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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band.

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Auch Schlimmeres wurde gesagt. Das Alles war zwar nicht wie in den Romanen
das Werk eines Augenblickes, aber eine Viertelstunde war nicht dazu erforder¬
lich gewesen. Doch säumten auch die Wächter der Ordnung nicht. Unter der
Führung des Hauptmannes v. Höbe rückte die in Schroda stationirte 7. Coa>
pagnie des 12. Infanterieregiments, unter der des Lieutenants v. Unruh
ein Detachement Ulanen auf den Platz. Der unberufene Glöckner ward er¬
griffen und i" sichern Gewahrsam gebracht; die Straße, wo der Verhaftete
wohnte, ward gesäubert, und ruhig faßte das Militär Posto, einige Steinwürfe
und Faustschläge mit der Faust und dem Kolben erwiedernd, jede Provocation
vermeidend. Das taktvolle, milde und besonnene Verfahren der Offiziere fand
selbst bei der polnischen Bevölkerung Anerkennung und ward von den Besseren
kräftig unterstützt. Man rühmt namentlich den zweiten Geistlichen Knaß und
den Rechtsanwalt v. Trampczynski eine Zierde der polnischen Bevölkerung
Schrodas, als die Männer, welchen es gelang, die aufgeregte Menge
zu beruhigen. Aber sie blieben nicht allein; es standen ihnen auch einige
Bürger treulich bei. Schon gegen Mittag war die Ruhe äußerlich hergestellt,
und was über den Inhalt dieses Berichtes hinaus in den Zeitungen stand, ist
übertrieben oder gelogen. Der Mann, dem ich diese Specialitäten verdanke,
beauftragt mich namentlich mit dem bestimmtesten Widerspruche gegen die An¬
gabe der Ostdeutschen Zeitung, es habe eine Revision der katholischen Kirche statt¬
gefunden. Die Gemüther freilich sind noch lange in der heftigsten Bewegung
geblieben, und der Groll machte sich in allerlei Gerede Luft, das bald gegen
die Executivbeamten, vom Gendarm aufwärts bis zum Landrath, bald gegen
die Bürger gerichtet war, welche sich um Herstellung der Ruhe bemüht hatten,
bald mit Repressalien an dem deutschen Pastor drohte. Mit der Zeit verläuft
auch diese Strömung, und alles Wasser geht wieder in seinen, ruhigen Bette.
Nur den Deutschen ward es recht unmittelbar versinnlicht, wie doch all ihr
Wandel hier gehe -- super iZues
supposiws eirieri clvlo^y.

Und die Asche liegt ziemlich dünn. Ich habe Ihnen im letzten Briefe kurz
erzählt, daß einige heimgekehrt Zuzügler in Drzazgvwo einen Juden lebens¬
gefährlich gemißhandelt haben. Zwei von ihnen sind verhaftet worden, und
noch vom Gefängniß aus haben sie durch einen entlassenen Mitgefangenen
ernste Drohungen gegen das Object ihres Zornes gerichtet. Ein Knabe aber
von vierzehn Jahren aus Sulencin-Hauland -- er heißt Krohn -- welcher bei
ihnen im Verdacht stand, die zwei verrathen zu haben, ist von deren Spie߬
gesellen erdrosselt worden. Die Gegend, wo sich dies zutrug, zwischen Santo-
mysl und Neustadt a/W. ist der schlimmsten eine, und eine Besatzung sowohl
für jenes Städtchen, wie für irgend eines der Warthedörfer wird dringend ge¬
wünscht.


Auch Schlimmeres wurde gesagt. Das Alles war zwar nicht wie in den Romanen
das Werk eines Augenblickes, aber eine Viertelstunde war nicht dazu erforder¬
lich gewesen. Doch säumten auch die Wächter der Ordnung nicht. Unter der
Führung des Hauptmannes v. Höbe rückte die in Schroda stationirte 7. Coa>
pagnie des 12. Infanterieregiments, unter der des Lieutenants v. Unruh
ein Detachement Ulanen auf den Platz. Der unberufene Glöckner ward er¬
griffen und i» sichern Gewahrsam gebracht; die Straße, wo der Verhaftete
wohnte, ward gesäubert, und ruhig faßte das Militär Posto, einige Steinwürfe
und Faustschläge mit der Faust und dem Kolben erwiedernd, jede Provocation
vermeidend. Das taktvolle, milde und besonnene Verfahren der Offiziere fand
selbst bei der polnischen Bevölkerung Anerkennung und ward von den Besseren
kräftig unterstützt. Man rühmt namentlich den zweiten Geistlichen Knaß und
den Rechtsanwalt v. Trampczynski eine Zierde der polnischen Bevölkerung
Schrodas, als die Männer, welchen es gelang, die aufgeregte Menge
zu beruhigen. Aber sie blieben nicht allein; es standen ihnen auch einige
Bürger treulich bei. Schon gegen Mittag war die Ruhe äußerlich hergestellt,
und was über den Inhalt dieses Berichtes hinaus in den Zeitungen stand, ist
übertrieben oder gelogen. Der Mann, dem ich diese Specialitäten verdanke,
beauftragt mich namentlich mit dem bestimmtesten Widerspruche gegen die An¬
gabe der Ostdeutschen Zeitung, es habe eine Revision der katholischen Kirche statt¬
gefunden. Die Gemüther freilich sind noch lange in der heftigsten Bewegung
geblieben, und der Groll machte sich in allerlei Gerede Luft, das bald gegen
die Executivbeamten, vom Gendarm aufwärts bis zum Landrath, bald gegen
die Bürger gerichtet war, welche sich um Herstellung der Ruhe bemüht hatten,
bald mit Repressalien an dem deutschen Pastor drohte. Mit der Zeit verläuft
auch diese Strömung, und alles Wasser geht wieder in seinen, ruhigen Bette.
Nur den Deutschen ward es recht unmittelbar versinnlicht, wie doch all ihr
Wandel hier gehe — super iZues
supposiws eirieri clvlo^y.

Und die Asche liegt ziemlich dünn. Ich habe Ihnen im letzten Briefe kurz
erzählt, daß einige heimgekehrt Zuzügler in Drzazgvwo einen Juden lebens¬
gefährlich gemißhandelt haben. Zwei von ihnen sind verhaftet worden, und
noch vom Gefängniß aus haben sie durch einen entlassenen Mitgefangenen
ernste Drohungen gegen das Object ihres Zornes gerichtet. Ein Knabe aber
von vierzehn Jahren aus Sulencin-Hauland — er heißt Krohn — welcher bei
ihnen im Verdacht stand, die zwei verrathen zu haben, ist von deren Spie߬
gesellen erdrosselt worden. Die Gegend, wo sich dies zutrug, zwischen Santo-
mysl und Neustadt a/W. ist der schlimmsten eine, und eine Besatzung sowohl
für jenes Städtchen, wie für irgend eines der Warthedörfer wird dringend ge¬
wünscht.


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[0117] Auch Schlimmeres wurde gesagt. Das Alles war zwar nicht wie in den Romanen das Werk eines Augenblickes, aber eine Viertelstunde war nicht dazu erforder¬ lich gewesen. Doch säumten auch die Wächter der Ordnung nicht. Unter der Führung des Hauptmannes v. Höbe rückte die in Schroda stationirte 7. Coa> pagnie des 12. Infanterieregiments, unter der des Lieutenants v. Unruh ein Detachement Ulanen auf den Platz. Der unberufene Glöckner ward er¬ griffen und i» sichern Gewahrsam gebracht; die Straße, wo der Verhaftete wohnte, ward gesäubert, und ruhig faßte das Militär Posto, einige Steinwürfe und Faustschläge mit der Faust und dem Kolben erwiedernd, jede Provocation vermeidend. Das taktvolle, milde und besonnene Verfahren der Offiziere fand selbst bei der polnischen Bevölkerung Anerkennung und ward von den Besseren kräftig unterstützt. Man rühmt namentlich den zweiten Geistlichen Knaß und den Rechtsanwalt v. Trampczynski eine Zierde der polnischen Bevölkerung Schrodas, als die Männer, welchen es gelang, die aufgeregte Menge zu beruhigen. Aber sie blieben nicht allein; es standen ihnen auch einige Bürger treulich bei. Schon gegen Mittag war die Ruhe äußerlich hergestellt, und was über den Inhalt dieses Berichtes hinaus in den Zeitungen stand, ist übertrieben oder gelogen. Der Mann, dem ich diese Specialitäten verdanke, beauftragt mich namentlich mit dem bestimmtesten Widerspruche gegen die An¬ gabe der Ostdeutschen Zeitung, es habe eine Revision der katholischen Kirche statt¬ gefunden. Die Gemüther freilich sind noch lange in der heftigsten Bewegung geblieben, und der Groll machte sich in allerlei Gerede Luft, das bald gegen die Executivbeamten, vom Gendarm aufwärts bis zum Landrath, bald gegen die Bürger gerichtet war, welche sich um Herstellung der Ruhe bemüht hatten, bald mit Repressalien an dem deutschen Pastor drohte. Mit der Zeit verläuft auch diese Strömung, und alles Wasser geht wieder in seinen, ruhigen Bette. Nur den Deutschen ward es recht unmittelbar versinnlicht, wie doch all ihr Wandel hier gehe — super iZues supposiws eirieri clvlo^y. Und die Asche liegt ziemlich dünn. Ich habe Ihnen im letzten Briefe kurz erzählt, daß einige heimgekehrt Zuzügler in Drzazgvwo einen Juden lebens¬ gefährlich gemißhandelt haben. Zwei von ihnen sind verhaftet worden, und noch vom Gefängniß aus haben sie durch einen entlassenen Mitgefangenen ernste Drohungen gegen das Object ihres Zornes gerichtet. Ein Knabe aber von vierzehn Jahren aus Sulencin-Hauland — er heißt Krohn — welcher bei ihnen im Verdacht stand, die zwei verrathen zu haben, ist von deren Spie߬ gesellen erdrosselt worden. Die Gegend, wo sich dies zutrug, zwischen Santo- mysl und Neustadt a/W. ist der schlimmsten eine, und eine Besatzung sowohl für jenes Städtchen, wie für irgend eines der Warthedörfer wird dringend ge¬ wünscht.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115393/117>, abgerufen am 28.07.2024.