um allmälig eine Wendung
zu vollziehen? Ein wichtiger Umstand scheint für diese Ansicht zu sprechen.
Wenn wir hervorgehoben haben, daß Frankreich bei weitem die günstigste Stel¬
lung in der Alliance einnehme, so ist dies doch nicht so zu verstehen, daß es
mit allen möglichen Konsequenzen des Bündnisses zufrieden sein werde; die
Nothwendigkeit eines Krieges z. B. könnte es unter Umständen sehr unange¬
nehm berühren. Die Vortheile der französischen Stellung liegen vielmehr darin,
daß Frankreich durchaus in der Lage ist, sich allen Consequenzen des Bünd¬
nisses, die ihm lästig fallen, dadurch zu entziehen, daß es sein Verhältniß zu
den Verbündeten lockert, eventuell löst. Die "Times" machte in der letzten
Zeit in einigen vortrefflichen Artikeln auf die Gefahr aufmerksam, daß die ver¬
mittelnden Mächte in Folge ihrer Repräsentationen ganz wider ihren Willen in
einen Krieg mit Nußland verwickelt oder zu einem schimpflichen Rückzug ge¬
nöthigt werden möchten. Gewiß ist die von der Times signalisirte Gefahr nicht
gering anzuschlagen. Doch ist auch in dieser Beziehung Frankreich günstiger
gestellt als England und namentlich Oestreich. Wenn Oestreich sich nämlich
Vor einer kriegerischen Eventualität zurückzieht (und wir halten es für unmög¬
lich, daß es für Polen Krieg führt), so setzt es sich der Gefahr aus, eine für
seine Machtstellung erschütternde, für alle seine weitem Pläne verderbliche Ver¬
bindung mit Nußland eingehen zu müssen. Nun beachte man, wie Nußland
gelegentlich seine eifrige Beflissenheit, gerade den Wünschen Oestreichs gerecht
zu werden, zur Schau getragen hat. Sollte die Wirkung dieses Entgegen¬
kommens ausschließlich auf Oestreich berechnet sein? Sollte nicht vielleicht Fürst
Gvrtschakoff. indem er Oestreich als den versöhnlichsten seiner Exhortatoren er¬
scheinen läßt, auch auf Napoleon einen gewissen Druck auszuüben beabsichtigen?
Ist einmal entschieden, daß Oestreich nicht an einem Kriege gegen Rußland
Theil nimmt, so können auch Frankreich und England die Sache nicht bis zum
Bruche treiben; denn nach einer Expedition gegen Kronstäbe und Petersburg
werden weder England noch Frankreich ein Gelüste tragen. Die Gefahr dieser
Situation für Frankreichs politischen Nimbus ist augenscheinlich; ebenso ein-


Grenzboten III. 1863. 17

daß vielmehr die Bestrebungen der französischen Nation mit einer achtungs¬
werthen Entschiedenheit der Verbesserung der inneren Zustände zugewandt sind
(Wie bedeutsam diese Bestrebungen sind, hat der Kaiser selbst durch seine neue¬
sten Maßregeln gezeigt, die wieder einen glänzenden Beweis geben von dem
feinen Takte, mit dem er jede Strömung im Volksleben in ihren ersten An¬
sängen erkennt, und scheinbar ihr nachgebend, sie zu lenken weiß). Dennoch ist
die öffentliche Meinung allzu polenfreundlich, um dem Kaiser einen raschen und
augenfälligen Wechsel in seiner polnischen Politik zu gestatten. Wie aber, wenn
die russische Antwort auf die Noten der drei Mächte, die, soweit wir sie kennen,
unzweifelhaft Gelegenheit zu einem Verschleppen der Angelegenheit, zu erneuten
Verhandlungen bietet, von Frankreich benutzt würde, um allmälig eine Wendung
zu vollziehen? Ein wichtiger Umstand scheint für diese Ansicht zu sprechen.
Wenn wir hervorgehoben haben, daß Frankreich bei weitem die günstigste Stel¬
lung in der Alliance einnehme, so ist dies doch nicht so zu verstehen, daß es
mit allen möglichen Konsequenzen des Bündnisses zufrieden sein werde; die
Nothwendigkeit eines Krieges z. B. könnte es unter Umständen sehr unange¬
nehm berühren. Die Vortheile der französischen Stellung liegen vielmehr darin,
daß Frankreich durchaus in der Lage ist, sich allen Consequenzen des Bünd¬
nisses, die ihm lästig fallen, dadurch zu entziehen, daß es sein Verhältniß zu
den Verbündeten lockert, eventuell löst. Die „Times" machte in der letzten
Zeit in einigen vortrefflichen Artikeln auf die Gefahr aufmerksam, daß die ver¬
mittelnden Mächte in Folge ihrer Repräsentationen ganz wider ihren Willen in
einen Krieg mit Nußland verwickelt oder zu einem schimpflichen Rückzug ge¬
nöthigt werden möchten. Gewiß ist die von der Times signalisirte Gefahr nicht
gering anzuschlagen. Doch ist auch in dieser Beziehung Frankreich günstiger
gestellt als England und namentlich Oestreich. Wenn Oestreich sich nämlich
Vor einer kriegerischen Eventualität zurückzieht (und wir halten es für unmög¬
lich, daß es für Polen Krieg führt), so setzt es sich der Gefahr aus, eine für
seine Machtstellung erschütternde, für alle seine weitem Pläne verderbliche Ver¬
bindung mit Nußland eingehen zu müssen. Nun beachte man, wie Nußland
gelegentlich seine eifrige Beflissenheit, gerade den Wünschen Oestreichs gerecht
zu werden, zur Schau getragen hat. Sollte die Wirkung dieses Entgegen¬
kommens ausschließlich auf Oestreich berechnet sein? Sollte nicht vielleicht Fürst
Gvrtschakoff. indem er Oestreich als den versöhnlichsten seiner Exhortatoren er¬
scheinen läßt, auch auf Napoleon einen gewissen Druck auszuüben beabsichtigen?
Ist einmal entschieden, daß Oestreich nicht an einem Kriege gegen Rußland
Theil nimmt, so können auch Frankreich und England die Sache nicht bis zum
Bruche treiben; denn nach einer Expedition gegen Kronstäbe und Petersburg
werden weder England noch Frankreich ein Gelüste tragen. Die Gefahr dieser
Situation für Frankreichs politischen Nimbus ist augenscheinlich; ebenso ein-


Grenzboten III. 1863. 17
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115393/137>, abgerufen am 22.12.2024.